Wattestäbchen eines Labortests
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Coronavirus

Hinweise auf Ausbreitung Ende 2019

Hinweise, dass das Coronavirus womöglich nicht erst seit Anfang 2020 weltweit im Umlauf ist, haben sich zuletzt verdichtet. Einer neuen Studie des University College London (UCL) zufolge tauchte es Ende 2019 auf und breitete sich seither rasant um die Erde aus. Zuvor hatte bereits die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Prüfung alter Fälle aufgerufen.

Das Forschungsteam des UCL betonte im Fachblatt „Infection, Genetics and Evolution“, dass es den genauen Ausgangspunkt der Pandemie nicht feststellen konnte. Sie fanden aber Hinweise darauf, wonach sich das Virus etwa in Europa bereits vor Jänner ausgebreitet hatte. Die chinesischen Behörden hatten die WHO am 31. Dezember erstmals über die neue Lungenkrankheit unterrichtet. Bisher wurde davon ausgegangen, dass sie sich erst ab Jänner in Europa ausbreitete.

„Unsere Ergebnisse stimmen mit früheren Schätzungen überein und deuten darauf hin, dass alle Genomsequenzen (des Virus, Anm.) gegen Ende 2019 einen gemeinsamen Vorfahren haben, was darauf schließen lässt, dass dies die Zeit war, in der SARS-CoV-2 auf den Menschen übergesprungen ist“, so das Team. Hoffnungen mancher, dass sich SARS-CoV-2 noch früher ausgebreitet habe und es dadurch zu einer größeren Durchseuchung gekommen sei, schlossen die Forscher aber aus. Die weltweite Durchseuchungsrate liege maximal bei zehn Prozent, so Francois Balloux, Professor am UCL und Studienautor, gegenüber CNN.

Große genetische Vielfalt in schwer betroffenen Ländern

Bei Analysen von Abstrichen, die von mehr als 7.500 an Covid-19 erkrankten Menschen stammten, seien außerdem fast 200 wiederkehrende Mutationen des Virus entdeckt worden. Womöglich lasse sich jedenfalls daran erkennen, wie sich das Virus mit seiner Verbreitung weiterentwickle, so die Forscher. Balloux sagte, dass den Erkenntnissen zufolge ein Großteil der genetischen Vielfalt des Virus in den am schwersten von der Pandemie betroffenen Ländern vorzufinden ist.

„Alle Viren mutieren für gewöhnlich. Mutationen an sich sind nichts Schlechtes, und es gibt nichts, das darauf schließen lässt, dass SARS-CoV-2 langsamer oder schneller mutiert als erwartet“, so Balloux. Ob es jedoch mehr oder weniger tödlich und ansteckend geworden sei, lasse sich nicht sagen.

Franzose bereits im Dezember erkrankt

Eine am Montag veröffentlichte Studie französischer Wissenschafter hatte zuvor nahegelegt, dass es schon Ende vergangenen Jahres einen Fall gegeben haben könnte. Ein französisches Krankenhaus hatte alte Proben von Lungenentzündungspatienten erneut getestet und dabei entdeckt, dass am 27. Dezember ein Mann behandelt wurde, der Covid-19 hatte.

Wattestäbchen eines Labortests
Reuters/Pascal Rossignol
Eine Studie aus Frankreich stellte fest, dass ein Mann bereits Ende Dezember aufgrund einer Covid-19-Erkrankung behandelt werden musste

Der 43-Jährige aus der Nähe von Paris habe im Dezember trockenen Husten, Fieber, Müdigkeit und schwere Atembeschwerden gehabt, sagte er am Dienstag dem Sender BFMTV. Im Krankenhaus wurde eine Lungeninfektion diagnostiziert. Man habe ihm nicht sicher sagen können, was er hat – nur, dass es sehr ernst wäre, sagte der Mann. Nach wenigen Tagen konnte er das Krankenhaus wieder verlassen.

WHO ruft zu Prüfung alter Fälle auf

Die WHO ruft nun auch andere Staaten dazu auf, ähnliche Krankheitsfälle von Ende 2019 nachträglich auf eine Coronavirus-Infektion hin zu überprüfen. Es sei möglich, dass sich noch mehr Patienten und Patientinnen mit vermeintlichen Lungenentzündungen als frühe Fälle erweisen, sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier am Dienstag.

Lindmeier bezeichnete die positive Coronavirus-Probe in Frankreich von Ende Dezember als „sehr interessant, aber nicht überraschend“. Gleichwohl ergebe sich ein völlig neues Bild. Die Erkenntnisse würden dabei helfen, die „potenzielle Zirkulation von Covid-19“ besser zu verstehen. Frühe Fälle zu entdecken würde dazu beitragen, dass die Welt sich ein „neues und klareres Bild“ des Ausbruchs machen könnte. Angesprochen auf den allgemein angenommenen Ursprung des Virus in China sagte Lindmeier, es sei sehr wichtig, dem nachzugehen.

In der chinesischen Stadt Wuhan hatte es schon im Dezember mysteriöse und zunächst nicht als Infektionen mit einem neuen Virus erkannte Lungenerkrankungen gegeben. Menschen aus Wuhan könnten das Virus bei Reisen im Dezember unbewusst nach Frankreich und in andere Länder eingeschleppt haben. „Es ist gut möglich, dass weitere frühere Fälle in anderen Ländern entdeckt werden, wenn Gewebeproben jetzt im Nachhinein auf das Virus getestet werden“, sagte der WHO-Sprecher.

Vermutlich durch Reisende eingeschleppt

Für die Theorie, dass das Virus bereits Ende des Vorjahres eingeschleppt worden sein könnte, spricht auch der nun entdeckte Fall in Frankreich. Der Mann selbst hatte zwar keine Verbindungen zu China und war nicht ins Ausland gereist, bevor er im Dezember krank wurde. Doch seine Frau arbeitet in einem Supermarkt in der Nähe des Pariser Flughafens Charles de Gaulle, wo viele Reisende einkaufen. Sie erkrankte nicht – möglicherweise war sie ein asymptomatischer Fall –, könnte das Virus aber mit nach Hause gebracht haben.

Insbesondere die US-Regierung wirft China vor, bewusst Informationen über das Virus zurückgehalten und so zur weltweiten Ausbreitung des Covid-19-Erregers beigetragen zu haben. Auch mutmaßt sie, dass das Virus in einem Labor in Wuhan entstanden sein könnte.

Geheimdienste glauben nicht an Laborunfall

Westliche Geheimdienste halten die Theorie von einem Laborunfall als Ursprung der Pandemie allerdings für „höchst unwahrscheinlich“. Der US-Nachrichtensender CNN zitierte am Dienstag drei Quellen, die entsprechenden Verdächtigungen von US-Präsident Donald Trump und zuletzt US-Außenminister Mike Pompeo über das neue Virus SARS-CoV-2 widersprachen.

„Es ist höchst wahrscheinlich, dass es auf natürliche Weise aufgetreten und die Infektionen von Menschen durch natürliche Interaktion zwischen Mensch und Tier erfolgt ist“, zitierte der Sender einen Diplomaten. Auch China hatte die Theorie zurückgewiesen. Kommentare in chinesischen Staatsmedien sahen eine Strategie der US-Regierung, China die Schuld zuzuschieben, um von eigenen Versäumnissen in der Pandemie abzulenken.