Ein Mann und eine Frau auf der Ladefläche eines Pickups blicken in Boca Chica (Texas) auf eine SpaceX-Rakete
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Raketen-Nachbar

Boca Chica wütend auf Elon Musk

Während die einen Tesla-Gründer und Privatraumfahrer Elon Musk für seinen innovativen Geist bewundern, werden die anderen nächtens von Raketenlärm geweckt. Rund um die Dorfgemeinde Boca Chica an der texanisch-mexikanischen Grenze regt sich Widerstand gegen den Milliardär, der mitten in der Idylle Raumschiffe testet.

SpaceX, Musks privates Raumfahrtunternehmen, begann 2014 seine South Texas Launch Site zu bauen, ein Testareal für Weltraumraketen im Südosten des US-Bundesstaats Texas. Musk erhielt für den 100-Millionen-Dollar-Bau (91 Mio. Euro) Subventionen in Höhe von etwa 15 Millionen US-Dollar (14 Mio. Euro).

Unweit des Raketentestgeländes liegt die kleine Siedlung Boca Chica, die laut Volkszählung des Jahres 2000 26 Einwohnerinnen und Einwohner zählt. Wahrscheinlich sind es heute sogar noch weniger. Die Siedlung ist so klein, dass sie nicht einmal an das Wasserversorgungsnetz angeschlossen ist, weshalb einmal im Monat Trinkwasser per Lkw geliefert wird. Um Lebensmittel einzukaufen, müssen die Bewohnerinnen und Bewohner ins rund 60 Kilometer entfernte Brownsville fahren.

Billiges, abgelegenes Paradies

Man könnte Boca Chica mit seinen traumhaften Stränden und Naturreservaten also durchaus als entlegenes Paradies fernab jeder Hektik bezeichnen, doch genau das macht es auch attraktiv für SpaceX. Denn aufgrund der Abgeschiedenheit war das Gelände einerseits vergleichsweise billig zu erwerben, andererseits hatte SpaceX mit den Nebenerscheinungen seiner Raketentests nicht allzu viele Menschen gegen sich.

Strand in Boca Chica (Texas)
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Testet Musk Raketen, ist der Strand von Boca Chica aus Sicherheitsgründen gesperrt

Anrainerinnen und Anrainer sind jedoch die Leidtragenden. Einige berichteten US-Medien von ohrenbetäubendem Lärm, Explosionen, vom Himmel fallenden Trümmern und absonderlichen Regeln, die erst bei genauerer Betrachtung Sinn ergeben. So dürften die Bewohnerinnen und Bewohner bei Raketentests etwa nicht in ihre Häuser gehen, da der Lärm und die Erschütterung Glasscheiben zerbrechen lassen könnten.

Die texanische „The Atlantic“-Journalistin Rachel Monroe berichtete auf Twitter außerdem davon, dass der Nachbarschaft zum Teil erst spätabends über einen Raketentest Bescheid gegeben worden sei, der dann zwischen 3.00 und 4.00 Uhr in der Nacht stattgefunden habe. Während der Tests sei außerdem der Zugang zum öffentlichen Strand gesperrt, ebenso die Zufahrt auf die Autobahn.

„Sie wollen uns nicht hier haben, weil es Geld kostet“

Ob all das mutwillig geschieht oder nicht – darüber scheiden sich in den Sozialen Netzwerken die Geister. Weltraumunternehmer Musk versucht jedenfalls seit etlichen Jahren, die 35 Häuser in Boca Chica aufzukaufen. Noch vor der Eröffnung des Testgeländes kündigte Musk auch seine Pläne für die örtliche Bevölkerung bei einer Veranstaltung an: „Wir arbeiten mit den Bewohnern des Dorfes Boca Chica zusammen, weil wir glauben, dass es mit der Zeit ziemlich störend sein wird“, so der Unternehmer. „Die tatsächliche Gefahr für Boca Chica ist gering, aber sie ist nicht winzig. Deshalb wollen wir aber unser Risiko superwinzig halten. Also ist es wahrscheinlich besser, die Dorfbewohner mit der Zeit auszukaufen“, sagte Musk laut dem Magazin „Esquire“.

