Kunstkammer Wien
ORF.at/Zita Klimek
Bundesmuseen

Unmut über Schließungen

Wann öffnen jetzt welche Museen und warum manche erst später? In den vergangenen Tagen hat ein Kommunikationsschlamassel Fragen aufgeworfen, die über die Coronavirus-Krise weit hinausreichen. Ist Österreich nur für Touristen eine Kulturnation?

Zunächst hörte man wochenlang gar nichts. Dann sagte Ulrike Lunacek (Grüne), die zuständige Staatssekretärin, dass alle Museen ab Mitte Mai öffnen dürfen, die Bundesmuseen aber erst ab 1. Juli öffnen möchten. Diese Irritation bedurfte einer Erklärung. Warum sollen gerade jene Museen, die Sammlungen im Eigentum des Steuerzahlers verwalten, erst später öffnen?

Es dauerte keine Stunde, und die Generaldirektorin der Nationalbibliothek und aktuelle Vorsitzende der Bundesmuseenkonferenz, Johanna Rachinger, versuchte die Irritation im Ö1-Mittagsjournal aufzulösen. Die Bundesmuseen hätten einen großen Teil der Mitarbeiter bis Ende Juni in Kurzarbeit geschickt, Renovierungsarbeiten seien vorgezogen worden.

KHM-Direktorin Haag zur Öffnung von Museen

Museen öffnen wieder. Kunst und Kultur drohen aber Langzeitschäden. Sabine Haag, Direktorin des Kunsthistorischen Museums, äußert sich zur Öffnung der Museen.

„Nicht direkt eingebunden“ und „keine Weisungen“

Wenige Stunden später bekräftigte Sabine Haag, die Direktorin des Kunsthistorischen Museums (KHM), diese Begründung in der ZIB2. Die Bundesmuseen seien in guter Abstimmung mit der Politik, und ein gemeinsames Vorgehen sei ihnen wichtig. Nur: Das Gremium der Bundesmuseen ist in dieser Frage gar nicht zusammengekommen, um einen offiziellen Beschluss zu fassen.

Christian Köberl, Generaldirektor des Naturhistorischen Museums (NHM), immerhin eines der größten Bundesmuseen, sagt gegenüber ORF.at: „Ich darf anmerken, dass wir vom NHM nicht direkt in irgendwelche derartigen Erörterungen eingebunden waren, und vom Ministerium in dieser Sache keine schriftlichen Weisungen bekommen haben.“

Naturhistorisches Museum
ORF.at/Sonja Ryzienski
Blick auf das Naturhistorische Museum

Forschen, sammeln

Freilich ist das Naturhistorische Museum auch in anderer Weise betroffen, ist es doch die einzige Institution, die unter das Bundesmuseengesetz fällt, in der aktuell noch keine Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt wurden. Inzwischen wurden die Mitarbeiter für den Besucherbetrieb für Mai und Juni zur Kurzarbeit angemeldet, eine Bewilligung steht noch aus. „Wir machen ab Anfang Mai mit der Forschung und Sammlungsbetreuung weiter, denn dieser Bereich ist bei uns weitaus größer als die Ausstellung, in der nur rund ein Prozent der Sammlungsobjekte gezeigt werden. Das NHM kann nicht direkt mit den Kunstmuseen verglichen werden.“

Daraus ergibt sich, dass das Naturhistorische Museum sehr wohl früher öffnen könnte als am 1. Juli, aber aus betriebswirtschaftlicher Perspektive sei es nur wenig sinnvoll, sagt Köberl und gibt damit Rachinger und Haag recht. Also: Zumindest ein Konsens ex post, auch wenn an der Kommunikationsstrategie von Staatssekretärin und Bundesmuseen noch gearbeitet werden kann, damit nicht der Eindruck entsteht, mit den Steuergeldern macht hier jeder, was er will.

Diskussion: Existenzbedrohung für die Kulturnation

Ulrike Lunacek, Yvonne Gimpel, Herbert Föttinger und Christoph Klingler diskutieren über die Existenzbedrohung für die Kulturnation

„Die Touristen bleiben aus“

Fragen wirft aber vor allem der Konsens der Bundesmuseen auf, nicht zu öffnen. So sagte Rachinger in Ö1: „Dazu kommt auch, dass wir uns nicht erwarten, dass wir sehr große Besucherströme im Mai und Juni haben werden. Die Touristen bleiben aus, die Schulen werden auch nicht kommen, weil die Vorgaben haben, wie sie sich in Zeiten von Corona zu verhalten haben, und dann haben wir ja auch noch eine starke Zielgruppe von 60 plus, das ist eine gefährdete Zielgruppe.“

Albrecht Schröder, Direktor der Albertina, gab letzte Woche bekannt, dass die seit vier Jahren geplante Ausstellung „Modigliani – Picasso. Revolution des Primitivismus“ auf 2021 verschoben werde. „Wir können das finanzielle Risiko einer solchen Ausstellung nur tragen, wenn es wie zuletzt bei Dürer, Claude Monet oder der Matisse-Ausstellung eine realistische Chance gibt, mit mindestens 300.000 Besuchern rechnen zu dürfen. Diese realistische Chance sehe ich in diesem Jahr nicht“, so Schröder in einer Aussendung.

