Dr. Anthony Fauci
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Experte Fauci

Coronavirus in USA „nicht unter Kontrolle“

Während US-Präsident Donald Trump, obwohl die Coronavirus-Pandemie inzwischen auch das Weiße Haus erreicht hat, für eine rasche Lockerung der Beschränkungen plädiert, warnt sein führender Berater Anthony Fauci vor einer verfrühten Öffnung der Wirtschaft: „Die Folgen könnten wirklich schwerwiegend sein“, sagte er am Dienstag bei einer Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss des Senats.

„Wenn einige Gebiete, Städte oder Staaten vorzeitig öffnen, ohne die Möglichkeit zu haben, effektiv auf neue Fälle reagieren, befürchte ich, dass es zu neuen Infektionsspitzen kommen könnte“, sagte Fauci. Der Direktor des National Institute of Allergy and Infectious Diseases appellierte eindringlich, den Empfehlungen der Gesundheitsexperten zu folgen und für ein Wiederhochfahren der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens auf einen längerfristigen Rückgang der Neuinfektionen zu warten.

Der 79-jährige Immunologe hatte bereits im Vorfeld der Anhörung vor einer vorschnellen Rückkehr zur Normalität gewarnt – „dann riskieren wir die Gefahr mehrfacher Ausbrüche im ganzen Land“, schrieb Fauci am Montagabend (Ortszeit) in einer E-Mail an die „New York Times“. „Das wird nicht nur unnötiges Leiden und Tod zur Folge haben, sondern würde uns tatsächlich auf unserer Suche nach einer Rückkehr zur Normalität zurückwerfen.“

Abgeordneter Lamar Alexander, Senator Pat Roberts und Admiral Brett Giroir und Dr. Anthony Fauci in einer Konferenzschaltung an einem Bildschirm
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Mehrere Teilnehmer sagten per Videokonferenz vor dem Senat aus

Warnung vor zweiter Welle

Fauci sagte auch, es sei möglich, dass im Herbst eine zweite Welle komme. Er hoffe, dass man dann durch Testkapazitäten und dergleichen besser darauf reagieren könne. Er hielt auch fest, dass es schlicht nicht möglich sei, dass das Virus in nächster Zeit komplett verschwinde. Trump hatte das zu Beginn der Pandemie mehrfach behauptet. Fauci entgegnete am Dienstag: Die Zahlen würden sich zwar derzeit in die richtige Richtung entwickeln, aber: „Wir haben den Coronavirus-Ausbruch nicht unter Kontrolle.“ Gleichzeitig betonte er aber, zwischen ihm und US-Präsident Donald Trump lägen in der Pandemie keine Verstimmungen vor. „Es gibt gewiss keine konfrontative Beziehung zwischen mir und dem Präsidenten“, sagte Fauci.

Er berate Trump basierend auf wissenschaftlichen Informationen. Der Präsident höre sich das an, respektiere das und bekomme auch von anderen Seiten Ratschläge. Andere Experten aus der Coronavirus-Arbeitsgruppe des Weißen Hauses betonten bei der Anhörung im Senat ebenfalls, es gebe keine Konfrontationen mit Trump. Die Fachleute gäben in der Runde offen ihre Einschätzungen ab, und der Präsident höre zu.

Wegen der Infektion einer hochrangigen Mitarbeiterin des Weißen Hauses hatte sich Fauci vorsorglich in Quarantäne begeben und sagte per Video vor dem Senat aus. Auch andere Teilnehmer der Anhörung waren aus der Ferne zugeschaltet. Vergangene Woche wurde bekannt, dass sowohl ein Mitarbeiter von Trump als auch die Pressesprecherin des Vizepräsidenten Mike Pence positiv auf das Virus getestet wurden. Beide hätten in den vergangenen Tagen Kontakt zu ranghohen Beamten und Beamtinnen gehabt, schrieben mehrere Medien. Trotzdem sagte Trumps Stabschef Mark Meadows: Das Weiße Haus sei „vermutlich der sicherste Ort“, an dem man sein könnte. Pence gab am Dienstag trotzdem bekannt, er werde den direkten Kontakt mit Trump nun zur Sicherheit meiden.

Senator Tim Kaine und Senator Richard Burr
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Auch im US-Senat haben neue Begrüßungsformen Einzug gehalten

„Alle Wege zurück führen über Tests“

„Alle Wege zurück zur Arbeit und zurück zur Schule führen über Tests, und das, was unser Land bisher bei Tests getan hat, ist beeindruckend, aber bei Weitem nicht ausreichend“, sagte Lamar Alexander, der republikanische Vorsitzende des Senatsausschusses, in seiner Eröffnungserklärung. Auch Alexander unterzieht sich in seinem Heimatstaat Tennessee 14 Tage lang einer Selbstquarantäne, nachdem ein Mitglied seines Personals positiv getestet worden ist.

Fauci sagte bei der Anhörung, er halte es für möglich, dass die Pandemie in den USA mehr Menschenleben gefordert hat als bisher bekannt. Laut einer Aufstellung der Johns-Hopkins-Universität gibt es US-weit inzwischen mehr als 1,3 Millionen bestätigte Infektionen und mehr als 80.000 Todesfälle. Fauci wies im US-Senat aber auf die Möglichkeit hin, dass Menschen zu Hause an den Folgen einer Coronavirus-Infektion starben, ohne dass dies in einer offiziellen Statistik landete.

Der Virologe warnt eindringlich vor einer Verharmlosung der Krise: „Wir wissen längst nicht alles über dieses Virus. Wir beginnen Dinge zu sehen, die dieses Virus kann, von denen wir anfangs nichts wussten – gerade was die Gefahr für Kinder angeht.“ Fauci erwähnte das Kawasaki-Syndrom, eine Kinderkrankheit, deren Ausbruch zurzeit im Verdacht steht, mit dem Coronavirus zusammenzuhängen.

Hannelore Veit zur Coronavirus-Lage in den USA

Hannelore Veit kommentiert die Beliebtheitswerte von US-Präsident Trump und dessen weiteres Management der Pandemie.

Trump reagiert zunehmend gereizt

Trump hatte die Entscheidung über eine Öffnung beziehungsweise deren Umfang weitgehend den Bundesstaaten selbst überlassen – entsprechend verfolgen die Gouverneure unterschiedliche Ansätze. Die meisten tendieren zu einer Lockerung der Maßnahmen, auch wenn Meinungsumfragen zeigen, dass die meisten US-Amerikaner das mit Sorge sehen. Auf Vorwürfe, zu spät reagiert zu haben, reagiert Trump jedenfalls zunehmend gereizt – am Montag (Ortszeit) brach er eine Pressekonferenz zur Coronavirus-Pandemie nach einem Wortwechsel mit einer US-Journalistin abrupt ab.