Bereitschaftspolizei im Zentrum Hongkongs
APA/AFP/Anthony Wallace
Hongkong-Konflikt

Geschäftswelt wechselt in Peking-Lager

Für die internationale Geschäfts- und Finanzwelt ist Hongkong vielfach der wichtigste Handelsplatz in Asien. Dem andauernden Kampf für Unabhängigkeit von Peking und mehr Demokratie standen die Firmenchefs bisher wohwollend gegenüber – auch wenn sie das aus Sorge vor chinesischen Repressionen in aller Regel nicht laut kundtaten. Doch nun wechselt die Geschäftswelt laut „Financial Times“ („FT“) ins Peking-Lager.

Den letzten Ausschlag dafür gab der Grundsatzbeschluss für ein neues Sicherheitsgesetz für Hongkong, den der Chinesische Volkskongress am Mittwoch verabschiedete. Der genaue Gesetzestext soll im Herbst vorliegen – doch bereits jetzt ist klar, dass Peking die ehemalige britische Kronkolonie nun endgültig unter seine Kontrolle bringen will.

Viele Konzernchefs und Leiter der Hongkonger Filialen internationaler Unternehmen – von Banken bis Anwaltskanzleien – sind laut „Financial Times“ bereit, die „bittere Pille“ des Sicherheitsgesetzes zu schlucken, wenn damit die Proteste beendet werden.

Kampf um Prinzip „Ein Staat, zwei Systeme“

Die bald ein Jahr andauernden Proteste hatten sich an einem Gesetz entzündet, das die Auslieferung von Häftlingen an die Volksrepublik China ermöglicht hätte. Die Gegner des Gesetzes sahen darin eine Gefahr für das liberale Hongkonger Rechtssystem und das bei der Rückgabe der Kolonie an China akkordierte Prinzip „Ein Staat, zwei Systeme“.

Die Proteste der Demokratiebewegung und der Versuch der Polizei, diese niederzuschlagen, haben den asiatischen Businesshub zu einer Metropole mit Protestierenden gemacht, in der Verkehr und normales Geschäftsleben phasenweise völlig ausgehebelt waren und stattdessen Tränengaswolken durch die Straßen ziehen.

Bereitschaftspolizisten vor einer brennenden Tonne im Zentrum Hongkongs
APA/AFP/Isaac Lawrence
Die Polizei versucht, Straßenblockaden von Demonstranten zu verhindern

„Hongkong stirbt“

Ein Ende der ständigen Straßenkämpfe und des politischen Konflikts erscheint vielen Unternehmen umso dringender, als mit der Coronavirus-Pandemie die Rezession auch Hongkong erreicht hat und den wichtigen Finanzsektor der Stadt stark unter Druck setzt. Außerdem wurde es laut „FT“ schwieriger, Mitarbeiter für Hongkong zu rekrutieren. Ein hochrangiger Manager einer internationalen Bank wird gar mit den Worten zitiert: „Hongkong stirbt.“

Laut Stuart Witchell, Asienexperte des Beratungsunternehmens Berkeley Research, würden mehrere Unternehmen aufgrund der Proteste ihre Präsenz in Hongkong überdenken. „Wir sehen möglicherweise nicht nur, dass ausländische Unternehmen, sondern auch Hongkonger Unternehmen ihre Zukunftspläne neu beurteilen“, so Witchell zur „FT“.

Jenseits von 2047

James Tunkey vom Hongkonger Risikoberatungsunternehmen I-OnAsia zeigte sich dagegen überzeugt, dass multinationale Konzerne und Banken bereit sind, Pekings Sicherheitsgesetz zu akzeptieren. Laut Tunkey würden die Firmen bereits an die Zeit nach dem Auslaufen der 50-Jahre-Regelung, die Hongkong ein hohes Maß an Autonomie bis 2047 garantiert, denken.

