Donald Trump
Reuters/Jonathan Ernst
Krieg gegen Twitter

Vom Gehilfen zur Zielscheibe Trumps

Schwere Proteste gegen rassistische Polizeigewalt, ein wankelmütiges Krisenmanagement, mehr als 100.000 Todesfälle durch Coronavirus-Infektionen: US-Präsident Donald Trump steht rund fünf Monate vor der Wahl schwer unter Druck. Für eine willkommene Abwechslung sorgt da eine Verschwörungstheorie, die der Präsident gegen einen politischen Gegner ventiliert – und eine neue Fehde, die Trump via Twitter gegen Twitter anzettelte.

Trump hatte ohne jede Faktenbasis die Theorie über einen vermeintlichen Mord angeheizt, obwohl sich der Witwer der Toten dagegen gewehrt hatte: Lori Klausutis war im Jahr 2001 verstorben – für Trump ein „sehr verdächtiger“ Fall. Die Frau war damals Mitarbeiterin des früheren Kongressabgeordneten und heutigen MSNBC-Moderators Joe Scarborough. Trump hatte in diversen Tweets angedeutet, Scarborough – ein erklärter Gegner Trumps – könnte Lori Klausutis ermordet haben. Trump hat auf Twitter wiederholt gefordert, dass der angeblich ungeklärte Fall Klausutis wieder aufgerollt wird. Unter anderem twitterte der Präsident am 12. Mai mit Blick auf Scarborough: „Ist er mit Mord davongekommen?“

Auch der Witwer der Verstorbenen schaltete sich ein: Er schrieb, seine Ehefrau habe an einer Herzkrankheit gelitten. Sie sei bei der Arbeit in Scarboroughs Büro gestürzt und mit dem Kopf auf den Schreibtisch geprallt – zu diesem Schluss waren damals auch Ermittler gekommen. Die Mordthese widerspreche der Autopsie und gehöre zu den „schrecklichen Lügen“, die von „Verschwörungstheoretikern“ wie Trump verbreitet werden, so Timothy Klausutis. Er bat Twitter-Chef Jack Dorsey in einem von der „New York Times“ veröffentlichen Brief darum, die Tweets von Trump zu löschen.

Twitter führte neue Regeln ein

Der Konzern folgte den Bitten nicht, die Tweets des Präsidenten blieben ungelöscht. Twitter tat aber etwas anderes: Am Mittwoch unterzog die Plattform erstmals einen Tweet von Trump einem Faktencheck. Trump hatte behauptet, dass Briefwahl Wahlbetrug Vorschub leiste, was der Faktencheck als irreführend einordnete. Trump warf Twitter daraufhin vor, sich in die US-Präsidentschaftswahl im November einzumischen. Und er drohte Konsequenzen an, künftig würden Soziale Netzwerke reguliert oder gar geschlossen, weil sie konservative Stimmen unterdrückten.

Dekret ermöglicht Klagen gegen Soziale Netzwerke

Trump unterzeichnete am Donnerstag zudem ein Dekret, mit dem der Schutz Sozialer Netzwerke wie Twitter und Facebook vor Strafverfolgung beendet werden soll. Gemäß der Anordnung soll zudem die Möglichkeit der Plattformen beschnitten werden, Inhalte zu moderieren. Sollte das Dekret umgesetzt werden, wären Klagen gegen die Sozialen Netzwerke wegen der auf ihnen veröffentlichten Inhalte möglich. Trump begründete seinen Schritt am Donnerstag mit dem Vorwurf, die Plattformen seien nicht länger neutral, sondern betrieben „politischen Aktivismus“. Es gehe darum, „die Meinungsfreiheit gegen eine der schlimmsten Gefahren zu verteidigen“.

