Buchcover Maria Lazar: „Leben verboten!“
Verlag Das vergessene Buch
„Leben verboten!“

Zwischenkriegsthriller mit politischem Gewicht

Seit einigen Jahren bemüht sich der kleine Wiener Verlag Das vergessene Buch, das Werk der jüdischen Autorin Maria Lazar wieder zugänglich zu machen. Mit ihrem erstmals auf Deutsch veröffentlichten Hauptwerk, dem Thriller „Leben verboten!“, ist ein Coup gelungen.

Der Thriller ist subtil – und dennoch geht Lazar von Seite eins an mit viel Entschiedenheit und Tempo in medias res. Ihr Protagonist Ernst von Ufermann ist 34 Jahre alt und steht dem traditionsreichen Berliner Bankhaus E. Ufermann & Co vor. Er hat eine schöne, immer etwas leidende Frau, die sommers nach Davos muss, und eine Geliebte, die seine Bedürfnisse stillt.

Und er hat einen Termin in Frankfurt, Abfahrt sieben Uhr fünfundvierzig zum Flugplatz Berlin Tempelhof. Es ist das Jahr 1931, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens ist heikel, ein befreundeter Geschäftsmann hat erst kürzlich Suizid begangen, die Zeiten sind offenbar so. Auch Ernst von Ufermann würde sich lieber weiter in sein Bett kuscheln, als erwachsen Verantwortung zu übernehmen.

Maria Lazar
Verlag Das vergessene Buch
Porträt von Maria Lazar

Totgeglaubt das bessere Leben

Aber unbarmherzig klopft das Hausmädchen, der Wagen wartet. Und dann, auf dem Flugplatz, wird Ufermann die Flugkarte gestohlen. Er kann den Flieger nicht besteigen, doch statt sich telefonisch entschuldigen zu lassen, geht er spazieren. Eine nie gekannte Freiheit tut sich auf. Und als schließlich die Zeitungen plärren, der Flieger mit dem Bankier Ufermann sei abgestürzt, alle Passagiere verbrannt, niemand identifizierbar, die schöne Witwe dank enormer Versicherungssumme reich und das Unternehmen gerettet – wäre das nicht ein Ausweg aus diesem ungeliebten Leben?

Hellsichtig, klug, doch unveröffentlicht

Der Thriller „Leben verboten!“ ist das bisher nie auf Deutsch erschienene Hauptwerk von Lazar, jener 1895 in Wien geborenen und lange Zeit fast unbekannten jüdischen Autorin, die schon 1933 gemeinsam mit ihrer Tochter Österreich verlassen hat. Im dänischen Exil lebte sie in der Nachbarschaft von Bertolt Brecht und der berühmten dänischen Schriftstellerin Karen Michaelis, 1939 ging sie weiter nach Schweden, wo sie 1948 nach schwerer Krankheit Suizid beging. Mit politischer Hellsichtigkeit hatte Lazar früher als viele andere die konkrete Gefahr der Deutschnationalen für den gesellschaftlichen Frieden erkannt, wurde damit aber in ihrer Heimat nicht gerne gehört.

Lazar hatte sich schon ab 1929 um eine Veröffentlichung ihres Romans bemüht, unter anderem bei Zsolnay, jedoch vergeblich. Erst 1934 erschien eine gekürzte, englischsprachige Version bei einem englischen Verlag. Erst jetzt ist es dem jungen Verleger Albert Eibl gemeinsam mit dem Germanistikprofessor Johann Sonnleitner von der Universität Wien gelungen, das Werk zu veröffentlichen, nach jahrelangem Bemühen um das Typoskript, das sich im Privatbesitz der Erben von Maria Lazars im Jänner verstorbener Tochter Judith Lazar befand.

Skriptseiten
Verlag Das vergessene Buch/Albert Eibl
Die Typoskripte Maria Lazars von „Leben verboten!“

Es ist nun schon das dritte Buch von Maria Lazar, das Eibl in seinem Einmannverlag Das vergessene Buch seit 2014 neu publiziert hat, nach ihrem etwas manieriertem Debüt „Die Vergiftung“ und dem Widerstandsroman „Die Eingeborenen von Maria Blut“, verfasst 1934 und erstmals in einer russischen Exilzeitschrift 1937 erschienen. Eibl hatte seinen Verlag vor sechs Jahren noch während seines Germanistikstudiums gegründet, nicht zuletzt, um an der Schließung jener Lücken mitzuarbeiten, die der Nationalsozialismus in die Rezeption der Literatur von jüdischen Autorinnen geschlagen hat.

Lazar war zu Lebzeiten der publizistische Erfolg unter eigenem Namen verwehrt geblieben, im Exil verdiente sie sich ihr Geld mit Übersetzungen und schrieb unter dem Pseudonym Esther Grenen. „Leben verboten!“ ist von den bisher neu aufgelegten Büchern das rasanteste, in Wahrheit ein Krimi, der je nach erzählter Gesellschaftsschicht in unterschiedlicher Sprache agiert, klassenkämpferisch argumentiert, mit Kolportageelementen spielt und das auch im Text diskutiert.