OENB-Geschäftsführerin Johanna Rachinger
APA/Herbert Neubauer
Johanna Rachinger, Direktorin der Nationalbibliothek und Vorsitzende der Bundesmuseenkonferenz

Wer geht ins Museum – und wer bezahlt?

Für kulturinteressierte Laien entsteht der Eindruck: Ohne Touristen rollt der Rubel nicht, da zahlt sich ein Museumsbetrieb nicht aus. Sind die Zielgruppe von Bundesmuseen also nur zwangsverpflichtete Schüler, Seniorinnen und Senioren mit geschenkten oder stark verbilligten Tickets und Touristen, die sowieso kommen, weil Touristen einfach in Museen gehen? Wie kommen die Museen an das Geld für ihre Budgets?

Die Antwort fällt für jede Institution anders aus: Der Bund, als Eigentümer der Sammlungen, zahlt den Bundesmuseen jährlich die sogenannte Basisabgeltung. Diese deckte im Jahr 2018, das sind die letzten verfügbaren Zahlen, für die Albertina rund 30 Prozent des Budgets, für das KHM rund 50 und beispielsweise für das NHM zwei Drittel.

Das kritische Sechstel

Das ist abhängig davon, ob ein Museum teure Ausstellungen mit Leihgaben produziert oder mehr an den eigenen Beständen Forschung betreibt. Laut dem Bundesmuseengesetz sind die Museen verpflichtet, die restlichen Mittel abseits der Basisabgeltung durch Kartenverkäufe, Sponsoring, Spenden und Vermietungen ihrer Räumlichkeiten zu lukrieren.

Warum also die Öffnung erst im Juli? Man kann nun entweder jedes Argument im Einzelnen diskutieren und damit die Sichtweise der Museumsbetreiberinnen und -betreiber übernehmen. Oder zwei Schritte zurücktreten und aus einer nur scheinbar naiven Vogelperspektive die Grundsatzfrage stellen: Wieso schaffen es die Museen nicht, mehr freiwillig zahlende, erwachsene Menschen aus Österreich anzuziehen? 2018 zählten 33 Prozent der Besucherinnen und Besucher zur Bevölkerung Österreichs. Konservativ gerechnet zahlt mehr als die Hälfte davon kein Eintrittsgeld (hauptsächlich Schüler).

Eingang zur Albertina in Wien
ORF.at/Dominique Hammer
Ohne Touristen nicht rentabel: die Albertina

Kernaufgabe der Res publica

Das wirft gleich auch noch Fragen in Bezug auf das Bildungssystem auf – das ja den Boden für echtes Interesse bereiten müsste. Die Kernaufgaben der Museen sind ja „Vermitteln, Sammeln, Bewahren, Dokumentieren, Forschen und Ausstellen“. 
Einen guten Eindruck davon vermittelt „Das große Museum“, eine Doku von Johannes Holzhausen aus dem Jahr 2014 über das Kunsthistorische Museum.

Eine naheliegende Lesart der Situation wäre: Wenn humanistische Bildung zurückgedrängt wird und man lieber auf kommerziell verwertbares Wissen setzt, wenn ganze Schultypen auf Kunstunterricht verzichten, zieht man eine Generation von Museumsmuffeln heran. Doch versteht man Kunst als Reflexion von Vergangenheit und Gegenwart, Spiegel und Korrektiv der Gesellschaft zugleich, dann kann man den Erfolg von humanistischer Bildung nicht an den Kennzahlen des Kunst- und Kulturmarktes messen, sondern am Reifegrad einer Demokratie. Mit dieser Erklärung würde die Finanzierung des scheinbaren Randbereichs Kultur zu einer der Kernaufgaben der Res publica.

Ähnich argumentiert Otto Hochreiter vom GrazMuseum, gleichzeitig Generalsekretär der ICOM Österreich gegen den Kommerz um des Kommerzes willen: „Museen sind leise und laut zugleich: Sie sind nicht nur der lauten Gegenwart des Ausstellunserfolgs und der Besucher/innen-Maximierung verpflichtet, sondern genauso der leisen Funktion als Gedächtnisspeicher der Gesellschaft.“ Dann müsste die Gesellschaft aber auch reingehen ins Museum.

Shoppingcenter ja, Museum nein

Faktum ist: Gerade in einer Zeit, in der ein großer Teil der Österreicher ins Museum gehen könnte, weil viele neben Kurzarbeit und reduziertem Homeoffice und mangels Urlaubsalternativen Zeit hätten, sind die Museen zu, während sich die Menschen in Baumärkten und bald auch wieder Shoppingcentern drängeln. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack in der Kulturnation.