Gemälde von Daniel Richter
Jochen Littkemann
Daniel Richter

Krise, Kunst und Kapitalismus

Daniel Richter zählt zu den Superstars der neueren neureichen deutschen Malerei, und ziemlich sicher ist er auf dem Kunstmarkt der politisch wachste und rhetorisch beweglichste. Wenn er jetzt seine neuen Bilder präsentiert, in denen sich Farben und Formen beinahe gewaltsame Schlachten liefern, dann verteidigt er einmal mehr, „dass Kunst einfach nur Kunst“ sein dürfe. Und fordert zugleich einen „staatlich gut regulierten, behäbigen Bildungsbürger-Kapitalismus“.

Salzburg in denkwürdigen Zeiten: Wer in den ersten Junitagen durch die Stadt geht, erlebt eine Tourismushochburg ohne Tourismus. Der Postkartenidylle fehlen die Menschenknäuel in Funktionsjacken, die Reisegruppen, die Rucksackflaneure. Eine Stadt auf halbmast. Wie schnell der Festspielstadt ohne Festspiele die Luft ausgeht, sieht man an ersten leerstehenden Geschäftslokalen. Ostern und Pfingsten – perdu, kein Wunder, dass jetzt alle auf den Sommer hoffen.

In der Galerie Ropac hat derweil ein garantiert krisensicherer Künstler Einzug gehalten. Daniel Richter zeigt unter dem Titel „So long, Daddy“ eine neue Serie großformatiger Leinwände, es sind Bilder mit farblicher Sprengkraft, leuchtend, vital und wie immer rätselhaft.

Richter, der Lässige unter den deutschen Malern, intellektuell, großmäulig und bekennender Entertainer, hat in seiner Laufbahn immer mal wieder einen Haken geschlagen, Methode oder Stil gewechselt und neue künstlerische Fragestellungen ausgelotet. In seinen neuen Arbeiten liefern sich Farben und Formen opulente Machtkämpfe. Es geht um Gewalt, das spürt man, und um Lust, das sieht man.

Bildüberfrachtung

„Ich verwende Farben mit der Absicht, mich selber zu stressen beim Malen. Das Erste, was du ja so lernst, ist, nicht zu viel zu machen und das Bild nicht zu überfrachten. Und dann hab ich eben festgestellt, dass Bildüberfrachtung natürlich viel interessanter ist als Bildbefragung.“ Daniel Richter sitzt zum Interview vor einem Tableau, das von einem Blau an der oberen Kante zu einem Purpur am unteren Bildrand changiert, vor dem Verlauf dieser Schattierung tummeln sich rote Schläuche, gelbe Wülste, blaue Arme, irgendwo dazwischen die Fratze eines Froschmanns. „Phallisch? Das sind Tentakel der Gewalt und Unterwerfung!“

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Gemälde von Daniel Richter
Jochen Littkemann
Gemälde aus Daniel Richters neuer Schau „So Long, Daddy“: In Messern, 2020
Gemälde von Daniel Richter
Jochen Littkemann
Oh, Flamingos, 2020
Gemälde von Daniel Richter
Jochen Littkemann
Mangodance, 2020
Gemälde von Daniel Richter
Jochen Littkemann
Der leere Demagoge, 2020
Gemälde von Daniel Richter
Jochen Littkemann
Skinners, 2020
Gemälde von Daniel Richter
Jochen Littkemann
An der Fichte, 2020

„Was mich an Farben interessiert, ist das Verhältnis der Farben untereinander“, sagt Richter. „Aber Farben selbst haben für mich nicht so einen starken symbolischen oder ästhetischen Wert. Es gibt Farben, die ich enttäuschend finde – aber die benutz ich trotzdem – so abgedämmte Rottöne zum Beispiel, die ich ganz eklig finde. Und alles, was so ins Grün, Braun, Ocker geht, verliert natürlich an Aggressivität.“ Das sei für Melancholie und Landschaft gut geeignet, aber nicht für die Themen, für die er sich interessiert.

Politische Verwerfungen

„Mich interessiert diese Gewalt von Bildelementen untereinander, das Eindringen, Verdrängen, Schieben, Stoßen, also Stress.“ Ausgangspunkt der neuen Arbeiten war das abstrakte Bildsystem der politischen Kartografie, also Abbildungen von Ländergrenzen, die sich über die Jahre dynamisch verschieben. „Und das ist dem Militanten und Pornografischen sehr ähnlich.“ Wenn man mit Daniel Richter redet, hat man den Eindruck, dass ihn eigentlich alles interessiert, immer schon.

