Gesundheitsminister Rudolf Anschober zeigt auf eine Grafik
Picturedesk.com/EXPA/Florian Schroetter
Alltag mit Coronavirus

Krisenstab blickt mit Resümee in die Zukunft

Vor rund zwei Monaten ist das Coronavirus Teil des – veränderten – Alltags geworden. Die anfänglichen Ausgangsbeschränkungen sind schrittweise Lockerungen gewichen, die Zahl der Infektionen ist dennoch nicht dramatisch gestiegen. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Experten aus seinem in der Krise eingesetzten Beraterstab sprachen am Montag von einem „großen Erfolg“. Eine schnellere Öffnung sei dennoch nicht zielführend.

„Wir wollen kein Experiment starten und konsequent diesen Kurs fortsetzen“, sagte Anschober. In der ersten Juni-Hälfte soll auf Basis der bis dahin erfolgten Lockerungen eine erste Prognose für den Herbst gegeben werden. Es sei vor allem für große Institutionen wie die Oper wichtig, ob und unter welchen Rahmenbedingungen eine Öffnung im Herbst möglich sein werde, so Anschober.

Drei Öffnungsschritte gab es seit dem Herunterfahren des öffentlichen Lebens Mitte März bisher. Das schlage sich in den Zahlen kaum nieder, sagte Anschober bei einer Pressekonferenz am Montag gemeinsam mit Experten und Expertinnen aus seinem Beraterstab erfreut. Um 0,17 Prozent seien die Neuinfektionen von Sonntag auf Montag gestiegen. Mitte März lag diese Rate bei rund 36 Prozent, zeitweise auch weit darüber. „Das ist etwas Großes, das erfreulicherweise in Europa anderen Ländern wie der Schweiz, Deutschland, Tschechien und der Slowakei mit ähnlichen Maßnahmen gelungen ist“, so Anschober. Aber es sei noch nicht vorbei.

Nachverfolgung der Infektionen entscheidend

Der veränderte Alltag mit dem Coronavirus „wird uns noch Wochen und Monate begleiten“. Das Virus habe seine Eigenschaften nicht geändert, sagte der Infektiologe Herwig Kollaritsch. „Es ist nicht harmloser geworden. Bisher haben wir es mit einfachen, uralten Methoden geschafft, das Virus zurückzudrängen und in Schach zu halten.“ Aber es sei ein fragiles Gleichgewicht. Auf eine Herdenimmunität zu setzen „können wir uns abschminken“, so Kollaritsch. Selbst in Spanien, das stark von der Pandemie betroffen sei, gehe die Immunität einer aktuellen Studie zufolge nicht über fünf Prozent hinaus. Eine schrittweise Öffnung sei daher unabdingbar.

Facharzt für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin Herwig Kollaritsch
APA/Georg Hochmuth
Infektiologe Kollaritsch hält ein Beibehalten der schrittweisen Öffnung für unabdingbar

Herwig Ostermann, Geschäftsführer von Gesundheit Österreich und Mitglied in Anschobers Beraterstab, hält für weitere Entscheidungen zur Vorgehensweise die Zahl der Infektionen, die nicht auf den Ausgangspunkt zurückzuführen seien, für die relevante Größe: „Solange wir Fälle in Clustern haben, ist das weniger kritisch als Fälle, die wir nicht zurückverfolgen können.“

Ähnlich sieht das Kollaritsch: „Bei bis zu 50 bis 100 Neuerkrankungen pro Tag haben wir die Chance, diese zurückzuverfolgen. Bei 1.000 oder mehr ist das nicht mehr möglich.“ Eine Abkehr von verpflichtenden Schutzmasken hält der Experte für falsch: „Das hat einen physikalischen wie einen psychologischen Effekt. Es zeigt, dass wir noch nicht im normalen Bereich angekommen sind.“

„Jetzt kennen wir den Feind“

Auch wenn viele Virologen fix von einer zweiten Welle ausgehen, ist Kollaritsch optimistischer: „Wenn wir die Neuinfektionen kontinuierlich kontrollieren können, wird es keine zweite Welle geben.“ Der Herbst sei aber eine spezielle Herausforderung, wenn das Leben nach den Sommerferien wieder verstärkt anlaufe und weniger im Freien ablaufen könne. Er gibt sich aber zuversichtlich, weil in Österreich derzeit eine hohe Testdichte herrsche, die Infrastruktur besser vorbereitet sei und die Nachverfolgung schneller gehe: „Jetzt kennen wir den Feind und wissen, wie er sich verhält.“

Allgemeinmedizinerin Susann Rabady
APA/Georg Hochmuth
Allgemeinmedizinerin Rabady: Zutritt zum Gesundheitssystem „regeln, aber nicht begrenzen“

Auch die Allgemeinmedizinerin Susanne Rabady aus Anschobers Beraterstab sprach von großen Lerneffekten in den vergangenen Wochen. Es sei gut gewesen, den Zutritt zum Gesundheitssystem zu regeln. Sie betonte nun mit Blick auf die Zukunft auch, dass alle kranken Menschen eine medizinische Behandlung brauchen. Man dürfe nicht unterscheiden zwischen Covid-19-Erkrankten und anderen: „Zutritt regeln darf nicht heißen zu begrenzen.“ Auch in Zukunft werde der Hausarzt die erste Anlaufstelle sein. Umso entscheidender seien Tests. Denn es sei schwierig, das Coronavirus von anderen Infekten und Krankheitsbildern zu unterscheiden.

„Richtig ist, was wichtig ist“

Der Bundesrettungskommandant des Roten Kreuzes, Gerry Foitik, sprach daher von einer Phase großer Sensitivität: „Jeder Husten, Fieber, Kurzatmigkeit und der Verlust des Geruchssinns muss derzeit dazu führen, dass man selbst einen Covid-19-Verdacht hat und testet.“ Dadurch seien schnell eine Diagnose und Kontaktverfolgung möglich, um Infektionsketten zu unterbinden. Begegne man jemandem, der einen Verdacht auf eine Infektion hat, müsse man sich selbst so lange isolieren – auch im eigenen Haushalt –, bis das Testergebnis der Kontaktperson vorliege.

Für Risikogruppen wie über 65-Jährige und chronisch Kranke gab Foitik den Leitspruch „Richtig ist, was wichtig ist“ aus. Anfangs sei diesen Menschen empfohlen worden, Kontakte zu vermeiden. Foitik: „Das ist nicht lange durchhaltbar.“ Nun müsse jeder selbst entscheiden: „Was ist mir im persönlichen Leben wichtig? Welche Kontakte muss ich haben, dass ich ein ausgeglichener Mensch bin? Auf welche Kontakte kann ich verzichten?“ Mit jedem Kontakt, den man reduziere, verringere sich auch das Risiko einer Coronavirus-Infektion.