Segeljachten vor den Jungferninseln
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Ankern und abwarten

Die CoV-Gefangenen der Karibik

Anker werfen und abwarten: Das heißt es jetzt für Hunderte Segler, die wegen der Coronavirus-Pandemie auf den US-amerikanischen Jungferninseln in der Karibik festsitzen – nicht nur zu ihrem, sondern auch zum Leidwesen der Einheimischen.

Weil in einigen Wochen die Hurrikansaison beginnt, versuchten viele Segler, ihre Jacht aus der Unwetterzone aufs sichere US-Festland zu bringen. Aber auch die Inselstaaten der Karibik hatten weitreichende Quarantänemaßnahmen getroffen, ihre Häfen geschlossen und Einschränkungen von Kontakten wie in Europa verordnet.

Einige Jachten irrten daher von Insel zu Insel, wie die „New York Times“ berichtete, durften nicht einmal einlaufen und einen Zwischenstopp einlegen, etwa um Wetterfenster abzuwarten oder das Schiff zu proviantieren, Diesel und Wasser zu bunkern. Auf der Suche nach einem Zufluchtshafen blieben die meisten auf den US-amerikanischen Jungferninseln – bestehend aus St. Thomas, St. John, St. Croix und Water Island – hängen. Deren Gouverneur Albert Bryan Jr. begrüßte die Gestrandeten am 27. März in einem „sicheren Hafen unter dem Schutz der US-Flagge in dieser schweren Zeit“.

„Noch nie so viele Schiffe“

Auf türkisblauem Wasser ankert seither vor den Ufern der Inseln die größte Anzahl von Booten, die lokale Behörden jemals gezählt haben – bis zu 600 Jachten aller Größen tummeln sich an provisorischen Anlegeplätzen in einer einzigen Bucht, um ein Vielfaches mehr als sonst. „Hier sind alle auf einmal zusammengekommen“, sagte Jean-Pierre Oriol, Kommissar der Abteilung für Planung und natürliche Ressourcen der Jungferninseln, der dort seit zwei Jahrzehnten arbeitet. „Ich habe in diesem Gebiet noch nie so viele Schiffe gesehen.“

Segeljachten vor den Jungferninseln
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Davonsegeln ist keine Option

Normalerweise fahren Segler zu dieser Jahreszeit von Hafen zu Hafen durch die Karibik und genießen die Strände. Diese sind aber geschlossen, und die Seeleute auf ihren Jachten gefangen, denn nur um das Nötigste zu besorgen, dürfen sie an Land. Segel setzen und davonschippern ist keine Option, denn den Ankerplatz verlassen hieße zu riskieren, keinen weiteren Hafen mehr anlaufen zu können, schrieb die „New York Times“.

Die Jacht unbemannt zurückzulassen sei ebenfalls keine Option: Zum einen gebe es keine Flüge von den Inseln, zum anderen seien die Boote in der Hurrikanzone nicht versichert. Viele würden aber auch erst nicht zurück wollen, weil sie fürchten, sich zu Hause mit dem Coronavirus anzustecken. An Bord ihres Schiffes fühlten sie sich dagegen sicher.

Wasserqualität „unbekannt“

Die Inselbewohner jedoch sind nicht nur über eine im Falle eines Coronovirus-Ausbruchs ohnehin begrenzte medizinische Versorgung besorgt, sondern auch über Schäden für das empfindliche Meeresökosystem. „Wir haben nicht die Ressourcen, um mit dem großen Zustrom fertigzuwerden“, sagte der regionale Senatsvorsitzende Marvin A. Blyden. Sorgen mache die Entsorgung von Exkrementen und Abfall. Die meisten großen Häfen verfügen über Abpumpstationen, die Jungferninseln aber nicht. Die Segler müssen daher ihren Müll ins Meer kippen und sind angehalten, dafür aufs offene Meer hinauszufahren.

Segeljachten vor den Jungferninseln
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In Selbstisolation an Bord

Dass bei ihrer Rückkehr oft ein Kampf um die provisorische Anlegeboje entsteht, ist laut „New York Times“ die eine Seite der Medaille, die andere sind die Auswirkungen auf die Umwelt, wie auch Leigh Fletcher, Präsident des Ocean-Systems-Laboratoriums, das die Wasserqualität prüft, warnte. Seit Ende März seien die Tests jedoch ausgesetzt. Viele Schiffe entleeren Exkremente und Abfall außerdem außerhalb des Testgebiets, so Fletcher.

Und obwohl die öffentlichen Strände geschlossen wurden, gaben die Behörden die Warnung aus, dass „die Wasserqualitätsstandards für sicheres Schwimmen oder Angeln an Stränden im gesamten Gebiet unbekannt“ sei. Einige Bewohner schlossen sich in Eigeninitiative zusammen und fahren nun von Jacht zu Jacht, um den Müll zu sammeln. Auch Fletcher gehört dazu, seine „Poseidon“ sei mit drei 300-PS-Motoren „ein sehr, sehr schnelles Müllboot“, sagte er der „New York Times“. Die Gebühr von fünf US-Dollar pro Müllsack bringe dabei keinen Gewinn, es gehe ausschließlich um Problemlösung.

Fluch der Karibik

Die Inselbewohner fürchten aber auch, dass sich durch die vielen Gäste die Ausbreitung des Coronavirus verstärken könnte. Das Virus war im März auf den Jungferninseln angekommen. Bis Mitte April wurden etwas mehr als 50 Covid-19-Fälle und drei Todesfälle gemeldet. Restaurants und Bars haben daher geschlossen. Lokale Gesundheitsbehörden prognostizieren mehr als 20.000 Infektionen und mehr als 100 Krankenhausaufenthalte, wenn die Menschen die Maßnahmen einhalten.

Die US-amerikanischen Jungferninseln würden mit 20 Intensivbetten und 127 Beatmungsgeräten nicht über die Ressourcen verfügen, um einen Ausbruch zu bewältigen. In der Hoffnung, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, hat die lokale Regierung daher an Bewohner und Segler einen Fragebogen ausgegeben, der den jeweiligen persönlichen Gesundheitszustand checkt. Seglern, die ein Ankern in der Karibik als Fluch sehen und lieber die Flucht ergreifen wollen, bleiben zwei kaum realisierbare Möglichkeiten: einen Skipper zu organisieren oder sich zu einem Konvoi zusammenzuschließen und davonzusegeln – wohin auch immer.