Pumpstationen auf Ölfeld in Russland
Getty Images/iStockphoto/Leonid Ikan
Alles abnormal

Der „verrückte“ Ölpreis

Der Machtkampf zwischen den Erdölförderländern soll fürs Erste befriedet werden. Die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC), allen voran Saudi-Arabien, hat gemeinsam mit Russland eine Kürzung der Förderung vereinbart. Doch der Ölpreis fiel trotzdem. Längst sind wegen der CoV-Pandemie, dem dadurch drastisch eingebrochenen Ölverbrauch und dem gleichzeitigen Förderwettlauf alle Regeln im Ölgeschäft ausgehebelt.

Kurz bevor global die Erkenntnis einsetzte, dass die Coronavirus-Krise nicht auf China und einige wenige andere Länder beschränkt bleiben würde, brach der Ölkonflikt am 6. März voll aus. Er könnte als Beispiel in die Wirtschaftsgeschichte eingehen, wie schwere Fehleinschätzungen eine Kettenreaktion an dramatischen Entwicklungen in Gang setzen können.

Der Preis für ein Fass Rohöl der Marke Brent lag am Freitag unter 32 US-Dollar – und damit fast so niedrig wie seit 2016 nicht mehr. Die Preise sind seit Jahresbeginn laut „Foreign Affairs“ um nicht weniger als zwei Drittel gefallen. Ähnliche Dimensionen gab es zuletzt während des ersten Irak-Kriegs 1991.

Grafik zeigt Entwicklung des Ölpreises
Grafik: ORF.at

Eine Dynamik, die schwer zu stoppen ist

Und der Rückgang beim weltweiten Verbrauch wird laut Schätzungen allein im April siebenmal stärker sein als der größte Quartalsrückgang im Gefolge der Finanzkrise 2008. Bei einer US-Ölsorte fiel der Preis im März teils sogar in den Minusbereich – wer ein Fass kaufte, erhielt 19 Cent als Draufgabe. Nicht wenige Fachleute rechneten zuletzt mit einem generellen Ölpreisniveau unter 20 Dollar.

Videokonferenz der OPEC
APA/AFP/SPA
Die Videoschaltung der OPEC+ unter Vorsitz des saudischen Energieministers Abdulasis bin Salman Al Saud (r.)

Die jüngste Einigung brachte vorerst keine Trendumkehr: Die vereinbarte Förderkürzung gilt als zu gering im Vergleich zum erwarteten Rückgang beim Verbrauch. Dabei vereinbarte die als OPEC+ oder „Wiener Allianz“ bekannte Gruppe – sie umfasst die 13 OPEC-Staaten plus Russland und neun weitere Ölförderstaaten – eine historische Förderkürzung. Zehn Millionen Fass pro Tag weniger sollen gefördert werden, was laut „Financial Times“ immerhin etwa einem Zehntel des täglichen Bedarfs vor der Pandemie entspricht. Die Kürzungen sollen stufenweise verringert werden und in zwei Jahren auslaufen.

Mexiko stimmt Drosselung zu

Nach anfänglichem Zögern stimmte auch Mexiko, das zu der Staatengruppe gehört, der Vereinbarung zu. Zunächst blieb aber offen, ob der von Mexiko zugesagte Anteil von 100.000 Barrel pro Tag den anderen Ölförderstaaten genügt. Der Forderung einer Kürzung um täglich 400.000 Barrel habe das Land nicht zugestimmt, weil es gerade erst mit großer Anstrengung seine Produktion erhöht habe, sagte der mexikanische Präsident Andres Manuel Lopez Obrador.

US-Präsident Donald Trump sagte, die USA würden die Differenz bei der mexikanischen Reduzierung durch eine Drosselung ihrer eigenen Produktion ausgleichen. Mexiko werde das zu einem späteren Zeitpunkt „erstatten“. Laut Trump ist die US-Erdölförderung ohnehin schon zurückgegangen. Er verwies dabei auf die gesunkene Nachfrage.

USA werden mitgerissen

Der Preiscrash bringt die erdölexportierenden Länder bereits jetzt in heftige Turbulenzen – und das genau zu dem Zeitpunkt, wo sie selbst wegen der Coronavirus-Pandemie auch schwere wirtschaftliche Probleme haben, darunter etwa Russland und der Iran. Dazu verschärft der Ölstreit die geopolitischen Spannungen.

