Straßenszene in Venedig
AP/Andrew Medichini
Streitpunkt „Corona-Bonds“

EU sucht Kompromiss bei Krisenhilfe

Die EU-Finanzminister beraten am Dienstag über weitere Hilfsmaßnahmen in der Coronavirus-Krise. Überschattet wird das Treffen vom Streit über Euro-Bonds („Corona-Bonds“): Länder wie Italien und Frankreich hatten ein solches Instrument für die gemeinsame Aufnahme von Schulden gefordert, es wird aber unter anderem von Österreich und Deutschland abgelehnt. Weitere Mechanismen werden nun diskutiert.

Denn in der Frage der gemeinsamen Bonds zeichnete sich auch am Dienstag kein Konsens ab. Die Videokonferenz der Finanzminister begann aufgrund schwieriger Vorbereitungen bereits mit Verzögerung. Am Abend wurde die Sitzung für zwei Stunden unterbrochen. In dieser Zeit sollten nach Angaben aus EU-Kreisen Einzelgespräche geführt und ein Entwurf für eine Erklärung nachgebessert werden.

„Weitgehende“ Einigkeit soll bei drei kurzfristigen Krisenmaßnahmen herrschen – bei den Hilfen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), bei Krediten der Europäischen Investitionsbank (EIB) und bei einem von der EU-Kommission vorgeschlagenem europäischen Kurzarbeitergeld. Offen seien aber die Wege, der Wirtschaft in Europa langfristig wieder auf die Beine zu helfen.

ORF-Korrespondent Peter Fritz aus Brüssel

Peter Fritz berichtet über die schleppenden Gespräche der Finanzminister.

Streit über „Corona-Bonds“

Besonders gestritten wird über „Corona-Bonds“. Neun von 19 Euro-Ländern hatten zuletzt das gemeinsame Schuldeninstrument gefordert – allen voran Italien, Spanien und Frankreich. Sie sprachen unter anderem von einem Zeichen der Solidarität und wollen auch weiter auf ihren Einsatz bestehen.

Über solche Bonds könnten sich EU-Staaten gemeinsam Geld auf den Finanzmärkten leihen, das direkt in die jeweiligen Haushalte flösse. Für Zinsen und Rückzahlung haften alle gemeinsam. Hoch verschuldete Staaten könnten so zu günstigeren Konditionen an frisches Geld auf dem Kapitalmarkt kommen als alleine. Italien, Spanien und andere Länder sehen darin ein wichtiges Zeichen der Solidarität. Deutschland und andere Länder wie Österreich, die Niederlande und Schweden fürchten indes, für bereits hoch verschuldete Staaten haften zu müssen.

EU-Finanzminister tagen

Wie die Staaten helfen können, ohne selbst in finanzielle Notlagen zu kommen – darüber verhandeln derzeit die Finanzminister der EU-Staaten. Es geht um Hunderte Milliarden Euro an Hilfskrediten. EU-Staaten könnten dafür mehrere Kredittöpfe anzapfen, allen voran den ESM Rettungsschirm, der einst Griechenland vor einem Staatsbankrott gerettet hat. Die Solidarität der EU-Länder untereinander wird dabei auf die Probe gestellt.

„Mutige Antwort“ gefordert

Euro-Gruppe-Chef Mario Centeno forderte vor den Beratungen eine „mutige Antwort“ der Mitgliedsstaaten auf die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Krise. Es liege „das umfangreichste und ehrgeizigste Paket, das jemals von der Euro-Gruppe vorbereitet wurde“, auf dem Tisch. Nun sei aber auch „ein koordinierter und umfangreicher Erholungsplan“ notwendig.

Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sieht bei den vorbereiteten Beschlüssen „ein ganz deutliches Zeichen der Solidarität“. Er signalisierte Entgegenkommen bei den Bedingungen für geplante Kredite des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).

ESM-Hilfe von Sparauflagen abhängig?