Hongkong ist nicht nur einer der größten Häfen der Region, sondern vor allem die wichtigste Plattform, um Geld in das kommunistisch regierte China hinein- und wieder herauszubringen. Anders als Festlandchina gibt es in Hongkong ein Rechts- und Justizsystem, das internationalen Standards entspricht. Dazu gibt es freien Kapitalverkehr.

Skyline von Hongkong
Getty Images/zhuyufang
Panoramablick auf Hongkong

Neue Front zwischen USA und China

Die USA entzogen wegen des angekündigten Sicherheitsgesetzes Hongkong den bisher genehmigten Sonderstatus in den Handelsbeziehungen. Damit kann Präsident Donald Trump jederzeit eine Reihe von Sanktionen erlassen – das ist eine weitere Front im globalen Ringen um Einfluss der beiden Staaten. Allerdings warnte die US-Handelskammer genau davor. Zunächst müsse man den Gesetzestext abwarten. Hongkongs Sonderstatus zu beschädigen könnte sich als „schwerer Fehler“ herausstellen, warnte die Handelskammer.

Scott Kennedy, China-Experte der Washingtoner Denkfabrik Center for Strategic and International Studies, betonte, die jüngsten Entwicklungen könnten Unternehmen dazu veranlassen, „über einen Plan B und Plan C nachzudenken, aber sie werden nicht notwendigerweise wegziehen“.

Die Voraussetzungen für Firmen

Auch Dane Chamorro von Control Risk ist überzeugt, dass es nur zu einem Exodus von Firmen kommt, wenn beides – Rechtssystem und freier Kapitalverkehr – nicht mehr garantiert sind. „Sie werden nicht weggehen, solange es diese beiden Dinge gibt“, so Chamorro gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Internationale Firmen würden oft in Ländern mit fragwürdigen Regimen arbeiten. Entscheidend seien das Einhalten von Verträgen, einheitliche Arbeitsgesetze und vorhersehbare Gesetzgebung.

China droht den USA

China droht den USA mit harten Gegenmaßnahmen, sollten sie die Interessen der Volksrepublik verletzen. Beide Länder könnten einen Nutzen aus einer bilateralen Zusammenarbeit ziehen, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Zhao Lijian, am Montag in Peking. China werde aber seine Sicherheit und die Umsetzung seiner Interessen vehement verteidigen. Zhao kritisierte dabei die Ankündigung von Trump, wegen des geplanten chinesischen Sicherheitsgesetzes der Sonderverwaltungszone Hongkong wirtschaftliche Privilegien abzuerkennen.

Im Streit über die Zukunft Hongkongs nutzten chinesische Staatsmedien am Wochenende die Ausschreitungen in den USA für Kritik an Washington. Als Reaktion auf Trumps Ankündigung hieß es in einem Kommentar in der Zeitung „China Daily“ am Sonntag, US-Politiker träumten davon, China zu schikanieren.

„Ich kann nicht atmen“

„Gebt diesen Traum lieber auf und kommt zurück in die Realität“, schrieb das Blatt, das als Sprachrohr der Kommunistischen Partei gilt. Die Gewalt breite sich in den USA aus – die dortigen Politiker sollten „ihren Job machen und die Probleme in den USA lösen, anstatt neue Probleme und neuen Ärger in anderen Ländern zu schaffen“.

Auch die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Hua Chunying, nutzte die Ausschreitungen in den USA am Samstag für Kritik an Washington: „I can’t breathe“ (Dt.: „Ich kann nicht atmen“), schrieb sie auf Twitter, wobei sie den Screenshot eines Tweets der US-Außenamtssprecherin Morgan Ortagus beifügte, die den chinesischen Umgang mit Hongkong kritisiert hatte. Hua zitierte damit die Worte des Afroamerikaners George Floyd, die er kurz vor seinem Tod bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis mehrfach geäußert hatte. Der Vorfall war der Auslöser der gegenwärtigen Anti-Rassismus-Proteste in den USA.