Dafür bot er den Inhaberinnen und Inhabern den dreifachen Preis für ihre Immobilien an. Viele nahmen das Angebot an, andere aber lehnten es ab. „Sie wollen uns nicht hier haben, weil es sie Geld kostet, uns hier zu haben. Aber wir waren zuerst hier“, sagte ein erboster Bewohner dem „Esquire“. Boca Chica ist als Seniorenresidenz bekannt, einige der Anrainerinnen und Anrainer hatten wohl die Absicht, ihren Lebensabend in dem kleinen Ort am Strand zu verbringen. „Es ist ärgerlich. Es gibt nur noch so wenige Orte wie Boca Chica. Es ist wunderschön, unerschlossen, von den Einheimischen geliebt, Teil eines wichtigen Naturreservats. Ein Ort, an dem Menschen ohne viel Geld in Strandnähe leben können“, kommentierte auch Journalistin Monroe.

Auch die Umwelt leide extrem, schrieb die Umweltaktivistin und Hausbesitzerin Cheryl Stevens auf ihrem Twitter-Account. In ihrer Profilbeschreibung ruft sie Musk auf, den Ort zu verlassen. „SpaceX, leave Boca Chica beach the gem that it is“, so die Userin. Wörtlich bedeutet das so viel wie: „SpaceX, lass den Strand von Boca Chica das Juwel sein, das er ist“, wobei „leave“ auf Englisch auch „verlassen“ bedeuten kann. Bereits vor Jahren wurde Stevens von US-Medien wie etwa der „Seattle Times“ interviewt, ob sie nach wie vor in Boca Chica lebt, konnte aktuell nicht bestätigt werden.

Boca Chica oder „SpaceX Village“?

Laut US-Medien waren im März dieses Jahres nur noch sieben Häuser in Boca Chica nicht im Besitz von SpaceX. Einige der übrigen Bewohnerinnen und Bewohner sollen wiederum ihren Nutzen daraus gezogen haben und ihre Häuser auf Airbnb und anderen Plattformen für Weltraumfans zur Vermietung angeboten haben. Jene bereits von Musk erworbenen Immobilien würden nun hauptsächlich als Lagerstätten genutzt, heißt es.

Doch einer SpaceX-Stellenausschreibung zufolge, die von „Business Insider“ entdeckt wurde, wird der Ort nun offenbar vom Unternehmen als „SpaceX Village“ bezeichnet und soll potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anlocken. Ein „privates Raumfahrtzentrum des Unternehmens mit Blick auf den Mars“ und „ein epischer Ort zum Leben und Arbeiten“, hieß es in der Anzeige, die mittlerweile entfernt wurde. „SpaceX Village“ würde „100 elektronisch buchbare Zimmer und regelmäßig geplante Aktivitäten wie Volleyballturniere, Klettern, Kajakfahren und Lounge-Veranstaltungen und -partys des Weltraumbahnhofs“ anbieten.

Elon Musk vor einer SpaceX-Rakete
Reuters/Callaghan O’hare
Musk ist nicht nur Milliardär, sondern gilt auch als Visionär. Doch nicht alle finden seine Ideen erstrebenswert.

Direkt an Boca Chica angrenzend liegt die rund 1.340 Hektar große Las Palomas Wildlife Management Area nahe der Mündung des Rio Grande in den Golf von Mexiko. Das Naturschutzgebiet soll wildlebenden Tieren Lebensraum geben, darf aber für Freizeitaktivitäten genutzt werden, etwa zum Baden und Angeln. Einige Flächen wurden speziell für die Weißflügeltaube ausgewiesen. Im Schutzgebiet befinden sich auch Teilflächen mit Feuchtgebieten für Wasservögel.

„Starship“ offenbar explodiert

Ab 2016 sollten auf der SpaceX South Texas Launch Site eigentlich bis zu zwölf „Falcon 9“- und „Falcon Heavy“-Raketen pro Jahr starten. Stattdessen werden dort bisher nur das neue SpaceX-Raumschiff „Starship“ und dessen Booster „Super Heavy“ getestet. Laut aktuellen US-Medienberichten ist gerade am Samstag jene „Starship“ nahe Boca Chica explodiert. Es war nicht die erste von Musks Raketen, die den Testungen nicht standhielt.

Der zweite – erfolgreiche Versuche von SpaceX, mit einer „Falcon 9“-Rakete in einer „Crew Dragon“-Raumkapsel zur Internationalen Raumstation (ISS) zu starten, fand am Samstag also nicht in Boca Chica in Texas statt, sondern in Cape Canaveral in Florida. Der vorherige Versuch wurde erst am Mittwoch wegen Schlechtwetters abgesagt. Es handelt sich um den letzten Flugtest der „Crew Dragon“. Neun Jahre ist es her, dass zuletzt Astronauten der NASA von den USA aus zur ISS flogen.