Flaggen mit dem Zeichen der europäischen Union vor dem europäischen Paralmentsgebäude in Brüssel.
APA/AFP/Ludovic Marin
Vorerst 540 Mrd. Euro

Weiterer Schritt Richtung EU-Krisenfonds

Die EU wird in der Coronavirus-Krise gemeinsam mit bis zu 540 Mrd. Euro aushelfen – in Form von Krediten für Kurzarbeit, Unternehmen, Mitgliedsstaaten. Ein entsprechendes Paket war schon länger geschnürt gewesen, Donnerstagabend gab es nach einem Videogipfel der 27 EU-Partner grünes Licht. Grundsätzliche Differenzen bleiben aber nach wie vor.

Prinzipiell hatten sich die Finanzminister bereits zwei Wochen auf das Kreditpaket geeinigt. Es umfasst im Wesentlichen drei Dinge: ein „Sicherheitsnetz“ für Arbeitsplätze, für kleine und mittlere Unternehmen und für angeschlagene Staaten wie Italien oder Spanien, die ohnehin verschuldet sind und nun auch noch von der Coronavirus-Pandemie schwer getroffen werden.

Dazu gehört das Konzept „Sure“ der EU-Kommission, das Kurzarbeiter in den Mitgliedsstaaten unterstützen soll. Dafür sollen sie 25 Mrd. Euro als Garantien hinterlegen. Mit dieser Rückendeckung nimmt die Kommission bis zu 100 Milliarden Euro zu günstigen Konditionen am Kapitalmarkt auf und reicht sie nach Bedarf für Kurzarbeit an EU-Staaten weiter. So sollen Jobs gesichert werden.

Auch Geld aus dem ESM

Zweiter Punkt ist ein Garantiefonds bei der Europäischen Investitionsbank (EIB), den die EU-Staaten ebenfalls mit 25 Mrd. Euro bestücken sollen. Damit könnte wiederum die EIB Unternehmenskredite absichern. Sie will derart bis zu 200 Mrd. Euro an Liquidität bereitstellen, hauptsächlich für mittelständische Unternehmen, wie es hieß.

Das dritte Element sind vorsorgliche Kreditlinien des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Anders als seinerzeit während der Euro-Krise werden für diese „Pandemie-Krisenhilfe“, wie es am Donnerstag hieß, keine Sparprogramme gefordert. Es gibt nur eine Vorgabe: Das Geld darf nur für direkte oder indirekte Gesundheitskosten verwendet werden. Bis zu 240 Milliarden Euro an Krediten könnten fließen – an jedes Empfängerland bis zu zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Um Wiederaufbaufonds wird noch gefeilscht

An die EU-Kommission hätten die Staats- und Regierungschefs den Auftrag erteilt, einen Fonds zum Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Coronavirus-Krise („Recovery Fund“) auszuarbeiten, hieß es weiter. Er solle an den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) angedockt werden.

Bis zum 6. Mai solle die Kommission einen neuen Vorschlag für den MFR für die Jahre 2021 bis 2027 unterbreiten. Die grundsätzliche Einigung erfolgte am Donnerstag beim mittlerweile vierten EU-Gipfel per Video. Es gab Differenzen über die Bestückung des Fonds, die Rede war von bis zu 1,5 Bio. Euro gewesen.

„Sehr harte Positionen“

Diese 1,5 Billionen forderte am Donnerstag Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte erneut. Die Gelder sollten als „Subventionen“ ausgezahlt werden, wurde er von italienischen Nachrichtenagenturen zitiert. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erwartet noch schwierige Diskussionen. „Es gibt Meinungsverschiedenheiten“, sagte er. In einigen Staaten gebe es Grundhaltungen und politische Zwänge, die zu „sehr harten Positionen“ führten.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will die Obergrenze des EU-Budgets fast verdoppeln. Sie kündigte an, die sogenannte Eigenmitteldeckelung müsste für zwei bis drei Jahre von derzeit 1,2 Prozent des Bruttonationaleinkommens auf rund 2,0 Prozent angehoben werden. Die tatsächlichen Ausgaben liegen unter dieser Eigenmittelgrenze. Möglich solle der zusätzliche Spielraum durch Garantien der Mitgliedsstaaten werden, so von der Leyen.

