Mann mit einem Fahrrad in Paris
Reuters/Christian Hartmann
Nach dem „Lock-down“

Hauptstädte überarbeiten Verkehrskonzepte

Mit ersten Lockerung der Maßnahmen gegen die Coronavirus-Pandemie stellen sich viele europäische Städte die Frage, wie künftig mit den sich wieder füllenden öffentlichen Verkehrsmitteln umzugehen sein wird. In Paris und Brüssel setzt man auf Anreize für Fußgänger und Radfahrer, um Metro, Busse und Straßenbahnen zu entlasten, gleichzeitig aber auch zusätzliche Staus und die damit einhergehende Luftverschmutzung zu vermeiden.

Abstand halten ist in einer vollen U-Bahn oder einem vollen Bus so gut wie unmöglich und selbst bei geringerer Frequenz äußerst schwierig. Mit der Öffnung von Kinderbetreuungseinrichtungen, der Rückkehr von Angestellten in die Büros und dem Hochfahren des Handels werden aber unweigerlich auch die Stoßzeiten in den öffentlichen Verkehrsmitteln wieder zu einem potenziellen Virenhotspot.

Wie die BBC unter Berufung auf einen Bericht aus dem Londoner Krisenstab berichtet, erwartet man dort, dass die U-Bahn innerhalb kürzester Zeit überlastet sein könnte. Schließlich würden unter Anwendung des in Großbritannien empfohlenen Sicherheitsabstands von zwei Metern die Kapazitäten auf 15 Prozent in U-Bahnen und nur zwölf Prozent in Bussen sinken.

London warnt vor vollen U-Bahnen

Es sei in London de facto unmöglich, alle Kinder per Bus in die Schulen zu befördern, wenn diese in näherer Zukunft wieder öffnen. Zusätzlich sei damit zu rechnen, dass mit dem Umstieg auf den PKW-Verkehr die ohnehin chronisch verstopften Straßen zu einem zusätzlichen Problem würden, heißt es in dem Bericht.

Mann in einer Londoner U-Bahn-Station
AP/Alberto Pezzali
An Mindestabstand ist in der Londoner U-Bahn nur in Zeiten des „Lock-down“ zu denken

Mindestabstand in heimischen „Öffis“ nicht vorgeschrieben

Auch in Österreich füllen sich die öffentlichen Verkehrsmittel mit der Lockerung der Maßnahmen wieder. Laut Gesundheitsminister Rudi Anschober (Grüne) darf dort der Einmeterabstand unterschritten werden, so nicht anders möglich. Die Grundnorm bleibe zwar erhalten und müsse überall dort, wo es genug öffentliche Verkehrsmittel und Intervalle gibt, auch umgesetzt werden. Man könne aber „niemanden dafür strafen, wenn das Angebot nicht vorhanden ist“, betonte Anschober am Dienstag.

In Wien, wo während der Ausgangsbeschränkungen durch temporäre Begegnungszonen mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer geschaffen wurde, überlegen die Grünen nun, auch mit anderen Möglichkeiten „Platz zu schaffen – zum Beispiel für die vielen Leute, die jetzt ihre Wege vermehrt mit dem Rad zurücklegen“, wie es aus dem Büro der Vizebürgermeisterin Birgit Hebein heißt. „Dass der Radverkehr seit Ostern steigt, zeigen uns die neuesten Zahlen.“ Man sei derzeit dabei zu prüfen, wie die Maßnahmen aussehen könnten, erste Ergebnisse werde es bald geben – mehr dazu in wien.ORF.at.

Brüssel setzt auf Abstand durch Begegnungszone

Die belgische Hauptstadt Brüssel geht noch weiter und hat entschieden, das gesamte Zentrum zur Begegnungszone umzudeklarieren. Darüber hinaus wird das Radwegenetz rundherum um zusätzliche 40 Kilometer erweitert. Innerhalb des Pentagons, des inneren Rings der Stadt, werden künftig Fußgänger und Radfahrer Vorrang haben. Sie dürfen, gerade um in den teils engen Gassen Abstand halten zu können, nicht nur die schmalen Gehsteige benutzen, sondern auch die Straße. Busse, Straßenbahnen und Autos dürfen weiter in die Zone einfahren – maximal allerdings mit 20 km/h.

„Wir haben entschieden, die Gelegenheit zu nutzen“, sagte Wafaa Hammich, Sprecherin des Brüsseler Bürgermeisters Philippe Close, der dpa. Fußgänger und Radfahrer sollten mehr Platz im öffentlichen Raum bekommen und so auch das Abstandsgebot besser einhalten können. Man wolle damit Autofahrerinnen und Autofahrer nicht diskriminieren, aber wenn die Brüsseler in den kommenden Wochen wieder das Haus verlassen, sollten sie dazu ermutigt werden, es entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu tun, so Hammich.

Derzeit werden die letzten Vorbereitungen getroffen. Hinweisschilder würden aufgestellt und Signale auf dem Boden angebracht. Sobald es losgeht, sollen die Ampeln im gesamten Pentagon durchgehend orange blinken. Nach drei Monaten soll das Konzept evaluiert werden.

Junge mit einem Fahrrad in Brüssel
APA/AFP/Kenzo Tribouillard
Radwege waren im chaotischen Brüsseler Verkehrskonzept bisher keine besondere Priorität, das soll sich jetzt ändern

Frankreich will zum Radeln ermuntern

In Frankreich soll die Bevölkerung mit einem 20-Millionen-Euro-Paket zum Umstieg auf das Fahrrad ermuntert werden. Dort will man nicht nur die öffentlichen Verkehrsmittel entlasten, sondern auch den positiven Effekt der Krise weiterziehen und die Luftverschmutzung weiter auf einem niedrigeren Niveau halten. Mit dem Budget sollen Fahrradwerkstätten unterstützt werden, bei denen Kundinnen und Kunden jeweils um 50 Euro ihre Räder reparieren lassen können (darüber hinaus gehende Kosten müssen selber getragen werden).

Finanziert werden damit auch die Errichtung zusätzlicher Fahrradständer sowie Radkurse und Sicherheitstrainings. Die Kommunen werden auch in Frankreich zudem ermuntert, das Radnetz auszubauen.

Radwege parallel zu U-Bahn-Linien in Paris

Die Pariser Bürgermeisterin, Anne Hidalgo, kündigte am Freitag an, im Zuge einer „taktischen Stadtplanung“, parallel wichtiger U-Bahn-Linien Radwege zu installieren. Dazu sollen unter anderem auch Straßen gesperrt werden – konkret etwa die Rue de Rivoli, eine gut drei Kilometer Lange Ost-West-Achse im Herzen der Stadt. Zusätzlich soll die Verkehrsplanung in den umliegenden Straßen adaptiert werden, um Staubildung zu vermeiden. Wie auch in Brüssel sollen alle Maßnahmen in den kommenden Wochen und Monaten evaluiert werden – um sie bei Erfolg auch in der Postkrisenzeit möglicherweise nachhaltig beizubehalten.