Cover des Buches „Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst“ von Nick Hornby
Kiepenheuer & Witsch
Krisenbücher

Die Liebe steht auf dem Prüfstand

In Zeiten des Coronavirus stehen Liebesbeziehungen besonders auf dem Prüfstand. Vier grundverschiedene Bücher bieten jetzt literarisches Unterfutter, um Krisen oder Trennungen aufzuarbeiten: eine Rundschau zwischen schonungslos Ehrlichem, Therapeutischem und Amüsantem.

Das wahrscheinlich schmerzhafteste und zugleich spannendste Buch erscheint dieser Tage: „Danach – Über Ehe und Trennung“ von Rachel Cusk. Lakonisch und zugleich explosiv beginnt die semiautobiografische Erzählung. „Kürzlich haben mein Mann und ich uns getrennt, und im Laufe weniger Wochen brach unser gemeinsam gestaltetes Leben auseinander wie ein Puzzle, das in seine Einzelteile zerlegt wird.“

Die punktgenaue Betrachtung dieser Einzelteile des eigenen Lebens – von banal bis existenziell – ist das Markenzeichen von Cusk. Mit ihrem Roman „Lebenswerk“ (dt. 2019) wurde die kanadische Autorin mit Wohnsitz London weltberühmt, weil sie als Erste aussprach, dass man Mutterschaft auch bereuen kann – inzwischen längst ein Hashtag („#regrettingmotherhood“). Mit „Danach“ liefert Cusk nun einmal mehr einen Beweis ihrer Könnerschaft in Sachen literarischer Selbstentblößung. Mittels Alltagsbeschreibungen, Familienskizzen und Reflexionen vermisst sie darin das Ende ihrer Ehe und die „Scherben der neuen Wirklichkeit“.

Cover des Buches „Danach“ von Rachel Cusk
Suhrkamp Verlag
Rachel Cusk: Danach. Über Ehe und Trennung. Übersetzt von Eva Bonne. Suhrkamp, 187 Seiten, 22,70 Euro.

„Scherben der neuen Wirklichkeit“

Ganz zentral auch hier: die Geschlechterdimension. Sie und ihr Mann hatten sich gegen eine klassische Rollenverteilung entschieden: Er, ein Anwalt, war bei den Kindern zu Hause geblieben, sie hatte mit Schreiben das Geld für die Familie verdient. Letztlich aber sind es gerade die überkommen geglaubten Dichotomien, die die in die Brüche geratende Beziehung unerbittlich verfolgen – etwa, wenn sie sich sagen hört: „Es sind meine Kinder. Sie gehören zu mir.“ Für Cusk eine Wahrheit – und gerade ihr Mut, das niederzuschreiben, was andere als „Ketzerei“ gegenüber dem feministischen Selbstverständnis bezeichnen würden, ist das Bemerkenswerte an dem Buch.

Der Ton ist bisweilen bitter, die Sezierung aber so gelungen, dass „Danach“ dennoch etwas Tröstliches hat: „Es ist, als wären diese einsamen Stunden, wenn zum ersten Mal seit vielen Jahren nichts von mir verlangt oder gebraucht wird, meine Kriegsbeute, etwas, das ich im Tausch gegen den Konflikt erworben habe. Ich durchlebe sie eine nach der anderen. Ich schlucke sie wie Krankenhausessen. Auf diese Weise werde ich am Leben gehalten.“

Cover des Buches „Sarah“ von Scott Mc Clanahan
ars Vivendi
Scott McClanahan: Sarah. Übersetzt von Clemens J. Setz, Ars Vivendi, 206 Seiten, 22,90 Euro.

Roh und intensiv

Auch das Buch „Sarah“ des US-Amerikaners Scott McClanahan ist semiautobiografisch, und auch McClanahan schreibt aus der Perspektive eines Danach, konkret der Trennung von seiner ersten Liebe, der Mutter seiner Kinder. Beim 41-jährigen, vom „Rolling Stone“-Magazin gefeierten „Außenseiterliteraten“ klingt das dennoch ganz anders: „Sarah“ ist ein Indie-Roman, roh und heftig.

