Gesundheitsminister Rudolf Anschober
APA/Herbert Neubauer
Cluster-Streit

Anschober versucht zu schlichten

Das Gezänk zwischen Stadt Wien und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in Sachen Coronavirus-Bekämpfung ist auch am Dienstag nicht abgeklungen. Man tauschte wieder Unfreundlichkeiten aus. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) versucht sich nun als Streitschlichter.

Er lud am Dienstag das Innenministerium zur nächsten gemeinsamen Arbeitssitzung zum Infektionscluster Wien/Niederösterreich ein. „Aus meiner Sicht ist die Bekämpfung der Krise weiterhin vielfach wichtiger als Parteipolitik“, appellierte Anschober an die Streitparteien, ohne diese konkret zu nennen.

Die Coronavirus-Krise „ist noch nicht vorbei. Wir sind gut unterwegs, aber ein kleiner Fehler, eine kleine Unachtsamkeit, ein kleines Unterschätzen können ausreichen, um eine zweite Welle auszulösen. Das wollen wir mit aller Kraft verhindern, es wäre für unsere Gesundheit, für unsere Gesellschaft, für die Wirtschaft und für unsere soziale Lage katastrophal. Dafür braucht es die Zusammenarbeit aller“, so Anschober.

„Zusammenarbeit in allen Bereichen“

Er werde in die nächste gemeinsame Arbeitssitzung zum Wien-Niederösterreich-Cluster auch Vertreter der SKKM-Krisenkoordination und damit des Innenministeriums an den Tisch einladen. „Hier braucht es jetzt Zusammenarbeit in allen Bereichen.“ Nehammer hatte kurz davor neuerlich der Stadt Wien – zumindest indirekt – vorgeworfen, nicht alles zu tun, um eine zweite Welle zu verhindern. Denn Wien verzichte als einziger Ort in ganz Österreich auf die „Überwachung von Quarantänemaßnahmen durch die Polizei“.

Anfang der Woche gab es Dutzende Infektions- und mehr als 400 Quarantänefälle, die in Verbindung zueinander stehen. Betroffen sind vor allem zwei Post-Verteilzentren, wo das Bundesheer zur Unterstützung gerufen wurde. Zum Vergleich: In Tirol, wo die Infektionswelle hierzulande startete, waren es ungleich mehr.

Berichte über Ermittlungen

Wie die Tageszeitungen „Kurier“ und „Österreich“ am Dienstagabend berichteten, ermittelt nun offenbar das Wiener Landeskriminalamt in dem Fall rund um die Post-Verteilzentren Hagenbrunn und Inzersdorf, das Flüchtlingsheim in Erdberg und eine Leiharbeitsfirma. Die Polizei konnte das am Abend nicht bestätigen.

Cluster-Karte von Großraum Wien und Niederösterreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Den Berichten zufolge geht es darum, dass mehrere Flüchtlinge die Quarantäneanordnung ignoriert haben und über die Leiharbeitsfirma trotz eines amtlichen Bescheids in den Verteilzentren der Post gearbeitet haben. Polizeisprecher Paul Eidenberger bestätigte, dass die Wiener Polizei damit beauftragt worden sei, einen Anfangsverdacht diesbezüglich zu überprüfen. Am Abend tauchten auch Meldungen auf, dass die Finanzpolizei in die Ermittlungen eingeschaltet sind – mehr dazu in wien.ORF.at.

Nehammer sieht Bedarf an „Wellenbrecher“

Er mache der Stadt Wien neuerlich das Angebot, „Contact-Tracing“ mit Hilfe der Polizei durchzuführen, um „rasch Infektionsketten zu durchbrechen“. „Das muss unser gemeinsames Ziel sein“, so Nehammer, der am Montag noch von einer „Mahnung an die Stadt Wien“ gesprochen hatte. Da 60 Prozent der Neuinfektionen in Wien registriert würden, brauche es „einen Wellenbrecher“, damit eine zweite Welle „uns nicht wieder die Normalität nimmt“. Die Gefährlichkeit des Virus sei noch nicht vorbei.

Den Vorwurf, dass er mit seiner Kritik an der rot-grün regierten Stadt Wahlkampf betreibe – im Herbst findet die Gemeinderats- und Landtagswahl statt –, wies Nehammer zurück. Ihm gehe es nicht um „politische Spielchen“, er habe als ÖVP-Generalsekretär genug Wahlkämpfe erlebt. „Mein Bedarf und Bedürfnis nach Wahlkämpfen ist absolut gestillt. Ich stelle nur ein Hilfsangebot an die Stadt Wien.“ Finanzminister Gernot Blümel tritt als ÖVP-Spitzenkandidat bei der Wahl an.

Ludwig sieht „selbst ernannte Flex“ des Kanzlers

Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zeigte sich erbost und forderte einen Ordnungsruf von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Man werde sich diesen Umgang nicht gefallen lassen, so der Stadtchef. „Wenn die selbst ernannte Flex des Bundeskanzlers davon spricht, er muss Wien vor einem Tsunami bewahren oder er möchte jetzt einen Wellenbrecher vor Wien errichten, frage ich mich: Aufgrund welcher Indizien, aufgrund welcher Zahlen wird eine solche Terminologie verwendet?“, zeigte sich Ludwig in einer Pressekonferenz verärgert.

Er wies zudem wie schon Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) darauf hin, dass nicht das Innenministerium, sondern das Gesundheitsministerium zuständig und damit auch Ansprechpartner für die Stadt sei. „Wir arbeiten mit dem zuständigen Bundesminister Anschober sehr gut zusammen.“

Sozialpartner: „Unwahrheiten“ über Zeitarbeit

Unterdessen rückten Wirtschaftskammer und Gewerkschaft gemeinsam aus, um Arbeitskräfteüberlassung zu verteidigen. Hierzu gebe es „unrichtige Informationen und Unwahrheiten“. Damit aber „werden eine ganze Branche und ihre ArbeitnehmerInnen in einem negativen Licht dargestellt“, so Arbeitgebervertreter Erich Pichorner, Bundesvorsitzender der Personaldienstleister im Wirtschaftskammer-Fachverband der gewerblichen Dienstleister, und Thomas Grammelhofer, Bundesbranchensekretär Arbeitskräfteüberlassung in der Gewerkschaft Pro-Ge, in einer gemeinsamen Aussendung.

Beide Sozialpartnervertreter forderten, dass die Zeitarbeitsbranche nicht in ein politisches Hickhack hineingezogen werde. „Es stimmt schlicht und einfach nicht, dass überlassene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der öffentlichen Diskussion nach wie vor despektierlich als ‚Leiharbeiter‘ bezeichnet werden, kein Krankengeld erhalten oder als ‚neue Selbstständige‘ beschäftigt werden“, sagte Arbeitgebervertreter Pichorner.

Zeitarbeitnehmer seien in allen wesentlichen arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten wie Arbeitszeit, Urlaub, Entgelt, Krankengeld den Stammarbeitskräften gleichgestellt.