Schauspielerin Erni Mangold im ORF.at-Interview
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Erni Mangold

Jung und wild im zerbombten Wien

Sieben Jahrzehnte auf der Bühne, mit über 90 noch am Filmset, als Lehrerin eine Institution: Erni Mangold hat viel gesehen. Als junge Schauspielerin erlebte sie das Ende des NS-Regimes, ging durch Nachkriegsjahre voller Gefahren und Abenteuer und war Teil einer Bühnen- und Filmlandschaft der jungen Zweiten Republik, an der immer noch der alte Nazi-Geist haftete. Zum 75. Jahrestag des Kriegsendes sprach Mangold mit ORF.at über diese Zeit – wie gewohnt mit Witz und Widerborstigkeit.

„Das Kriegsende brachte für mich als 18-Jährige das schönste Gefühl, das ich fast je in meinem Leben hatte. Das war dieses Freiheitsgefühl. Dieses Gefühl, das man eigentlich niemandem geben kann. Man kann das nicht vermitteln“, erzählt Mangold. Denn der 27. April 1945 bedeutete nicht nur das Ende der NS-Schreckensherrschaft, sondern auch Hoffnung auf die Beseitigung gesellschaftlicher Zwänge.

„Die politischen Erwartungen waren, dass wir jetzt dran sind, dass die Tabus weg sind, dass die blöden Barockengerl weg sind“, so Mangold, dass man „sagen kann, was man will, und beruflich was werden kann. Man war sehr positiv eingestellt, bis man gemerkt hat: Der Finger da oben ist immer noch da.“ Und doch begann für sie eine neue Lebensphase, flankiert von Freunden wie Helmut Qualtinger und dem Fotografen Ernst Haas. Als „junge Wilde“ eroberten sie sich das Nachkriegswien zurück. „Es hat halt der erste Bezirk uns gehört“, so die 1927 geborene Kammerschauspielerin heute.

Walzer mit den Russen

Doch davor musste noch das Kriegsende kommen. Dessen Ausrufung über Radio hörte Mangold im achten Stock des Hochhauses in der Wiener Herrengasse. Sie hatte die Wohnung ihrer Eltern verlassen und sich bei einer Freundin einquartiert, weil die Angst vor der Roten Armee grassierte. „Ich bin aus dem zweiten Bezirk weg. Sie wollten uns junge Mädchen im Keller einsperren, weil sie gesagt haben, wir werden alle vergewaltigt. Ich habe gesagt, ich will nicht hinter der Wand stehen und warten, bis sie kommen.“

Schauspielerin Erni Mangold 1950
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Mangold, rund um das Jahr 1950: In Wahrheit waren ihr Make-up und stundenlanges Frisieren stets zuwider

Dort begegnete sie russischen Offizieren, tanzte zum ersten Mal nach dem Krieg Walzer. Diese Begegnungen werden wie vieles in dieser Zeit zur Gratwanderung: „Diese Offiziere waren eigentlich okay. Bis auf die Tatsache, dass ich nachts, wenn ich schon in meinem Bettchen gelegen bin, immer hörte: ‚Wo ist Fräulein.‘ Und wenn man das hörte, musste man sich vertschüssen, weil auch die Offiziere Lust hatten auf ein Fräulein.“ Mangold kletterte daraufhin von Balkon zu Balkon und versteckte sich.

Ein Kuss zum Kriegsende

Die Ausrufung des Kriegsendes hat die 18-jährige Erni Mangold mit einem Kuss gefeiert.

Stets im Abwehrkampf

Derartige Erlebnisse über den Abwehrkampf einer Frau gegen unerwünschte Zudringlichkeiten ziehen sich durch Mangolds Erzählungen wie ein roter Faden. Durch ihre Attraktivität firmierte sie in der Wiener Gesellschaft rasch als „Sexbömbchen“, wie sie selbst sagt – und wurde damit nicht nur in Schubladen einsortiert, sondern sah sich auch ständig Übergriffen ausgesetzt.

Doch Mangold ist bekanntlich schlagfertig. Das liegt sicher auch daran, dass sie als Wildfang aufgewachsen ist, im Wirtshaus ihrer Großeltern im niederösterreichischen Großweikersdorf. Es gab aber nicht nur das Landleben, von den Eltern kam eine kreative Ader. Die Mutter wäre ohne Familienpflichten gerne Konzertpianistin geworden, der Vater – im Brotberuf Lehrer – war ein berufener Kunstmaler. Eines seiner Motive: die Tochter, die sich bis heute mit seinen Gemälden umgibt.

