Eine Frau mit Maske fährt auf ihrem Fahrrad am Hafen von Ostia in Rom
Reuters/Alberto Lingria
Italien

Erste Lockerung der Ausgangssperre

Das von der Coronavirus-Pandemie besonders hart getroffene Italien sieht Grund für ein vorsichtiges Aufatmen: Nach sieben Wochen strenger Ausgangssperre kündigte Regierungschef Giuseppe Conte am Sonntagabend eine schrittweise Lockerung der europaweit strengsten Auflagen an. Auch in anderen europäischen Ländern stehen die Zeichen auf Entspannung.

Der Regierungschef appellierte aber an seine Landsleute: „Wenn du Italien liebst, halte Distanz zu anderen.“ Ausgangspunkt war, dass erstmals seit Verhängung des „Lock-down“ des Landes die Zahl der neuen Todesfälle am Sonntag auf den bisher niedrigsten Stand gefallen war.

Conte kündigte an, dass die Menschen ab dem 4. Mai wieder in Parks spazieren gehen und Verwandte besuchen dürften. In einer Fernsehansprache machte er aber zugleich klar, dass die Distanzregeln weiter eingehalten werden und Menschen in der Öffentlichkeit Schutzmasken tragen müssten. Seine Regierung wolle in diesem Zusammenhang den Preis für Schutzmasken auf 50 Cent begrenzen, sagte der Ministerpräsident.

Ein Paar schaut im römischen Garbatella von seinem Balkon
AP/Andrew Medichini
Die Auflagen sind in Italien deutlich strenger als in Österreich

Restaurants sollen im Juni öffnen

Italien trete in eine Phase der „Koexistenz mit dem Virus“ ein, sagte Conte. Die meisten Geschäfte und Unternehmen sollten im Laufe der kommenden drei Wochen wieder öffnen. Erste „strategisch wichtige“ Unternehmen könnten am Montag wieder die Arbeit aufnehmen.

Restaurants sollen ab dem 4. Mai zumindest Außer-Haus-Service anbieten können. Frühestens ab dem 1. Juni sollen Bars und Restaurants wieder normal öffnen, dann sollen auch Friseur- und Schönheitssalons wieder die Arbeit aufnehmen.

Voraussetzung für alle Lockerungen sei, dass die Zahl der Infektionen nicht wieder nach oben gehe und die Distanzregeln eingehalten würden, unterstrich Conte. Er wiederholte zudem seine Einschätzung, dass Schulen noch bis September geschlossen bleiben müssten. Alles andere würde ein „zu hohes Ansteckungsrisiko“ bedeuten.

Unmut über zu langsame Lockerung

Die Wirtschaft protestierte dagegen, dass lediglich die Industrie und die Baubranche ab dem 4. Mai wieder ihre Tätigkeit aufzunehmen können, während unzählige Wirtschaftsbereiche, darunter der Kleinhandel, der Tourismus und die Gastronomie, weiter lahmliegen.

„Die Regierung verschiebt die Wiedereröffnung der Geschäfte, des Tourismus und der Gastronomie. Jeder Tag Schließung verursacht enorme Schäden und setzt die Zukunft von Unternehmen und Arbeitsplätze aufs Spiel“, kritisierte der Präsident des Handelsverbands Confcommercio, Carlo Sangalli. Er forderte ein Treffen mit der Regierung, um die Wiedereröffnung zu diskutieren. Er plädierte für Stützungsmaßnahmen für die von der Coronavirus-Krise am stärksten betroffenen Wirtschaftssektoren.

Auch die Gastronomie protestierte gegen den Beschluss der Regierung in Rom, den Stopp für die Branche bis 1. Juni zu verlängern. Die Gefahr sei der Kollaps des ganzen Sektors, der seit Beginn der Pandemie bereits Verluste in der Größenordnung von 34 Mrd. Euro gemeldet hat.

Kritik auch aus eigenen Reihen

Kritik musste Conte auch aus seiner eigenen Regierung hinnehmen. „Wir hatten uns mehr Mut erwartet, wir hätten mehr wagen sollen. Man kann nicht weiterhin das produktive System stoppen. Jeder Tag, an dem die Produktion gestoppt wird, bedeutet Wettbewerbsverlust für das ganze Land. Vielen Unternehmen droht die Pleite, andere werden mit weniger Mitarbeitern öffnen“, kritisierte Landwirtschaftsministerin Teresa Bellanova.

Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) sagte: „Es werden zwar einige Lockerungen in Aussicht gestellt, jedoch kommen diese zu spät und zu zaghaft.“ Insbesondere der Handel, der Tourismus, aber auch Friseure und Schönheitspfleger brauchten eine klare, zeitnahe Perspektive für die Wiederöffnung

Protest der katholischen Kirche

Die katholische Kirche protestierte unterdessen dagegen, dass die Regierung in der „Phase zwei“ nicht das Feiern von Messen mit Gläubigen und Trauerzeremonien im größeren Kreis erlaubt. „Die italienischen Bischöfe können nicht zulassen, dass die Religionsfreiheit eingeschränkt wird“, heißt es in einem Schreiben der italienischen Bischofskonferenz (CEI).

Bisher mehr als 26.000 Tote

Insgesamt starben in Italien bis Sonntag 26.644 Menschen infolge einer Infektion mit dem neuen Coronavirus. Damit hat Italien die höchste Zahl an Todesfällen in Europa. Allerdings gab es zuletzt eine positive Entwicklung, die sich am Sonntag fortsetzte: Binnen 24 Stunden seien 260 Menschen einer Infektion mit dem neuartigen Virus erlegen, teilte die Zivilschutzbehörde mit.

Das war der niedrigste Stand seit dem 14. März, als 175 Tote binnen eines Tages vermeldet worden waren. Seitdem war die Zahl der Todesopfer immer über 300 gelegen. Am Höhepunkt der Pandemie starben in Italien fast tausend Menschen an einem Tag.

Italiens Primier-Minister Giuseppe Conte im Parlament in Rom
Reuters/Remo Casilli
Conte kündigte Lockerungen an, mahnte die Bevölkerung aber zugleich, sich an die Sicherheitsregeln zu halten

Frisiersalons öffnen in Schweiz

In der Schweiz dürfen am Montag Friseurgeschäfte, Kosmetik- und Nagelstudios sowie Baumärkte und Gartencenter wieder öffnen. Ärzte und Physiotherapeuten können ihre Praxen auch für nicht dringende Termine öffnen, Krankenhäuser dürfen wieder seit Beginn der Krise aufgeschobene Eingriffe vornehmen.

Maskenpflicht besteht in der Schweiz nicht, aber die Geschäfte müssen verschärfte Hygieneauflagen einhalten und für Abstand zwischen den Kunden sorgen. Schulen und weitere Geschäfte sollen in zwei Wochen wieder öffnen.

Spanien: Kinder durften wieder ins Freie

Im vom Virus stark getroffenen Spanien war am Sonntag wieder Kinderlachen und fröhliches Gekreische auf den Straßen zu hören. Nach sechs Wochen kompletter Ausgangssperre durften Kinder bis 14 Jahre erstmals wieder das Haus verlassen – und das sind landesweit etwa 5,8 Millionen. Es gelten aber strenge Auflagen: Nur ein Elternteil darf maximal drei Kinder begleiten, zudem ist die Zeit der täglichen Ausflüge auf eine Stunde zwischen 9.00 und 21.00 Uhr in einem Radius von einem Kilometer begrenzt.

Viertägige Ausgangssperre in Türkei zu Ende

Nach einer viertägigen weitgehenden Ausgangssperre in der Millionenmetropole Istanbul und 30 weiteren Städten und Provinzen dürfen die Menschen in der Türkei ihre Häuser wieder verlassen. Das Ausgehverbot lief in der Nacht auf Montag ab. Die Maßnahme war seit Donnerstag, einem Feiertag in der Türkei, in Kraft.

Während des muslimischen Fastenmonats Ramadan, der am Freitag begonnen hatte, ist in der Türkei das Fastenbrechen in Gruppen untersagt. Die Behörden erlassen seit drei Wochen in 31 Städten und Provinzen weitgehende Ausgangssperren übers Wochenende. Auch aus Sorge, die ohnehin angeschlagene Wirtschaft weiter zu schädigen, hat Präsident Recep Tayyip Erdogan bisher keine mehrwöchigen Ausgangssperren wie andere Staaten verhängt.