Bücher liegen auf einem Polster
ORF.at/Magdalena Miedl
Vicki Baum

Vergessener Star der Literatur neu entdeckt

Erfreuliche Begegnungen bei der Entdeckungsreise im eigenen Bücherregal: Die einstige Bestsellerautorin Vicki Baum umweht zu Unrecht das Image oberflächlicher, womöglich gar frivoler Unterhaltung. Nachblättern lohnt – jetzt am allermeisten: Die wiederaufgelegten Romane der weltweit erfolgreichen Wienerin sind krisenfeste Literatur.

Der Schauplatz ist das Foyer des Grand Hotels in Berlin, mit waldmoosweichen Läufern und gediegen abgewetzter Ausstattung. Ankommende Gäste drängen sich beim Concierge, Hotelpagen flitzen durch die Halle. Die Zeit: ein Spätnachmittag im März, irgendwann gegen Ende der 1920er Jahre. „Vom Neubau her hopste die Musik aus dem Tea-room in Synkopen an den Wandspiegeln entlang. Der butterige Bratenduft der Diner-Zeit fächelte diskret daher, aber hinter den Türen des großen Speisesaals war es noch leer und still.“

Still wird es nicht bleiben in „Menschen im Hotel“, dem Roman, der die schon damals erfolgreiche jüdische Wiener Schriftstellerin Vicki Baum 1929 weltberühmt machte. Eine ganze Galerie an Figuren trifft hier an ein paar wenigen Tagen aufeinander, allesamt bringen sie unterschiedliche existenzielle Nöte mit, darunter eine Primaballerina am Ende ihrer Karriere, ein todkranker kleiner Buchhalter, ein morphinsüchtiger Arzt mit im Weltkrieg zerschossenem Gesicht und eine junge Stenotypistin, die mangels beruflicher Alternativen zur Sexarbeit bereit ist.

Gesellschaft der extremen Gegensätze

1929 erschien das Buch mit dem ironischen Untertitel „Ein Kolportageroman mit Hintergründen“, 1932 wurde es mit Greta Garbo und Joan Crawford verfilmt, 1945 ein zweites Mal mit Ginger Rogers und Lana Turner, 1959 ein drittes Mal mit O. W. Fischer, Sonja Ziemann und Heinz Rühmann. Der Text eines „Spiegel“-Rezensenten aus den 50er Jahren liest sich abschätzig: „Es war ordentlich was los in diesem Roman, die Autorin führte ein reichhaltiges Assortiment von Figuren in Freiheit dressiert vor, eine pikante Versammlung von Personen und einschlägigen Begebenheiten, wie es zur schriftstellerischen Kochrezeptur Vicki Baums gehört.“

Längst gilt Baums Roman als Klassiker der Weltliteratur, wurde wieder und wieder neu aufgelegt, wurde am Broadway gespielt und wird nach wie vor an Bühnen inszeniert. „Menschen im Hotel“ handelt von einer Gesellschaft der extremen Gegensätze, die auf engstem Raum zusammentreffen, von einem Dasein an der Kippe. Das Berliner Nachtleben flirrt, doch die dräuende Weltwirtschaftskrise ist selbst in den prunkvoll plüschigen Hotelsuiten spürbar, und der Krieg noch nicht lang genug überstanden, um vergessen zu sein.

Buchcover Menschen im Hotel von Vicki Baum
KiWi Verlag
Vicki Baum: Menschen im Hotel. KiWi-Taschenbuch, 320 Seiten, als E-Book um 9,99 Euro, als Taschenbuch um 10,30 Euro.

Entdeckungen per #frauenlesen

Vicki Baum zu entdecken – oder wiederzuentdecken – ist nie verkehrt, doch vielleicht ist genau jetzt der beste Zeitpunkt dafür: Baum schreibt mit Formulierlust und bricht Sentimentales gern mit trockenen Beobachtungen. Und sie hat Ahnung von Ausnahmesituationen, und erzählt sie in ihren Romanen gerne indirekt, über von Krieg, Entbehrung und Krankheit gezeichnete Charaktere, über Krisengewinnler und Hasardeure.

