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Cluster-Streit

ÖVP mit neuem „Hilfsangebot“ für Wien

Der Konflikt zwischen der Stadt Wien und der Bundes-ÖVP hat sich auch am Mittwoch durch zahlreiche Wortmeldungen fortgesetzt. Die Volkspartei verteidigte die eigene Linie, die Stadt Wien solle Unterstützung in der Bekämpfung jener CoV-Ausbreitungscluster annehmen, die sich jüngst in Wien und Niederösterreich gebildet hatten. Nun will auch Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) einschreiten.

Mehrere Stimmen in der ÖVP legten am Mittwoch im Streit mit Wien nach. Raab ortete „signifikant viele Fälle in Flüchtlingsheimen der Stadt Wien“ und bot an, die Stadt mit Angeboten des Integrationsfonds zu unterstützen. Dass der Konflikt im Wien-Wahlkampf begründet sei, wies sie zurück. „Wir sind sehr wohl in einem Kampf, nicht im Wahlkampf, sondern im Kampf gegen das Virus.“ Man wisse nicht genau wie viele, es gehe aber um „zumindest ein Dutzend Flüchtlinge“ in den Heimen der Stadt, so Raab. Man wisse auch von Quarantänebescheiden, trotzdem sei das Virus in andere Lebensbereiche getragen worden. Die Ministerin ortete hier ein „klares Informationsdefizit“, für das sie die Stadt verantwortlich machte – mehr dazu in wien.ORF.at.

In Wien wurde bereits das Landeskriminalamt mit der Überprüfung eines Anfangsverdachts beauftragt. Die Wiener Ermittler sollen prüfen, ob es bei den Flüchtlingen Verstöße gegen die Quarantänebestimmungen gab. Laut den Vorwürfen, auf die Raab verwies, sollen mehrere Personen die Quarantäneanordnung ignoriert haben und über die Leiharbeitsfirma trotz eines amtlichen Bescheids in den Verteilzentren der Post in Hagenbrunn und Inzersdorf gearbeitet haben – mehr dazu in wien.ORF.at.

Raab will Dolmetscher einsetzen

Raab sagte am Mittwoch, man könne hier mit Materialien in 17 Sprachen und Dolmetschern helfen. Das Integrationsministerium hatte im Zuge eines Informationskampagne Hunderttausende Menschen mit Migrationshintergrund via SMS, Soziale Netzwerke, Telefon und online über Maßnahmen und Verhaltensregeln in der Coronavirus-Krise informiert.

Dabei passierten auch Fehler: So informierte der Integrationsfonds Migranten und Migrantinnen lückenhaft über die Ausgangsbeschränkungen. Es fehlte der Hinweis, dass man Haus oder Wohnung auch zum Spazierengehen und Sport im Freien verlassen darf.

Raab wiederholte die Kritik an Wien auch im Ö1-Mittagsjournal. „Die Flüchtlingsheime sind Heime, die der Stadt Wien unterliegen. Und dementsprechend ist es natürlich auch die Verantwortung der Betreiber und Zuständigen dieser Heime“, so Raab. Der ehemalige Generalsekretär des Koalitionspartners, Thimo Fiesel, reagierte darauf auf Twitter scharf: Raabs Spin sei „grauslich, weil er Menschen stigmatisiert“, meinte Fiesel, der Ende April aus seinem Amt ausgeschieden war.

Nehammer legte „Finger auf richtige Wunde“

Schützenhilfe für Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) im Streit mit der Stadt Wien kam am Mittwoch auch von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP). Nehammer habe in der Ermahnung, Wien möge besser mit dem Bund zusammenarbeiten, „sicher den Finger auf die richtige Wunde gelegt“. Das Containment der Infektionen sei für die Wirtschaft wichtig. Sie sehe nicht ein, dass diese und die damit verbundenen Arbeitsplätze gefährdet würden. „Wir können uns einen zweiten ‚Lock-down‘ nicht leisten. Das trifft auf alle Bundesländer zu, auf Wien ganz besonders“, sagte Schramböck.

Diskussion über Cluster geht weiter

Nach der anhaltenden Diskussion über den Cluster in Wien und Niederösterreich hat sich nun auch Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) eingeschaltet. Sie betonte die gute Zusammenarbeit mit der Hauptstadt.

Aus der SPÖ meldete sich Parteichefin Pamela Rendi-Wagner zu Wort. „Es ist grundsätzlich abzulehnen, was die ÖVP hier macht“, sagte sie bei einer Pressekonferenz auf Journalistennachfrage. Hier mache die Volkspartei „Stimmenfang auf Wiener Ebene – auf Kosten der Gesundheit“. „Das ist zutiefst beschämend und inakzeptabel.“ Rendi-Wagner lobte die Arbeit des Gesundheitsministeriums und der Stadt Wien. „Was den inhaltlichen Teil des Schlagabtausches betrifft, bin ich aufseiten des Gesundheitsministeriums.“ Es gebe „eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Stadt Wien“.