Joe Scarborough
AP/Steven Senne
Joe Scarborough war früher republikanischer Abgeordneter und arbeitet heute für MSNBC

Dem Kurznachrichtendienst war immer wieder vorgeworfen worden, nicht gegen falsche, irreführende oder beleidigende Tweets Trumps vorzugehen. Vor Kurzem hatte der Dienst die Gangart gegen irreführende Informationen allgemein verschärft. Unter anderem wurde angekündigt, dass sie mit Warnhinweisen versehen werden. Die Maßnahme wurde damals vor allem mit den Unwahrheiten über das Coronavirus in Verbindung gebracht. Man werde weiterhin „auf falsche oder umstrittene Informationen“ über Wahlen weltweit hinweisen, so Dorsey. Twitter versah etwa auch Tweets des chinesischen Außenamtssprechers mit einem Faktencheck-Hinweis.

Offene Baustellen

Trump schrieb am Mittwochabend auf Twitter, große Technologiekonzerne unternähmen alles, was in ihrer Macht stehe, um vor der Präsidentschaftswahl im kommenden November Zensur auszuüben. „Wenn das geschieht, haben wir unsere Freiheit nicht mehr. Das werde ich niemals zulassen!“

Im Wahljahr scheint Trump zu versuchen, nicht nur Twitter, sondern auch Facebook, YouTube und andere auf Linie zu bringen. Trump kämpft derzeit an vielen Fronten gegen Kritik. Seit Beginn der Coronavirus-Pandemie kamen in den USA laut Wissenschaftlern der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore mehr als 100.000 Menschen nach einer Infektion ums Leben. Trumps Krisenmanagement war im Zuge der Pandemie schwer unter Beschuss. Wiederholt folgte er nicht Empfehlungen von Experten oder gab unqualifizierte Ratschläge ab. Auch weigert er sich, in der Öffentlichkeit eine Maske zu tragen.

Direkter Draht ins Weiße Haus

In der Großstadt Minneapolis gab es die zweite Nacht in Folge Ausschreitungen bei Demos gegen Polizeigewalt und Rassismus. Bei einem Polizeieinsatz starb der 46-jährige George Floyd, nachdem ein Beamter minutenlang auf seinem Hals gekniet war. Trumps Gegner werfen ihm vor, selbst mit seiner aggressiven Rhetorik Rassismus und Gewalt zu schüren.

Protest in Minneapolis
APA/AFP/Getty Images/Stephen Maturen
In Minneapolis kam George Floyd nach einem Polizeieinsatz ums Leben. Seither wird dort protestiert.

Dass sich Trump nun so dezidiert gegen den US-Konzern wendet, ist zumindest bemerkenswert. Für ihn ist Twitter einer der wichtigsten Kanäle für die Verbreitung seiner politischen Botschaften. Er benutzt den Dienst dafür, Gegner heftig zu attackieren, Verschwörungstheorien zu verbreiten und seine eigene Regierungsarbeit zu loben. Viele Tweets des US-Präsidenten werden von Kritikern als Verdrehung oder Missachtung der Fakten angeprangert. Für seine Fans ist der Twitter-Kanal der direkte Draht zum Präsidenten – ohne die Filter traditioneller Medien, die seine Botschaften kritisieren könnten. Trump folgen auf Twitter mehr als 80 Millionen Menschen – ein über Jahre aufgebautes Publikum, das er nicht schnell zu einem anderen Dienst übertragen kann.

„Hässlich, sogar für ihn“

Doch manche Taktik Trumps geht auch seinen Verbündeten zu weit. So wandten sich nun auch Medien, die bisher als Verteidiger Trumps galten, gegen ihn, wie die „New York Times“ am Donnerstag berichtete. Kritik musste er von Blättern wie der „New York Post“, dem „Washington Examiner“ und dem „Wall Street Journal“ einstecken. Dieses bezeichnete Trumps Attacken gegen Scarborough in einem Leitartikel als „hässlich, sogar für ihn“. Auch innerhalb der Republikanischen Partei regte sich Widerstand. Die einflussreiche Abgeordnete Liz Cheney etwa ließ Trump ausrichten, er solle die Causa auf sich beruhen lassen und seine Aufmerksamkeit auf den Kampf gegen das Coronavirus legen.