„Transitzone“ bei Röszke, Ungarn
AP/Pablo Gorondi
EuGH-Urteil

Unterbringung in Lager Röszke wie „Haft“

Die Unterbringung von Asylwerberinnen und Asylwerbern im ungarischen Containerlager Röszke ohne Einzelfallprüfung verstößt gegen EU-Recht. Dieses Urteil hat am Donnerstag der Europäische Gerichtshof (EuGH) gesprochen. Die Bedingungen in dem Lager an der ungarisch-serbischen Grenze glichen einer Inhaftierung, befanden die Luxemburger Richter.

Die Bedingungen in dem Lager seien „Haft“ gleichzusetzen, hieß es in dem Urteil explizit. Wenn eine gerichtliche Prüfung ergebe, dass Asylwerberinnen und Asylwerber „ohne gültigen Grund in Haft genommen wurden, muss das angerufene Gericht sie unverzüglich freilassen“, entschied der EuGH. Bereits seit 2017 werden in Ungarn Menschen in zwei Lagern nahe der Grenze zu Serbien untergebracht.

Hintergrund für den Spruch sind die Klagen von vier Asylwerbern aus Afghanistan und dem Iran, die in der Transitzone untergebracht sind. Die Gebiete sind mit einem hohen Zaun und Stacheldraht umgeben. Die vier Asylwerber durften ihren Sektor nur in Ausnahmen und in polizeilicher Begleitung verlassen. Besuch war nur nach vorheriger Genehmigung in einem gesonderten Container erlaubt.

Betroffene klagten gegen Unterbringung

Die ungarischen Behörden hatten die Asylanträge als unzulässig abgelehnt, weil die Geflüchteten via Serbien eingereist waren. Das Nachbarland Serbien weigerte sich aber, die Asylwerber wieder aufzunehmen. Damit lag der Ball wieder bei Ungarn: Das Land unter der Regierung des rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orban entschied daraufhin, die Flüchtlinge nach Afghanistan beziehungsweise in den Iran abzuschieben. Die Asylwerber klagten gegen die Entscheidungen und die Unterbringung. Das mit den Klagen befasste ungarische Gericht rief den EuGH an.

„Transitzone“ bei Röszke, Ungarn
AP/Vadim Ghirda
Die Lage in der Transitzone an der ungarisch-serbischen Grenze sorgt seit Jahren für Aufregung. Das Bild stammt aus dem September 2016.

Lager „aus eigenen Stücken“ nicht zu verlassen

Der Gerichtshof stellte zu den Bedingungen in Röszke fest, dass die Asylwerber das abgeschottete Gebiet „aus eigenen Stücken rechtmäßig in keine Richtung verlassen“ könnten. Sie könnten die Zone insbesondere nicht in Richtung Serbien verlassen, weil das von den serbischen Behörden als rechtswidrig angesehen würde und sie deshalb mit Sanktionen rechnen müssten. Sie könnten zudem dadurch jegliche Aussicht auf Anerkennung als Flüchtling in Ungarn verlieren.

Der EuGH stellte zudem klar, dass die Rechtmäßigkeit einer als „Haft“ eingestuften Unterbringung durch Gerichte überprüft werden muss. Wenn eine gerichtliche Prüfung ergebe, dass Asylwerber „ohne gültigen Grund in Haft genommen wurden, muss das angerufene Gericht sie unverzüglich freilassen“, erklärte der EuGH.

Migranten protestieren in der „Transitzone“ bei Röszke, Ungarn
Reuters/Bernadett Szabo
Geflüchtete aus Syrien im Lager Röszke im August 2015

Ungarn argumentiert mit „freiwilligem“ Aufenthalt

Die Regierung Orban verfolgt seit Jahren eine Politik der Abschottung und Abschreckung von Flüchtlingen und Migranten. Seit mehreren Jahren hält das Land Asylwerber in den Containerlagern fest. Ungarn argumentiert stets, die Menschen hielten sich „freiwillig“ dort auf, weil sie die Lager in Richtung Serbien verlassen könnten. Wer jedoch nach Serbien zurückkehrt, verliert in Ungarn automatisch seinen Status als Asylwerber.

Wegen der ungarischen Transitlager läuft noch ein weiteres Verfahren vor dem EuGH. Die EU-Kommission klagte das Land bereits 2018 im vorerst letzten Schritt eines Vertragsverletzungsverfahrens, weil die Lager nach Ansicht der EU-Behörde gegen EU-Recht verstoßen.

Helsinki-Komitee, Grüne und SPÖ begrüßen Urteil

Das ungarische Helsinki-Komitee begrüßte das Urteil. „Diese Entscheidung stellt klar: Die Bestimmungen des ungarischen Asylrechts sind mit dem europäischen Recht unvereinbar“, schrieb die Kovorsitzende des Komitees, Marta Pardavi. Die Menschenrechtsorganisation hatte die Klage von vier Asylwerbern – ein Ehepaar aus Afghanistan sowie zwei Männer aus dem Iran – vor Gericht vertreten.

Pardavi meinte weiter: „Das Urteil ist nicht nur ein großartiger Erfolg für die zwei von uns vertretenen asylsuchenden Familien, sondern auch für die anderen Menschen, die in den (zwei ungarischen) Transitzonen schmachten, sowie für jeden gesetzestreuen ungarischen Staatsbürger.“

„Von Orban zu verantwortende Schande für ganz Europa“

Auch die Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, Monika Vana, die grüne Menschenrechtssprecherin Ewa Ernst-Dziedzic sowie SPÖ-Europaabgeordnete Bettina Vollath begrüßten die Entscheidung des EuGH. Vana erklärte, Röszke sei „eine von (…) Orban zu verantwortende Schande für ganz Europa“. EU-Kommission und Europaparlament müssten gemeinsam die sofortige Schließung von Röszke fordern.

Auch Ernst-Dziedzic erklärte, das „Urteil ist eine klare Absage an die menschenverachtende Abschreckungs- und Abschottungspolitik, die von einigen europäischen Staaten verfolgt wird“. Solche Lager seien „auf europäischem Boden rechtlich völlig unvertretbar“ und müssten somit geschlossen werden.

Vollath betonte, „wer noch einen weiteren Beweis dafür gebraucht hat, dass Ungarns Umgang mit Schutzsuchenden menschenfeindlich und rechtswidrig ist, hat ihn heute erhalten“. Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, würden in Ungarn „wie StraftäterInnen eingepfercht und ihrer Grundrechte beraubt. So etwas darf es in der EU nicht geben“, sagte sie.