Russlands Präsident Wladimir Putin
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Lockerungen verkündet

Putins gefährlicher Poker mit der Krise

Russlands Präsident Wladimir Putin hat trotz der dramatischen Lage und trotz eines Rekordanstiegs der Coronavirus-Fälle dieser Tage die landesweit verordnete arbeitsfreie Zeit für beendet erklärt. Einige Beschränkungen sollen aber weiter bestehen bleiben. Putin kündigte zudem Sozialhilfen und Steuererleichterungen für Unternehmen an. Für die russische Wirtschaft hat der „Lock-down“ dramatische Folgen, und auch für Putin selbst ist die Krise zunehmend zum Problem geworden.

Familien mit Kindern versprach Putin Finanzhilfen. Für jedes Kind im Alter von drei bis 16 Jahren soll es etwa eine Zahlung von über 10.000 Rubel (125 Euro) geben. Kleinere Unternehmen in Branchen, die von der Krise betroffenen sind, sollen von manchen Steuern befreit werden. Das kündigte Putin am Montag bei einer im Staatsfernsehen übertragenen Onlinekonferenz an. Die arbeitsfreie Zeit wurde Ende März eingeführt.

Durch die Beschränkungen waren die Menschen gezwungen, von zu Hause aus zu arbeiten, Unternehmen mussten den Betrieb einstellen. Nun müssten die einzelnen Regionen im Land für die jeweils notwendigen Maßnahmen sorgen und diese an die Bedingungen an Ort und Stelle anpassen, sagte Putin. Sie könnten die Einschränkungen lockern oder bei Bedarf verschärfen, denn die Situation in den Regionen sei sehr unterschiedlich. Großveranstaltungen blieben verboten, Hygienevorschriften müssten befolgt werden, so Putin. Menschen ab einem Alter von 65 Jahren seien weiterhin aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Der 67 Jahre alte Putin nannte das Selbstisolation.

Erstaunlich geringe Zahl an offiziellen Toten

Russland verzeichnet allerdings weiterhin eine sehr stark steigende Infektionszahl. Am Montag kamen nach Angaben der Behörden innerhalb eines Tages erneut 11.600 neue Fälle hinzu – ein neuer Tageshöchststand. Damit sind mittlerweile landesweit 221.344 Menschen mit dem Virus infiziert.

Die Zahl der Toten in Russland wurde am Montag mit 2.009 angegeben. Das ist im Vergleich zu anderen schwer betroffenen Ländern niedrig. Mediziner hatten das damit erklärt, dass auf den Sterbeurkunden andere Todesursachen wie etwa eine Lungenentzündung angegeben würden – nur eindeutige Covid-19-Todesfälle würden als solche ausgewiesen. Möglicherweise müssten die Zahlen auch noch drastisch nach oben korrigiert werden, wenn Ende Mai die Sterbestatistik für den April veröffentlicht wird. Von Regierungsseite heißt es hingegen, die endgültige Sterberate werde „ein Drittel der europäischen“ betragen. Und die Rekorde bei den Neuinfektionen seien nur auf die große Zahl der Tests zurückzuführen.

Beerdigung von COVID-19-Opfern in Russland
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Beerdigung mit Schutzanzügen nahe St. Petersburg

Moskau besonders betroffen

Während viele Landesteile vergleichsweise wenig betroffen sind, konzentrieren sich die Fälle vor allem auf Moskau und Umgebung – und das, obwohl dort seit Wochen Ausgangssperren herrschen und Geschäfte geschlossen sind. In Moskau sollen am Dienstag aber Industriebetriebe und Baustellen wieder öffnen. Das hatte Bürgermeister Sergej Sobjanin angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage schon zuvor angekündigt. Er schätzte die Zahl der Infizierten allein in der Hauptstadt am Donnerstag auf 300.000 – also deutlich über den offiziellen Angaben. In Moskau müssten Masken und Handschuhe getragen werden, ordnete er an.

Der leere Rote Platz am 9. Mai
Reuters/Maxim Shemetov
Kreml ohne Moskauer

Wirtschaftliche Auswirkungen und Ölpreisverfall

Die Zeitung „Kommersant“ kommentierte bereits vor einigen Tagen, dass es aus wirtschaftlichen Gründen einen Kurswechsel im Umgang mit der Pandemie gebe. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie treffen Russland gleich mehrfach: Denn wie in anderen Ländern drohen die Arbeitslosenzahlen zu explodieren, und die Wirtschaft wird durch den „Lock-down“ enorme Schäden nehmen.

Zudem kämpft Russland mit dem Preisverfall beim Öl, dem wichtigsten Exportartikel. Dem Budget, das von den Einnahmen aus dem Öl- und Gasverkauf abhängig ist, droht ein Milliardenloch. Und auch der Rubel richtet sich am Ölpreis aus und verlor deshalb stark an Wert gegenüber dem Dollar und Euro. Die Zentralbank schüttete Milliarden Devisen auf den Markt, um den Rubel zu stützen.

Putin wenig überzeugend

Doch für krisengeschüttelte Unternehmen und Familien hatte es, anders als in den meisten anderen Ländern, bisher kaum Finanzhilfen gegeben. Der Unmut darüber im Land stieg in den vergangenen Wochen merkbar – in erster Linie in den Sozialen Netzwerken. Vor allem Putin selbst wurde das angelastet, von seinen Kritikern, aber auch von seinen Unterstützern in der Bevölkerung. Denn vom „starken“ Mann war in den vergangenen Wochen kaum etwas zu sehen gewesen. Die Entscheidungen über harte Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionen hatte er den Regionalpolitikern überlassen.

Russlands Präsident Wladimir Putin
AP/Sputnik/Alexei Nikolsky
Putin bei seiner Ansprache

Er selbst war nach Meinung vieler Russen auffällig defensiv. Seine Zustimmungswerte sanken zuletzt kontinuierlich. Ob die Entscheidung von Montag daran etwas ändert, darf bezweifelt werden. Den vor allem für Unternehmen sind Steuererleichterungen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Und noch viel schlimmer könnte es werden, wenn sich das Virus weiter ausbreitet – nicht nur im Großraum Moskau, sondern auch in den entlegeneren Regionen.