Gute Tipps für derlei Wiederentdeckungen sind laufend auf Twitter und Instagram unter dem Hashtag „#frauenlesen“ zu finden, wo seit Jahren einander Leserinnen und Leser Schriftstellerinnen empfehlen – und zwar vielfach solche, die zu Unrecht aus der Mode gekommen sind. Als Fundstücke aus großmütterlichen Bibliotheken, aus Offenen Bücherschränken, von Flohmärkten und Antiquariaten stapeln sich die empfohlenen Bücher seither im Regal, doch im normalen Lesebetrieb ist zwischen all den Neuerscheinungen oft keine Zeit dafür.

Frivol, brisant und klug

Dabei sind es nicht selten Bücher, die sich als krisenfest erwiesen haben. Nun haben sie Gelegenheit, zu Ehren zu kommen: Vicki Baums „Menschen im Hotel“ ist eines der liebsten, samt dem honiggelben stockfleckigen Schutzumschlag mit dem hingetupften Fünfziger-Jahre-Blondmädchen.

Baum, ursprünglich Harfenistin im Symphonieorchester des Wiener Konzertvereins, hatte ihre ersten Romane nebenbei aus purem Vergnügen geschrieben und inkognito veröffentlicht, ab 1919 schrieb sie unter dem Namen Vicki Baum. Nach dem Erfolg von „Menschen im Hotel“ wurde sie 1932 nach Hollywood eingeladen, blieb einige Monate und entschloss sich 1933 zur endgültigen Emigration – unmittelbar vor Hitlers Machtergreifung.

Von den Nazis wurden Baums Bücher damals schon als „seichte, amoralische Sensationsromane“ verunglimpft, am 10. Mai 1933 verbrannten ihre Bücher neben denen von Karl Marx, Sigmund Freud und Erich Kästner am Berliner Opernplatz. 1938 erhielt sie die amerikanische Staatsbürgerschaft, ab 1941 fühlte sie sich in der neuen Sprache wohl genug, um ihre Romane auf Englisch zu verfassen.

Aus dem kalifornischen Exil sollte sie nicht mehr zurückkehren, sie verstarb 1960 an Leukämie. Politische Umbrüche beschäftigten Baum auch in ihren Romanen, „Schicksalsflug“ ist einer davon. Darin findet sich, nur vordergründig mit „Menschen im Hotel“ vergleichbar, eine Gruppe von Passagieren auf einem Flug durch Südamerika zusammen, und sieht sich durch ein Unglück zu tagelangem gemeinsamem Verharren gezwungen.

Hinweis

In den nächsten Wochen werden Redakteurinnen und Redakteure von ORF.at über ihre eigenen Bibliotheksfunde schreiben, die sich – ganz subjektiv empfunden – gerade jetzt zur Lektüre empfehlen.

Was noch im ersten Kapitel nach Seifenoper klingt – eine junge Frau ist an Bord, ein schöner Mann, und dann ist da Baums Vorliebe für verspielte Sprachbilder, die diesen Mann klassische Musik als „Musik mit langen Haaren“ beschreiben lässt –, erweist sich im Verlauf der Reise als politisch in mehrfacher Hinsicht brisante Konstellation von Charakteren: Eine der Reisenden ist der Shoah nur knapp entkommen, ein anderer ist satter Kriegsprofiteur.

Zufallsbegegnungen im Bücherregal

Es ist beruhigend, in bewegten Zeiten Bücher zu lesen, die seit vielen Jahrzehnten klug unterhalten, und auf vermeintlich Altmodisches zurückzugreifen. In diesen merkwürdigen, bedrückenden Wochen tut ein Spaziergang im eigenen Bücherregal, fern jeder Aktualität, ganz besonders gut, in der Hoffnung auf ein paar schöne Zufallsbegegnungen. Sollten da schon lauter alte Bekannte stehen, kann die Lieblingsbuchhandlung aushelfen, bei der man in Coronavirus-Zeiten über Bestellungen ohnehin besonders froh ist.