Insbesondere die USA sind stark unter Druck. Trump versuchte daher seit Wochen, zwischen Moskau und Riad zu vermitteln. Für ihn ist das auch in Hinblick auf die Präsidentschaftswahl im November von großer Bedeutung. Denn der enorme Preisverfall ist mittlerweile existenzgefährdend für die eigene Schiefergasindustrie. Große US-Banken bereiten sich darauf vor, Schiefergasproduzenten „aufzufangen“ und vor dem Bankrott zu bewahren.

Poker mit lauter Verlierern

An besagtem 6. März vollzog Saudi-Arabien eine Kehrtwende in seiner Förderpolitik und kündigte an, ab sofort so viel Öl zu fördern wie nur möglich. Zuvor hatte sich Russland in tagelangen Verhandlungen geweigert, der von Riad geforderten drastischen Reduktion der Fördermenge zuzustimmen. Der Hintergrund: Wegen der Coronavirus-Epidemie in China war dort der Ölverbrauch drastisch eingebrochen. Das Land ist der Wachstumsmarkt für Öl weltweit. Daher wollte Riad mit Moskau eine kräftige Reduktion der Fördermenge vereinbaren, um den ohnehin schon gesunkenen Ölpreis vor einem weiteren Einbruch zu bewahren.

Arbeiter einer Fracking-Förderung in Colorado
AP/Brennan Linsley
Ölförderung in Rifle, im US-Bundesstaat Colorado: In den USA ist die Förderung beim aktuellen Preis kaum noch rentabel

Moskau wähnte sich im Vorteil

Doch Moskau spielte nicht mit, wollte zunächst abwarten und erst im Juni über einen Schnitt bei der Förderung reden. Für beide, Moskau und Riad, sind die Öleinnahmen überlebensnotwendig. Doch Russland hatte seine Budgets mit einem Ölpreis von rund 42 Dollar erstellt – Saudi-Arabiens Planung beruht dagegen auf einem Ölpreis von rund 80 Dollar, so „Foreign Affairs“. Moskau sah sich daher am längeren Hebel – bis Riad die Reißleine zog.

Moskau reagierte seinerseits ebenfalls mit einer Erhöhung der Fördermenge, was die Ölpreise weiter in den Keller trieb. Dieser Poker ging für beide Seiten und die weltweite Ölindustrie nach hinten los. Parallel zum Ölpreis sank und sinkt mit der globalen Ausbreitung der CoV-Pandemie nämlich auch der Verbrauch immer weiter – das Öl aber sprudelt weiter.

Nächste Kaskade droht

Spätestens Anfang Mai dürften alle Lager weltweit randvoll sein, schätzte das Londoner Brancheninformationsdienst IHS Markit die Lage noch vor der jüngsten OPEC+-Einigung ein.

Sollte das passieren, werden die Preise noch stärker fallen und Ölfelder geschlossen werden. Das würde vor allem US-Schiefergasproduzenten treffen, weil deren Ölförderung deutlich teurer ist als die in Russland oder Saudi-Arabien. Dass dieses Szenario auch nach dem jüngsten Kompromiss weiterhin möglich ist, zeigt die Reaktion der US-Banken, die sich für eine Pleitewelle rüsten. Die mittelfristige Folge wäre, dass die USA deutlich an Marktanteilen und Zehntausende Jobs verlieren würden – und wohl wieder verstärkt Öl importieren müssten.

Putin setzt Trump unter Druck

Da wird auch die Forderung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, auch die USA müssten ihre Fördermenge um fünf Millionen Fass pro Tag reduzieren, auf wenig Begeisterung bei Trump stoßen. Dieser hat auch gar nicht die gesetzliche Handhabe dazu – sehr wohl aber der ölreiche Staat Texas, der die Produktion mit einer zuletzt vor Jahrzehnten genutzten Sonderregelung drosseln kann.

Auch wenn im Ölgeschäft derzeit nichts mehr läuft wie gewohnt – eines ist klar: Der Ölmachtkampf wird vorerst weiter im Schatten der alles beherrschenden Pandemie geführt werden. Ausgang: völlig offen.