Wanderarbeiter in Singapur
Reuters/Edgar Su
Einstiger CoV-Vorreiter

Das Elend von Singapurs Wanderarbeitern

Singapur hat im Kampf gegen die Coronavirus-Krise einst als Musterland gegolten. Inzwischen ist der Stadtstaat jedoch zu einem Hotspot in Asien geworden. Betroffen ist vor allem die marginalisierte, unter prekären Verhältnissen lebende Bevölkerungsgruppe der Wanderarbeiter.

Sie befinden sich fernab der luxuriösen Hochhäuser und Touristenattraktionen im Süden der Stadt – jene Wohnheime, in denen mehr als 200.000 Wanderarbeiter unter anderem aus Bangladesch, Indien und China dicht aneinander gedrängt leben. So teilen sich dort zwischen zwölf und 20 Personen je ein kleines Zimmer. Der größte Wohnkomplex beheimatet gar 24.000 Personen.

Dementsprechend hoch ist freilich das Ansteckungsrisiko für die Gastarbeiter, die für Monatsgehälter zwischen 400 und 500 Dollar (bis zu 460 Euro) die Hochhäuser in der Finanzmetropole bauen. Und so dauerte es auch nicht lange, bis sich das Virus rasant in den Heimen im Norden der Metropole ausbreitete – zu einem Zeitpunkt, an dem das Schlimmste bereits überstanden schien. An Singapur werde erkennbar, was passiere, wenn marginalisierte Gruppen vergessen werden, es demonstriere aber auch, die „Anfälligkeit“ von Nationen hinsichtlich der Gefahren einer zweiten Welle, schreibt der „Guardian“.

Wanderarbeiter in Singapur
Reuters/Edgar Su
In der Regel leben Singapurs Wanderarbeiter in Gemeinschaftsquartieren – diese gelten als überfüllt und unhygienisch

Doch kein Vorbild?

Tatsächlich hat die 5,8 Millionen Einwohner zählende Finanzmetropole inzwischen eine der höchsten Infektionsraten Asiens. Insgesamt werden bisher mehr als 12.000 bestätigte Fälle gezählt. Allein am Freitag wurden in Singapur fast 900 Neuinfektionen vermeldet. Den Behörden zufolge befänden sich in erster Linie Gastarbeiter unter den Neuinfizierten. Auch die Rückreisewelle im März trug zu den steigenden Zahlen bei. Zum Vergleich: Am 15. März, als das Virus in Singapur beinahe unter Kontrolle gebracht schien, lag die Zahl der Neuinfektionen bei 200.

Das hochmoderne Singapur hatte jedoch lange Zeit als Musterbeispiel gegolten, wie ein Land das Virus gut in den Griff bekommen kann: durch rigoroses Testen, Isolieren von Infizierten sowie Quarantäne für Menschen, die mit Infizierten in Kontakt waren. Ausgangsbeschränkungen wurden dort erst relativ spät verhängt. Der „Lock-down“ gilt seit dem 7. April. Zuletzt wurde er bis zum 1. Juni verlängert.

NGOs warnten vor Risiko für Arbeiter

NGOs kritisieren dem „Guardian“ zufolge, dass den Wanderarbeitern seit Ausbreitung des Virus in China und darauffolgenden ersten Maßnahmen in Singapur kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden war. Trotz der Pandemie lebten diese weiterhin dicht aneinander gedrängt in riesigen Wohnheimen und mussten weiterhin lange Anfahrten zu Baustellen in überfüllten Bussen hinnehmen.

Die Aktivisten hätten bereits im Februar auf das Risiko für Gastarbeiter hingewiesen. Im März meldete die NGO Transient Workers Count Too (TWC2), dass die Gefahr einer Verbreitung unter jener Bevölkerungsgruppe „unvermeidbar“ sei. „Unsere Bauvorschriften haben das Epidemierisiko erst geschaffen“, so TWC2.

Wohnheime unter Quarantäne

Rund die Hälfte der 43 Wohnheime wurden inzwischen unter Quarantäne gestellt. Von der Regierung bekommen die Arbeiter seither kostenlos Mahlzeiten zur Verfügung gestellt. Nach Kritik an den Lebensumständen der Menschen – die Heime gelten nicht nur als überfüllt, sondern auch unhygienisch – hatte Singapur begonnen, Tausende Wanderarbeiter in andere Gemeinschaftsunterkünfte zu verlegen. Vor allem ältere Arbeiter würden Behörden zufolge priorisiert. Zugleich wurde die Anzahl an Reinigungskräften in den Heimen erhöht.

Essen wird an Wanderarbeiter in Singapur ausgegeben
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Singapur hat fast die Hälfte der 43 Heime unter Quarantäne gestellt – Berichten zufolge bekommen sie kostenlose Mahlzeiten

„Wir werden für euch sorgen wie für Singapurer“, hatte Regierungschef Lee Hsien Loong den Wanderarbeitern jüngst versprochen. „Wir kümmern uns um eure Gesundheit, euer Wohlergehen und euren Unterhalt.“ Mit den Dienstgebern wolle Lee vereinbaren, dass Löhne weitergezahlt würden. Denn für die meisten Gastarbeiter gilt – wer zu Hause bleibt, wird nicht bezahlt.

Arbeiter auch von Rassismus betroffen

Die Wanderarbeiter sahen sich Aktivisten zufolge überdies seit Ausbreitung des Virus in den Heimen auch mit Rassismus konfrontiert: In Sozialen Netzwerken häuften sich etwa Kommentare, wonach die rasante Ausbreitung die Schuld der Arbeiter sei, weil diese nicht sauber genug seien und sich ungesund ernähren würden. Zum Teil werden sie auch aufgerufen, das Land zu verlassen – weil sie für Singapurs Imageschaden verantwortlich seien.

Von der Regierungsspitze wurden solche Bemerkungen verurteilt. Trotzdem wurden Gastarbeiter dazu aufgerufen, sich „verantwortungsvoll“ zu verhalten, Gesichtsmasken zu tragen, Erkrankungssymptome zu melden und einen Mindestabstand von einem Meter einzuhalten – praktikabel ist das allein deshalb nicht, weil sich die Arbeiter – wie bereits erwähnt – meist nur wenige Quadratmeter Wohnraum mit bis zu 20 anderen teilen.

Der Ausbruch habe die unfassbare Ungleichheit in Singapur, das für den Bau seiner berühmten Hochhäuser und die Reinigung seiner luxuriösen Einkaufszentren von den zahlreichen Gastarbeitern abhängig sei, ins Rampenlicht gerückt, so der „Guardian“. „Die meisten von ihnen reisten aus Bangladesch, Indien und anderen südasiatischen Ländern an, in der Hoffnung, Geld nach Hause schicken zu können. Ihr Lebensstil steht dabei im starken Kontrast zu der wohlhabenden Elite und den Finanzarbeitern“, heißt es zudem.