Ob beim ersten Date mit Sarah, betrunken mit den Kindern im Auto oder beim Verbrennen einer Bibel, die einmal ein Hochzeitsgeschenk war – in diesem Buch jagt man atemlos, kopfschüttelnd und immer wieder schmunzelnd hin und her zwischen Beziehungsdysfunktionen, existenziellen Krisen, Absurditäten und kleinen Zärtlichkeiten. Der Plot – das sind aneinander montierte Szenen, die weniger auf Selbstbefragung, sondern auf Stimmung ausgerichtet sind, mit einer Intensität, der man sich nur schwer entziehen kann. Übersetzt wurde das Buch übrigens vom österreichischen Autor Clemens Setz.

Cover des Buches „Paardialoge“ von Charlotte Roche und Martin Keß-Roche
Piper Verlag
Charlotte Roche, Martin Keß-Roche: Paardiologie. Das Beziehungs-Buch. Piper Verlag, 304 Seiten, 18,50 Euro.

Ein Plädoyer für das offene Gespräch

Ganz am anderen Ende des Themenspektrums liegt „Paardiologie“, geschrieben von Charlotte Roche und Martin Keß-Roche – beziehungsweise viel eher: kompiliert. Das in Dialogform verfasste Buch basiert auf dem gleichnamigen, extrem erfolgreichen Podcast der Ex-Viva-Moderatorin und ihres Mannes. In 45 Folgen, bis in den April hinein, diskutierten die beiden offen über ihre 16-jährige Beziehung (offenbar voraufgezeichnet, denn das Coronavirus spielt noch keine Rolle).

Man muss Charlotte Roche nicht lieben, um dem Podcast oder jetzt dem „Beziehungs-Buch“, wie es hier im Untertitel heißt, etwas abgewinnen zu können. Die Provokation liegt diesmal nicht in Intimhygienedetails (siehe den Besteller „Feuchtgebiete“), sondern in der Bereitschaft zu extremer Offenheit. Der Mehrwert, abgesehen vom voyeuristischen Vergnügen, ist offensichtlich: Beim Lesen denkt man unweigerlich über die eigene Beziehung nach – und bekommt vielleicht auch Lust, selbst darüber zu reden.

Ein Plädoyer für das offene Gespräch, das will „Paardiologie“ jedenfalls sein – und führt nicht zuletzt kurzweilig durch Verliebtsein, das Leben mit Kindern, Affären und sexuelle Probleme, mit allerhand Details übers Aufräumverhalten, Masturbation und den missratenen Hochzeitsanzug. Die Spontanität und hörbare Intimität des Podcasts wird allerdings nicht erreicht.

Cover des Buches „Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst“ von Nick Hornby
Kiepenheuer & Witsch
Nick Hornby: Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst. Eine Ehe in zehn Sitzungen. Übersetzt von Ingo Hertzke. Kiepenheuer & Witsch, 160 Seiten, 18,50 Euro.

„Kein tätowierter Totschläger-Sex“

Last, but not least liegt jetzt Nick Hornbys „Keiner hat gesagt, dass du ausziehen musst“ auf Deutsch vor – und wäre das schmale Buch nicht bereits miniserienerprobt (Regie: Stephen Frears), würde man es glatt zur Verfilmung vorschlagen: Louise, Ärztin, 40 Jahre alt, und Tom, arbeitsloser Musikjournalist, 44, sind hier in zehn kammerspielartigen Szenen im Pub zugegen, an ihrem allwöchentlichen Treffpunkt kurz vor der Paartherapiesitzung. Vor allem Tom ist eine typische Hornby-Gestalt, ein „moderner“, etwas verlorener, grundsympathischer Großstadtbewohner mit allerlei Unzulänglichkeiten, etwa einem Pro-Brexit-Votum aus reiner Lust am Widerspruch.

Nach 15 Jahren Ehe ist die Luft irgendwie draußen, Louise hatte zudem ein inzwischen abgeflautes Verhältnis, das in der Kurzzusammenfassung so klingt: „Es war anständiger, ehrlicher und nicht bedrohlicher Steuerbetrüger-Sex und kein tätowierter Totschläger-Sex.“ Der Grundton dieser ehelichen Auseinandersetzung ist damit skizziert: Schlagfertigkeit und Ironie: ja unbedingt; Inspirationen zur Problemlösung: weniger. Dieses Buch tut niemandem weh, ist alles in allem recht amüsant und bietet wohl vielen Paaren auch Wiedererkennungswert: etwa den mehrfachen Beweis, wie man sich mit einfach dahingesagten Sätzen erfolgreich in die Krise hineinschwurbeln kann.