Ein NGO-Mitarbeiter legt einem Kind im Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos eine Schutzmaske an
APA/AFP/Manolis Lagoutaris
EU-Flüchtlingspolitik

Griechenland siedelt erste Minderjährige um

Die Zustände in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln gelten seit Langem als untragbar. Durch den Ausbruch der Coronavirus-Pandemie hat sich die Situation zusätzlich verschärft. Nach langatmigen Debatten der EU-Staaten beginnt Griechenland nun aber mit der Umsiedelung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter. Doch auch in Libyen, wo mehr als eine halbe Million Menschen auf einen Fluchtweg nach Europa warten, bleibt die Lage prekär.

Griechenland begann am Mittwoch mit der Umsiedlung von mehr als 60 unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten aus Lagern der Inseln Lesbos, Chios und Samos. Zwölf Kinder seien in der Früh aus Athen nach Luxemburg abgeflogen, wie eine Sprecherin des Flughafens von Athen der dpa sagte. Wie das Migrationsministerium in Athen mitteilte, sollen am Samstag 50 Minderjährige aus Griechenland nach Deutschland fliegen.

Anfang März hatten sich acht EU-Länder, darunter Deutschland, bereit erklärt, insgesamt 1.600 unbegleitete Minderjährige aus den überfüllten Flüchtlingscamps aufzunehmen. Die türkis-grüne Bundesregierung in Österreich lehnt eine Aufnahme schutzbedürftiger Kinder weiterhin ab.

Kleinkinder vor einem Zelt in freiem Gelände auf der griechischen Insel Lesbos
AP/Panagiotis Balaskas
Insgesamt 1.600 unbegleitete Minderjährige sollen von den überfüllten Flüchtlingscamps auf EU-Länder verteilt werden

Zuerst in Quarantäne

In Deutschland sollen die Neuankömmlinge wegen der Coronavirus-Pandemie zunächst 14 Tage lang in Niedersachsen in Quarantäne kommen. Danach würden sie auf die Bundesländer aufgeteilt, hatte ein Sprecher des deutschen Innenministeriums mitgeteilt.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kritisierte unterdessen den Umgang der griechischen Regierung mit Hunderten unbegleiteten Flüchtlingskindern, die aus Platzmangel in „unhygienischen Polizeizellen und Haftanstalten“ festgehalten würden. Die Kinder seien wegen der schlechten hygienischen Umstände außerdem einer erhöhten Gefahr einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus ausgesetzt.

Angst vor Ausbreitung in den Lagern

Griechenland hat zuletzt rund 100.000 Asylsuchende vorübergehend aufgenommen. Besonders prekär ist die Lage auf den ägäischen Inseln, denn die Bedingungen in den überfüllten Flüchtlingslagern sind oftmals katastrophal. Menschenrechtsgruppen befürchten angesichts der Coronavirus-Krise eine Katastrophe, vor allem im Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos. In dem für weniger als 3.000 Menschen ausgelegten Camp leben inzwischen rund 20.000. 1.000 besonders gefährdete Menschen sollen nun in leerstehende Hotels umziehen, teilte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am Dienstag auf Twitter mit.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Ende Februar erklärt, die Grenze zur EU sei für Geflüchtete offen. Daraufhin brachen Tausende Menschen auf, um auf dem Landweg aus der Türkei nach Griechenland zu gelangen. Griechenland ließ sie jedoch nicht passieren. Ein Flüchtlingspakt mit der EU von 2016 sieht eigentlich vor, dass die Türkei Migration in die EU stoppt und Menschen zurücknimmt, die kein Asyl in Griechenland bekommen. Im Gegenzug erhält sie unter anderem finanzielle Hilfe. Erdogan kritisierte, die EU habe ihre Versprechen nicht gehalten. EU-Politiker und Politikerinnen warfen Erdogan vor, Geflüchtete für seine politischen Ziele auszunützen.

Malta fordert „sofortige humanitäre Mission“

Da es innerhalb der EU nach wie vor keinen Konsens zur Aufnahme und Verteilung Geflüchteter gibt, spitzt sich die Lage vor allem auf den Seewegen immer wieder dramatisch zu – so etwa auch vor der libyschen Küste. Dem maltesische Außenminister Evarist Bartolo zufolge warten derzeit mehr als 650.000 Menschen in einer zunehmend verzweifelten Lage in Libyen auf eine Möglichkeit, nach Europa zu gelangen.

Malta hat von der Europäischen Union daher eine „sofortige humanitäre Mission“ in Libyen gefordert. In dem von Bürgerkrieg und der Coronavirus-Epidemie heimgesuchten Land drohe sonst eine „humanitäre Katastrophe“, warnte Bartolo.

Der maltesische Außenminister schlug eine Soforthilfe in Höhe von 100 Millionen Euro vor. Mit dem Geld sollten Nahrung, Medikamente und Schutzausrüstung an die Bevölkerung und die Flüchtlinge verteilt werden. Die Hilfe könne die mehrheitlich aus Staaten südlich der Sahara stammenden Menschen dazu bewegen, in Libyen zu bleiben, „statt ihr Leben auf dem Mittelmeer zu riskieren“.

Häfen wegen Pandemie geschlossen

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hatte seit Freitag vier Boote mit knapp 260 Menschen im Mittelmeer zwischen Libyen und Malta entdeckt. Zwei der Schlauchboote seien inzwischen in Sizilien eingetroffen, die beiden anderen befänden sich noch vor der Küste Maltas, erklärte sie am Montag. Die Insassen eines Bootes wurden nach Angaben der spanischen Seenotrettungsorganisation SMH auf Bitten Maltas von ihrem Schiff „Aita Mari“ aufgenommen – eine offizielle Bestätigung ist allerdings noch ausständig.

Auf den Rettungsschiffen „Alan Kurdi“ und „Aita Mari“ warten vor Italien und Malta fast 200 Menschen auf eine sichere Zuflucht, berichtete die Organisation Sea-Eye am Dienstag. Italien und Malta haben wegen der Coronavirus-Pandemie alle ihre Häfen geschlossen, auch für Schiffe mit aus Seenot geretteten Flüchtlingen. Die Entscheidung wurde von Seenotrettungsorganisationen heftig kritisiert.