„Beispiellose Investitionen“

Nach einem Vorschlag von Ratspräsident Charles Michels soll die EU-Kommission nun zunächst „den genauen Bedarf“ analysieren. Ihr Vorschlag soll dann auch klären, in welchem Verhältnis der Wiederaufbaufonds zum künftigen EU-Finanzrahmen steht. Für die Erholung der Wirtschaft nach der Krise sah er jedenfalls „beispiellose Investitionen“ im Rahmen eines europäischen Marshall-Plans nötig. Die Instrumente dafür seien der EU-Haushalt und die Europäische Investitionsbank, schrieb Michel am Donnerstag auf Twitter. Die Investitionen sollten in den grünen und digitalen Wandel der Wirtschaft fließen.

Kurz gegen Transferzahlungen

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sprach sich nach dem Videogipfel gegen Transferzahlungen beim Wiederaufbau nach der Coronavirus-Krise aus. Die Details eines Wiederaufbaufonds werde die EU-Kommission „in den kommenden Wochen ausarbeiten, basierend auf einer Analyse des Bedarfs in den einzelnen Mitgliedsstaaten“, erklärte er am Donnerstag nach dem Gipfel.

Es müsse „klar sein, dass die Mittel des Wiederaufbauplans von den jeweiligen Mitgliedsländern in weiterer Folge zurückgezahlt werden sollen und Österreich nicht die Schulden von anderen EU-Mitgliedsstaaten übernimmt“, betonte der Kanzler in einer Pressemitteilung.

Auch Merkel gegen gemeinsame „Corona-Bonds“

Zugleich versicherte der Bundeskanzler den von der Krise stark betroffenen Ländern – wie schon zuvor auch – nochmals Solidarität. „Wir waren uns heute einig, den von der Corona-Krise besonders betroffenen Ländern, wie Italien oder Spanien, weiterhin zu helfen und Solidarität zu zeigen, wie bereits beim Schnüren des 540-Mrd.-Euro-Hilfspakets, unter anderem durch den Rettungsschirm ESM.“

Die Hilfen aus diesem sollen so rasch wie möglich umgesetzt werden, laut Euro-Gruppen-Chef Mario Centeno noch vor dem 1. Juni. „Wir sind darüber hinaus bereit, im Rahmen eines Wiederaufbauplans zum Wiederaufbau der Wirtschaft in Europa Unterstützung zu leisten“, versicherte Kurz. „Eine Vergemeinschaftung der Schulden, wie es etwa das Modell von ‚Corona-Bonds‘ vorsieht, lehnen wir klar ab“, bekräftigte der Bundeskanzler.

Auch die deutsche Regierungschefin Angela Merkel sprach sich erneut gegen solche Euro-Bonds aus, wie sie etwa Italien, Spanien und Frankreich in Form einer gemeinsamen Schuldenaufnahme für den Wiederaufbau gefordert hatten. Österreich, Deutschland, die Niederlande und andere Staaten lehnten das von Anfang an ab. Die Debatte darüber verdeutlichte einmal mehr die Nord-Süd-Differenz, in der sich die EU bereits während der Euro-Krise befunden hatte. „Es geht nicht, dass sozusagen die Schulden vergemeinschaftet werden“, sagte Merkel am Donnerstag.

Lagarde warnte vor riesigem Defizit

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, war während des Videogipfels mit den Worten zitiert worden, es bestehe ein Risiko, „zu wenig und zu spät zu handeln“. Sie habe auf Schätzungen der Notenbank, wonach die Wirtschaftsleistung in der Euro-Zone dieses Jahr um bis zu 15 Prozent einbrechen könnte, verwiesen.