Erni Mangold zeigt im ORF.at-Interview ein von ihrem Vater erstelltes Gemälde, das ein Porträt der Schauspielerin zeigt
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Mangold und ihren Vater verband eine enge Beziehung

Der Vater war es auch, der sie zu einer Karriere als Schauspielerin animierte. Schon als 15-Jährige bewarb sie sich 1942 am Max Reinhardt Seminar, an das sie später als Lehrerin zurückkehren sollte. „Ich dachte, das ist ein Refugium, da bist du geschützt, da ist alles wunderbar. Dabei waren lauter Nazi dort.“

Weil sie „Guten Tag“ statt „Heil Hitler“ gesagt habe und obendrauf noch ihren bürgerlichen Namen Ernestine Goldmann führte (eine mögliche jüdische Abstammung der Familie sei „nicht ganz klar“ gewesen), sei sie abgelehnt worden. Man habe ihr gesagt, sie sei „menschlich noch nicht so weit“. „Damals habe ich nicht verstanden, was das heißt. Wenn du 15 bist, verstehst du das nicht. Wenn einer sagt: Du bist menschlich noch nicht so weit.“

„Mit Kriegsgut wirft man nicht!“: Mangold über die NS-Zeit

Im Jahr des Kriegsendes war Erni Mangold 18 Jahre alt. Während der NS-Zeit musste sie unter anderem Zwangsarbeit leisten.

„Und dann begann natürlich das große Abenteuer“

Fahrt nahm Mangolds Karriere dann während der Besatzungszeit auf. Während sich andere aufs Land zurückzogen, landete sie schon 1946 als 19-Jährige am Theater in der Josefstadt, wo sie fast zehn Jahre bleiben sollte. Die Sowjets legten großen Wert auf einen raschen Neustart der Kultur, und die Josefstadt war eine jener vier Bühnen, die nach Kriegsende den Betrieb wiederaufnehmen konnten.

In diesen Jahren begann für Mangold auch die Freiheit: „Zwischen 18 und 19 hat man nur abenteuerlich gelebt.“ Sie reiste, zog mit Freunden durch das zerbombte Wien, hat ihre „Pubertät nachgelebt. Weil zwischen zwölf und 18 war ja null.“ „Irgendwann“ lernte sie dann Qualtinger kennen. Und dann „begann natürlich überhaupt das große Abenteuer“.

Ein Sprung in den Brunnen

Qualtinger „war ziemlich radikal. Wir haben Nazi-Villen besetzt – das nannten wir so, wenn wir in der Nacht eingebrochen sind und uns mit dem Alkohol, der dort war, vollgeschüttet haben, zum Fressen gab’s ja nix. Und im Keller waren wahnsinnig schöne Stoffe. Es gab natürlich auch Schleichhandel. Weil sie reich und Nazis waren, haben sie sich das beschaffen können.“ Qualtinger „war das nicht recht, aber ich hab’s trotzdem mitgenommen“.

Legendäres Treffen im Gutruf 1966 mit Helmut Qualtinger, Erni Mangold, Schriftsteller Otto Kobalek, Kolumnist Günther Fritsch, Erich Sokol, Geschäftsmann Putzi von Preuss
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Qualtinger, Mangold, Künstler Otto Kobalek, Kolumnist und Vater des „Heiteren Bezirksgerichts“ Günther Fritsch und Karikaturist Erich Sokol bei einem Treffen im Cafe Gutruf in den 1960er Jahren

„Man ist durch Wien gezogen, man hat sich nackt ausgezogen und ist – da gab’s zum ersten Mal schon ein bisserl Wasser – nackt in den Brunnen gesprungen. Das war einem völlig wurscht. Und der Qualtinger hat immer gesagt: ‚Waßt eh, die Russen fürchten sich vor uns.‘ Ich hab gesagt: ‚Glaub a.‘ Wir haben grauenhaft ausgeschaut.“ Gelebt habe sie von „fünf oder sechs Grahamweckerln und etwa sechs, sieben Wassereis am Tag“. Dazu: „Einen halben, dreiviertel Liter grauenhaften Wein – ich hab immer gekotzt am nächsten Tag. Das war unsere Nahrung. Natürlich war ich sehr oft betrunken, und es ging mir ganz schlecht.“

„Wenn ich da nicht auskomm, wird’s schlecht“: Ein gefährliches Erlebnis an der Grenze

Erni Mangold über ein Erlebnis in der Nachkriegszeit, das zeigte, wie schnell Gewalt eskalieren konnte.