Der 1962 im norddeutschen Eutin geborene Künstler ist ein politischer Kopf und begnadeter Bohemien. An die Kunsthochschule verschlug es ihn erst mit knapp dreißig, dafür verlief seine Karriere später dann umso steiler. Was bei ihm auf der Leinwand als abstrakte Farbschlacht daherkommt (dazwischen gab es allerdings auch eine längere Phase der düsteren figurativen Malerei), treibt ihn im echten Leben um – das Weltgeschehen im Allgemeinen, die politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen im Speziellen.

„Geld bedeutet mir nichts“

Die jüngsten Ereignisse in den USA findet Daniel Richter deprimierend, die Politik Donald Trumps empört ihn. Der ehemalige Hausbesetzer hat sich zwar im Laufe seines Lebens von einigen linken Utopien verabschiedet, aber „letztlich bin ich für einen aufgeklärten militanten Antifaschismus“. Dass Trump jetzt Antifa-Gruppen mit IS-Terroristen und dem Ku-Klux-Klan gleichsetze, bringt ihn in Rage, das merkt man.

Daniel Richter
Shawn Dell
Daniel Richter bekennt sich zu einem „aufgeklärten militanten Antifaschismus“

Politische Kunst lehnt er aber genauso ab. Dass die Kunst in der Demokratie eine Aufgabe zu erfüllen habe, findet er falsch. „Es genügt, wenn die Kunst einfach Kunst ist.“ So arbeitet sich der manische Zeitungsleser und Besitzer einer großen Bibliothek („Ich fand die Corona-Krise positiv, ich hab da meine Bücher sortiert“) seit Jahrzehnten als „Hobby-Marxist“ am Kapitalismus ab.

„Der Kapitalismus ist erstaunlich wandlungsfähig.“ Und: „Ich bin Anhänger eines lahmen, staatlich gut regulierten, behäbigen Bildungsbürgerkapitalismus und nicht so eines hysterisch neureichen Turbokapitalismus.“ Dass er, der früher einmal der linksautonomen Szene angehörte, inzwischen selbst Großverdiener ist, sieht er entspannt. „Geld bedeutet mir nichts. Ich lege das auch nicht an, ich bin bei der Bank für Gemeinwirtschaft, die unterstützen mikroökonomische Projekte.“ Er setzt auf eine Art grünen Kapitalismus.

Punk und Schostakowitsch

Den „system change“ traut Daniel Richter eher der Pop-Subkultur zu. Vor Kurzem erst gestaltete er wieder ein Cover für „Buback“. Seit 2005 ist er Eigentümer des Hamburger Independent Plattenlabels für Punk, Jazz und Hip-Hop. In seinem Atelier in Berlin läuft sowieso die ganze Zeit Musik. „Punk hör ich nicht mehr so viel, obwohl mir die Attitüde natürlich liegt … Aber es gibt so ein paar Standbeine, Roots Reggae, elektronische Musik, Minimal und Klassik des 20. Jahrhunderts.“

Vor allem Schostakowitsch und Hanns Eisler: „Schostakowitsch, das ist ja so ein Parcoursritt durch das Jahrhundert, wie so eine Lokomotive, die durch öde Wüsten und Industriebrachen rast, da ist so eine Erregtheit! Auch dieses Leben: zwischen politischem Aktivismus, formaler Radikalität, romantischer Traurigkeit und Melancholie, der Versuch permanenter Verortung.“

CoV und der Kunstmarkt

Der Parcoursritt liegt ihm, keine Frage. Nach einer Stunde hat sich Daniel Richter richtig warm geredet, jeden Ball aufgenommen, keine Pointe ausgelassen. Die Krise sieht er nüchtern. „Die Pandemie ist wie Donald Trump, das ist ein Krieg gegen die Armen, die Entrechteten, die Frauen und Migranten. Die Bösen werden böser, die Reichen werden reicher.“

Für Künstler wie Daniel Richter ist das, zumindest finanziell, kein Nachteil. Einbrüche wie die Bankenkrise 2008 haben auf den Kunstmarkt eine „bereinigende“ Wirkung, wie Arne Ehmann von der Galerie Ropac sagt. Große Namen bleiben, andere verschwinden. Wenig erstaunlich also, dass von den 15 Werken der Ausstellung die meisten schon im Vorfeld verkauft wurden.