Deutschland will statt auf „Corona-Bonds“ verstärkt auf den ESM setzen. Über dieses bereits existierende Instrument leiht sich die Euro-Zone gemeinsam Geld und kann es dann an einzelne Mitglieder weiterreichen. Die Kreditrichtlinien dazu sollen an keine Sparauflagen geknüpft werden, sondern nur an die Bedingung, dass das Geld direkt in die Krisenbewältigung fließt. Denn bisher waren ESM-Hilfen für Krisenstaaten mit harten Sparmaßnahmen verknüpft und werden deswegen vielerorts kritisch betrachtet.

Giuseppe Conte und Angela Merkel
APA/AFP/Aris Oikonomou
Italien fordert die Euro-Bonds, Deutschland hingegen wehrt sich

Bis zu 240 Milliarden Euro an Krediten könnten auf diese Weise ausgezahlt werden. Insgesamt könnte der ESM nach eigenen Angaben noch 410 Mrd. Euro verleihen. Der ESM wurde 2012 als Rettungsschirm für Staaten in der Euro-Krise gegründet und vergab etwa an Griechenland Kredite unter strengen Auflagen.

„Der andere soll es zahlen“

Deutschland und Österreich sagen, dass der ESM als bereits verfügbares Instrument rasch eingesetzt werden könnte. Verständnis für die Forderung nach den Euro-Bonds hat Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) nicht. Laut Blümel weigerten sich die Länder, in bestehende Rettungsboote zu steigen, und sagten lieber: „Ich will da nicht einsteigen, ich möchte ein größeres und schöneres, und der andere soll es zahlen.“

Man sei „bereit, beim ESM viel Flexibilität walten zu lassen“, so Blümel im ZDF. Er verwies darauf, dass viele der existierenden Instrumente noch gar nicht in Anspruch genommen worden seien. Er verstehe deshalb nicht die Forderung nach anderen Maßnahmen. Kurz vor dem Treffen bekräftigte Blümel, dass es keine Euro-Bonds geben werde. Er wolle „innerhalb der bestehenden Instrumente bleiben“.

Andere Bedenken äußerte der Chef des deutschen Wirtschaftsinstituts IFO, Clemens Fuest: „Corona-Bonds sind von der Idee her schon in Ordnung, das Problem ist, wir haben derzeit gar keine Institution, die diese Bonds herausgeben könnte“. Solch eine Institution zu schaffen dauere mindestens mehrere Monate.

Zu den Euro-Bonds-Kritikern hatten auch die Niederlande gehört. Finanzminister Wopke Hoekstra hatte die schwer getroffenen südlichen Länder dafür kritisiert, warum sie nicht genügend Steuergelder für den Kampf gegen die Krise hätten, und musste darauf heftige Kritik einstecken. Die Niederlande schlugen daraufhin die Einrichtung einer Art Hilfsfonds vor. Euro-Bonds lehnte Hoekstra erneut ab, auch Details zu den anderen Instrumente stellte er infrage.

Conte: ESM „vollkommn unzureichend“

Italiens Premier Guiseppe Conte, der kurz vor den Beratungen ein 400-Milliarden-Euro-Konjunkturprogramm für Italien angekündigt hatte, bezeichnete die ESM-Lösung vor dem Treffen hingegen als „vollkommen unzureichend“: „ESM nein, Euro-Bonds definitiv ja. Der ESM ist absolut unzureichend, Euro-Bonds hingegen sind die Lösung, eine seriöse, effektive, angemessene Reaktion auf den Notfall.“ Mit seinem Finanzminister Roberto Gualtieri stimme er da völlig überein.