Wien sieht „großartige Zusammenarbeit“

Kritik übte die SPÖ-Chefin an der inhaltlichen Einmischung des Innenministers. „Ich sehe, was die Infektionskontrolle betrifft, keine fachliche Zuständigkeit beim Innenminister. Die ist ausschließlich beim Gesundheitsministerium.“ Ähnlich argumentierte am Mittwoch Wiens Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ): Politiker hätten die Aufgabe, für die Bevölkerung das Beste aus der aktuellen Situation zu machen. „Da hilft es nichts, wenn man das als Wahlkampfbühne nutzt, und ich finde schon, das hat der Herr Innenminister gemacht. Das ist aus meiner Sicht völlig unzulässig in dieser Situation.“

Integrationsministerin Susanne Raab
APA/Helmut Fohringer
Integrationsministerin Raab

Es sei völlig richtig, dass sich in der derzeitigen Lage die Länder-, Gemeinde- und Bundesebene bestmöglich koordinieren und bestmöglich miteinander arbeiten müssen. „Wir tun das intensiv untereinander in den Bundesländern und wir tun das auch mit der Bundesregierung.“ Es gebe eine „großartige und eine enge Zusammenarbeit“ mit dem zuständigen Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), der das ja auch selbst in den vergangenen Tagen immer wieder hervorgehoben habe. „Ich glaube, das hilft schon ein bisschen beim Einordnen von dem, was Nehammer gemacht hat“, so Czernohorszky.

Die in den vergangenen Tagen vor allem von Nehammer geäußerte Kritik an Wien hatte zuvor schon die Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) auf den Plan gerufen, die sich in einer Koalition mit der SPÖ befindet. „Nehammer ist weit übers Ziel hinausgeschossen“, sagte sie im „Kurier“. „Ich lehne jede Form von Wien-Bashing ab.“ Fünf Monate Wien-Wahlkampf seien mitten in der Krise fehl am Platz.

Zurückhaltung bei Kogler und Blümel

Auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) wurde am Mittwoch im Pressefoyer nach dem Ministerrat von den Journalisten zur Causa angesprochen. Er gab sich nach der ausführlichen Kritik an Wien durch Schramböck bedeckt: „Ich sehe da jetzt keine Besonderheiten oder schlimme Dinge.“ Kogler betonte, dass Wien als Ballungsraum von vornherein eine andere Situation habe als andere Bundesländer. Aus dem Gesundheitsministerium wisse er, dass man dort davon ausgehe, dass in allen Ländern die bestmögliche Variante der Eindämmung verfolgt werde.

Auffällig zurückhaltend blieb beim selben Termin Finanzminister Gernot Blümel, als Wiener ÖVP-Chef direkt in den Urnengang in der Bundeshauptstadt im Herbst involviert. Man müsse gemeinsam daran arbeiten, die Ausbreitung des Virus zu verhindern, meinte er.

Lob aus St. Pölten

Deutlicher – die „gute Zusammenarbeit“ mit Wien lobend – wurde die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP): Sie könne bestätigen, „dass es eine gute Zusammenarbeit auf fachlicher und sachlicher Ebene gibt zwischen den einzelnen Sanitätsstäben Wien und Niederösterreich“. Auch die politische Kooperation sei gut: „Ich stehe hier im Kontakt mit dem Bürgermeister von Wien (Michael Ludwig, SPÖ, Anm.), weil es wichtig ist, gemeinsam gegen das Coronavirus anzukämpfen“, sagte sie – mehr dazu in noe.ORF.at. Das Angebot Nehammers an die Stadt Wien, „Contact-Tracing“ mit Hilfe der Polizei durchzuführen, wollte sie jedoch nicht kommentieren.

Nehammer hatte zuletzt am Dienstag in der ZIB2 dem Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) angeboten, die Polizei für Mithilfe heranzuziehen, um Infektionscluster zu identifizieren. Das Innenministerium sei schließlich verantwortlich für das staatliche Krisen- und Katastrophenmanagement, so der Minister. Es gehe darum, „Infektionsketten quer durch Österreich zu durchbrechen“. Wien habe er dabei nur unterstützen wollen, da es im Mai viele Neuinfektionen gegeben habe. Wien habe das Angebot nicht angenommen. Laut Epidemiegesetz ist die Polizei nicht für die Vollziehung von ergriffenen Maßnahmen zuständig. Sie kann per Gesetz die zuständigen Behörden, etwa die Stadt Wien, auf Ersuchen nur unterstützen.

Innenminister Nehammer zum Cluster-Streit

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sprach über die Häufung der Coronavirus-Infektionen in Wien, seine Kritik an der Stadtregierung und die von ihm angebotene Unterstützung der Wiener Gesundheitsbehörden durch die Polizei.

Gesundheitsminister Anschober versuchte am Dienstag zu vermitteln: Er lud das Innenministerium zur nächsten gemeinsamen Arbeitssitzung zum Infektionscluster Wien/Niederösterreich ein. „Aus meiner Sicht ist die Bekämpfung der Krise weiterhin vielfach wichtiger als Parteipolitik“, appellierte Anschober an die Streitparteien, ohne diese konkret zu nennen.