Es ging aber nicht nur darum, sich die Hörner abzustoßen. Die „kulturhungrige“ Clique habe auf gesellschaftlichen Wandel und politische Veränderung gehofft. „Es interessierte uns, dass wir jetzt dran sind und dass wir frei sind und endlich machen können, was wir wollen. Dass wir die nächste Generation sind. Das hat aber alles nicht gestimmt, weil zwei oder drei Jahre später waren die alten Nazi wieder da. Du warst nicht gefragt als junger Mensch. Du musstest dich hinten anstellen, und das war eine ziemliche Enttäuschung.“

„Ein altes Nazi-Haus“

Zur Ernüchterung trug auch Mangolds Engagement am Theater in der Josefstadt bei: „Als ich das bekommen hab, hat der Qualtinger damals zu mir gesagt: ‚Um Gottes willen, du kannst doch nicht in die Josefstadt gehen!‘ Ich hab das damals nicht verstanden. Er hat nicht mehr gesagt. Nachher hab ich gewusst, warum, weil das ein altes Nazi-Haus war. Aber das war mir dann auch wurscht, weil ich wollte ein bisschen ein Geld haben und mir ein bisschen was leisten, und das hab ich dann halt gehabt.“

Theater in der Josefstadt 1948
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Das Theater in der Josefstadt 1948

Qualtinger habe gewusst, dass „da viele böse Sachen passiert sind“, so Mangold. „Dass das Theater ‚befreit werden musste‘ von den Juden.“ Zu sprechen kommt Mangold dabei auf Ensemblemitglied Erik Frey, der „ein schrecklicher Denunziant“ gewesen sei. Frey war seit 1934 bei der NSDAP und wirkte auch beim „Umbau“ des Theaters mit. Während einer Vorstellung im April 1938 holte er den jüdischen Theaterdirektor Rudolf Beer aus der Loge. Beer wurde von NS-Schlägern misshandelt, wenig später tötete er sich selbst. Frey leugnete stets, von den NS-Gräueln Bescheid gewusst zu haben. Er blieb bis 1988 an der Josefstadt, Mangold spielte mehrfach mit ihm gemeinsam.

Abkehr von den Klassikern

Viel blieb nach dem Krieg hinter den Bühnen konstant, auf den Bühnen änderte sich aber doch einiges, so Mangold: „Es kamen neue Stücke, die man vorher nicht spielte. Stücke, die märchenhafter waren. Anders als in der Hitler-Zeit, wo es nur Klassiker gab.“ Diese seien sehr, sehr gut angekommen. „Teils hatten die Wiener kulturell Schwierigkeiten, aber war halt was Neues.“ Zusätzlich kamen in die USA emigrierte Schauspieler und Schauspielerinnen zumindest zeitweise zurück und brachten frischen Wind mit.

Schauspielerin Erni Mangold zeigt während eines ORF.at-Interviews ein historisches Foto
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Mangold und ein Kinderfoto: Schon als Mäderl verweigerte sie die Strümpfe

Obwohl Mangold eine „Batznkarriere“ in den USA prophezeit wurde, blieb sie in Österreich. Eine Filmkarriere gab es für sie trotzdem. Zu ihren ersten Filmen gehörte „Abenteuer im Schloss“ (1952), der noch unter der sowjetischen Besatzungsmacht in den ehemaligen Wiener Rosenhügel-Filmstudios produziert wurde. „Das war damals geführt von den Russen, die haben auch solche Filme gefördert. Musste auch dementsprechend sein, der Film.“

Bergecho und Alpenglühen

Es war die Epoche des Heimatfilms, von Alpenidyll und Dirndlromantik, und auch Mangold entkam dem nicht ganz. 1954 spielte sie in „Echo der Berge“ (auch: „Der Förster vom Silberwald“). Der Film entstand mit der Intention, Österreich wieder in den Tourismus zu bringen. Man wollte „die schöne Landschaft zeigen, die braven Österreicher, die schönen Almen, die wunderbaren Bäume und Wälder, die wunderbaren Rehe, wir sind ja alle wunderbar, und so schön bei uns, und Ding. Da wurde ein Film gedreht, für den bekamen wir auch kein Geld. Ich bekam dann eine silberne Puderdose.“

Der Film sei zum „Aushängeschild“ geworden und habe auch Leute hereingelockt. Kritische Filme habe es hingegen wenige gegeben. „Es gab mehr diese Almenfilme und Dirndlfilme, die ich nicht gemacht habe – dazu hat man mich auch nicht genommen.“ Man habe ihr einmal gesagt, dass sie nicht „das Gesicht dieser Zeit hat. Was immer das heißen mochte.“ Und auch die für den Heimatfilm benötigte „süßliche Art“ habe ihr gefehlt – „weil ich bin halt immer ein bisserl realistisch gewesen“.