Buchcover Maria Lazar: „Leben verboten!“
Verlag Das vergessene Buch

Maria Lazar: „Leben verboten!“ Verlag Das vergessene Buch, 380 Seiten, 26 Euro.

Die deutschnationale Verschwörung

Ernst von Ufermann, der zu Beginn des Romans noch ein so bequemes Leben geführt hat, sieht sich durch die Umstände seines offiziellen Ablebens gezwungen, unter fremder Identität ein geheimnisvolles Paket nach Wien zu schmuggeln. Was er nur tut, um sich etwas Zeit zu erkaufen, zieht ihn allerdings tief in eine Verschwörung deutschnationaler Studenten: Zuerst begeistert vom gemütlichen Wiener Dasein, wird er bald Zeuge, wie jüdische Studierende von Verbindungsstudenten verprügelt werden. Er wendet sich ab, weil es ihn nichts angeht – doch auf einmal tut es das dann doch.

„Mein Gott, ein paar Juden.“ – „Heut sind die Juden dran. Und morgen?“, diskutiert da die bessere Wiener Gesellschaft beim Bridgeabend. Bürgerliche mit militärischer Vergangenheit, ein stolzer Arbeitsloser, ein Hausmädchen in Nöten, eine politisch wache, unsterblich verliebte 16-Jährige: Das Personal, das Ernst von Ufermann in Wien begegnet, ist ein bunter Querschnitt durch die Zwischenkriegsgesellschaft. Lazar lässt auch einen jüdischen Professor auftreten, dem Ufermann sich in einem Hotel auf dem Semmering anzuvertrauen versucht. Der Professor erkennt wohl die Zeichen der Zeit, doch dass die deutschnationale Gefahr auch seinem Leib und Leben droht, will er nicht wahrhaben.

Kommentare zum Zeitgeschehen

Immer wieder bezieht sich Lazar in ihrem Text auf konkrete politische Begebenheiten wie etwa den Mord an dem jüdischen Journalisten Hugo Bettauer, „an seinem Schreibtisch sitzend, abgeschossen wie ein wehrloses Wild“. Sonnleitner schlüsselt das in seinem Nachwort detailliert auf und bringt Lazars literarische Beobachtungen in einen historischen Kontext.

Wie entsetzlich der rasende Antisemitismus ihre eigene Familie betreffen wird, kann Lazar freilich nur ahnen; zwei ihrer Schwestern werden von Wien nach Maly Trostinec deportiert und im August 1942 von der Waffen-SS ermordet.

Auf verlegerischer Schatzsuche

Lazar ist nicht die einzige, um deren Wiederentdeckung sich der Verlag Das vergessene Buch bemüht, da sind auch die 1965 verstorbene Marta Karlweiss, in den 30er Jahren Bestsellerautorin und verheiratet mit Jakob Wassermann, und Else Jerusalem, deren berühmter Rotlichtroman „Der heilige Skarabäus“ sich zwischen 1909 und 1911 an die 90.000 Mal verkaufte.

Verleger Albert C. Eibl
Philipp Horak
Albert Eibl gründete den Verlag Das Vergessene Buch

Sie alle wurden viele Jahrzehnte lang nicht gelesen, und das ist kein Zufall, sagt Eibl im Gespräch mit ORF.at: „Das intellektuelle Leben in Wien war ganz maßgeblich jüdisch geprägt, viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller hatten einen jüdischen Bezug. Gerade die wurden schon lange vor dem Holocaust durch die repressive Kulturpolitik vor allem ab 1933 komplett ins Abseits gedrängt.“ Dieses Unrecht wurde auch nach 1945 nicht behoben: „Viele Lehrstühle der Germanistik waren auch in Österreich noch lange besetzt mit ehemaligen Nationalsozialisten, bis weit in die Sechziger Jahre.“ Erst in den letzten zwanzig Jahren gebe es da in Österreich eine bewusste Aufarbeitung der lange Zeit nicht erforschten Exilliteratur.

Inzwischen wird auch Lazars dramatisches Werk neu entdeckt, letzten Dezember inszenierte Mateja Koleznik am Akademietheater Lazars Zwischenkriegsdrama „Der Henker“ unter großem Beifall. Und noch längst ist nicht alles verfügbar, so Eibl, der sich wünscht, den Nachlass sichten zu dürfen. Lazar habe noch weitere Romane verfasst, die noch nie verlegt wurden: „Es wäre wünschenswert, wenn der Nachlass gesammelt einer Institution übergeben würde, und ich vielleicht in meinem Verlag eine historisch-kritische Gesamtausgabe von allen Büchern machen dürfte.“