Geschlossenens Geschäft in Italien
Reuters//Tony Gentile
Italiens Wirtschaft litt bereits vor der Krise – angesichts der Epidemie wird die Nothilfe zur zentralen Frage

Auch andere brachen am Dienstag eine Lanze für die Euro-Bonds: EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager forderte etwa, finanzpolitische Tabus über Bord zu werfen. „Wir müssen in der jetzigen Situation ausnahmslos alle Instrumente nutzen, die wir zur Verfügung haben“, so Vestager zum Redaktionsnetzwerk Deutschland. Auch der Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Angel Gurria, sagte der „Süddeutschen Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe): „Finanzrisiken zu teilen ist der nächste notwendige Schritt der europäischen Integration“. Er fügte hinzu: „Ein Finanzinstrument sollte keine Glaubensfrage sein.“

Der ÖVP-EU-Abgeordnete Othmar Karas sowie seine SPÖ-Kollegin Evelyn Regner sprachen sich aber für „Corona-Bonds“ aus. „Wer ein solches, solidarisches Finanzinstrument ablehnt, schadet Europa und damit sich selbst“, warnte Karas. Das gelte vor allem für „Exporteuropameister wie Österreich und Deutschland“.

Hilfe über Investitionsbank, Kurzarbeitgarantien

Neben dem ESM werden die Finanzminister über Hilfe via Europäische Investitionsbank (EIB) sprechen. Diese hat einen „Paneuropäischen Garantiefonds“ vorgeschlagen, der so funktionieren könnte: Die EU-Staaten zahlen anteilig 25 Mrd. Euro in den Fonds ein, der zur Absicherung von Krediten der Investitionsbank an den Mittelstand dienen soll. Nach Einschätzung der EIB ließen sich so bis zu 200 Milliarden Euro an Liquidität für Firmen mobilisieren.

Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz
Reuters/John Macdougall
Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD) will auf ein „Dreisäulenprogramm“ setzen

Auf der Tagesordnung steht auch der Vorschlag der EU-Kommission, bis zu 100 Mrd. Euro für Kurzarbeit in den Mitgliedsstaaten bereitzustellen. Der Vorschlag: Die EU-Staaten hinterlegen unwiderrufliche Garantien in Höhe von 25 Mrd. Euro. Mit dieser Rückendeckung nimmt die EU-Kommission bis zu 100 Mrd. Euro zu günstigen Konditionen auf dem Kapitalmarkt auf und reicht sie nach Bedarf für Kurzarbeit an EU-Staaten weiter.

Frankreich droht

Die Zustimmung für die letzteren drei Punkte unter den Finanzministern und -ministerinnen sei groß, so Euro-Gruppe-Chef Mario Centeno. Unklar ist aber, ob die Differenzen in der Frage der Bonds zu einem Eklat führen oder ob der Punkt am Ende ausgeklammert wird. Diesbezüglich gedroht hat bereits Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire: Er werde bei der Konferenz am Dienstag einer gemeinsamen Lösung nur zustimmen, wenn die Länder einem neuen europäischen Solidaritätsfonds grundsätzlich zustimmten.

Er begrüße das dreistufige Modell, „doch wir brauchen auch die vierte Etage, sonst zündet die Rakete nicht“, sagte Le Maire zur „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“). Dieses Modell sollte anders gestaltet werden als die früheren Euro-Bonds. Der Fonds solle nur fünf bis zehn Jahre laufen und mit den Altschulden der Mitgliedsländer nichts zu tun haben. Stattdessen sollten mit dem Fonds nur Investitionen finanziert werden.

Internationale Lage für Österreich zentral

Die wirtschaftliche Lage der anderen EU-Staaten hat auch für die hiesige Wirtschaft größte Relevanz. Wie IHS-Chef Martin Kocher am Dienstag im Ö1-Morgenjournal sagte, müsse die internationale Lage die die kleine Volkswirtschaft Österreich besonders beschäftigen. „Was mir im Moment am meisten Sorgen bereitet, ist nicht so sehr Österreich, aber das internationale Umfeld“, sagte Kocher. Staaten rund um Österreich könnten länger brauchen, um das Virus in den Griff zu bekommen.

„Es gibt Asymmetrien. Die Grenzen sind zum Teil geschlossen. Das wird uns sehr lange noch beschäftigen. Als kleine Volkswirtschaft, wo wir auf Handel angewiesen sind, auf Personenverkehr, ist das das nächste große Arbeitspaket für die Bundesregierung, da wieder den ‚Status quo ante‘ (Stand vor der Pandemie, Anm.) herzustellen“, so Kocher.