Weinen? Sicher nicht!

Mangold über ein Erlebnis während den Dreharbeiten zu „Hanussen“.

Doch Mangold sollte ohnehin nicht mehr lange in Österreich bleiben. 1955 ging sie nach Hamburg und spielte unter Gustaf Gründgens am Deutschen Schauspielhaus. Dort heiratete sie auch Heinz Reincke, mit dem sie bis 1978 zusammenbleiben sollte. In Hamburg war man mit dem Wiederaufbau schon weiter. „Ich habe gedacht, ich träume. Ich hab überhaupt nicht gewusst, dass es das alles gibt. Ich stand vor Geschäften, wo die ganzen Auslagen voll waren mit Lebensmitteln, die kannte ich alle gar nicht.“ Im Gegensatz zu Hamburg sei Wien „Sibirien gewesen. Ja, Sibirien haben wir lange gehabt.“

Für Frauen „manches besser“

Mittlerweile kann die 93-Jährige auf Dekaden in ihrer Branche zurückblicken, und ihre Anekdoten lassen wenig Zweifel daran, dass es für Frauen dort speziell schwierig war. Mittlerweile sei „manches besser“ geworden, vieles aber immer noch schwierig. Es gebe zwar mehr erfolgreiche Regisseurinnen und Autorinnen, deren Arbeit werde aber nach wie vor nicht gleich entlohnt.

Schauspielerin Erni Mangold im ORF.at-Interview
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Nimmt sich kein Blatt vor den Mund: Erni Mangold

Verbesserungen habe auch die „MeToo“-Bewegung gebracht. Das Problem mit sexuellem Missbrauch in der Branche sei nicht so schlimm gewesen wie in den USA, die „ordinäre und miese Tour eines Harvey Weinstein“ habe es nicht gegeben, auch „dass du da vor Vergewaltigungen fast nicht davongekommen wärst, das war nicht der Fall“. „Arg“ sei es in Österreich aber trotzdem gewesen. Schauspielerinnen seien etwa oft dazu gedrängt worden, Verträge nur am Abend zu unterschreiben. Und es habe einige Personen gegeben, die „sehr, sehr unangenehm waren. Die nicht locker ließen, und die dich bedrängt haben.“

Als Frau musste man sich hinauswinden und herausreden, dann sei man auch in Ruhe gelassen worden: „Wenn man nicht drauf eingeht, hat man die Chance gehabt, dass man auskommt. Du hast halt gewisse Sachen vielleicht nicht bekommen, das stimmt schon, das waren Schwierigkeiten.“ Bei ihr sei es etwa zu keiner Zusammenarbeit mit dem Regisseur Franz Antel gekommen, weil sie nicht mit ihm schlafen wollte: „Und wie ich über 40 war, hab ich dann bei ihm ‚Sie nannten ihn Krambambuli‘ gedreht und gesagt: ‚Na schau!‘ Und er sagt zu mir: Naja, weil i scho oid bin.“ Mangold ließen solche Erpressungsversuche kalt. Wenn sie deswegen keine Rolle bekam, war ihr das „wurscht, das war mir damals immer völlig egal“.

Karriere mit 60, 70, 80, 90

Konnte es auch: Zwar brachte die Rückkehr nach Wien der Schauspielerin eine Durstrecke („Mir wurde mitgeteilt: ‚Ah, du bist eh verheiratet, da geht’s dir eh gut‘“), doch später folgten umso mehr Karrierehochs. „Mit 60 hab ich eigentlich noch einmal Karriere gemacht und mit 70, 80 noch einmal. Also eigentlich ist es dann bis 90 wieder bergauf gegangen.“

Und das bis heute. Mangold steht immer noch vor der Kamera, als nächstes wird sie in der ORF-BRD-Koproduktion „Schöner Schlamassel“ zu sehen sein. Nur vom Theater hat sie sich 2017 mit „Harold und Maude“ verabschiedet. Bilanziert sie heute, lässt Mangold wenig Zweifel daran, wie sehr sie auch der Krieg und die Jahre danach geprägt haben. Sie sei dadurch „erwachsen geworden“, sagt Mangold. „Ich denke, es war sehr wichtig, dass ich das Ganze erlebt habe. Ich bin nicht traurig darüber.“