Menschen auf einer Einkaufsstraße in Köln
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Mehrtwertsteuer

‚Wumms‘ soll deutsche Wirtschaft ankurbeln

Die deutsche Regierung hat am Mittwochabend ein riesiges Konjunkturpaket im Umfang von 130 Milliarden Euro beschlossen. Zentraler Punkt ist eine vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer. Deutschlands Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, man wolle so „mit Wumms“ aus der Krise kommen. Expertinnen und Experten begrüßten die Maßnahmen – unklar ist, in welchem Ausmaß der „Wumms“ die größte Rezession der deutschen Nachkriegszeit abfedert.

Schon am 1. Juli soll der Mehrwertsteuersatz in Deutschland von 19 auf 16 Prozent gesenkt werden – vorerst bis Jahresende, wie aus dem Beschlusspapier der Regierung in Berlin hervorgeht. Das kostet laut „Spiegel“ rund 20 Milliarden Euro – und sei damit die teuerste Einzelmaßnahme in diesem Konjunkturpaket. So wollen SPD und Union die Kaufkraft ankurbeln. CSU-Chef Markus Söder nannte die Senkung das „Herzstück“ des Pakets – und stellte am Donnerstag bereits eine mögliche Verlängerung der Regel in Aussicht, falls sich die Wirtschaft nicht erhole. Einer Verlängerung erteilten SPD und CDU inzwischen aber eine Abfuhr.

„Deutschland muss möglichst schnell und gestärkt aus der Krise hervorgehen“, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Die Regierung rechnet wegen der Coronavirus-Pandemie heuer mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 6,3 Prozent. Es könne auch noch etwas mehr werden, hatte Altmaier zuletzt gesagt.

Fraglich ist freilich, ob die niedrigere Mehrwertsteuer auch bei den Kundinnen und Kunden in Form von Vergünstigungen ankommt – aus der Politik erhofft man sich das jedenfalls. „Wir machen sehr deutlich, dass wir erwarten, dass es eins zu eins weitergegeben wird“, sagte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer im ZDF. Das liege „im Interesse von jedem“.

Senkung der Mehrwertsteuer als „Überraschung“

Fachleute aus der Wirtschaft zeigten sich großteils zufrieden mit dem Konjunkturpaket, die Mehrwertsteuer wurde zumindest als kurzfristige Maßnahme hervorgehoben. IFO-Präsident Clemens Fuest sagte im Deutschlandfunk: „Die Umsatzsteuersenkung hat mich überrascht, weil es nicht so im Fokus stand. Es ist eine Maßnahme, mit der man kurzfristig den Umsatz ankurbeln kann. Das Ganze wirkt in dem Zeitraum danach natürlich nicht mehr.“

Ein Mann im Supermarkt
APA/AFP/Ina Fassbender
Die Senkung der Mehrwertsteuer soll sich auf alle Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland auswirken

„Es ist beabsichtigt, dass man erstmal den Konsum anregt in dieser kritischen Phase. Nur man verlässt sich eben darauf, dass im nächsten Jahr das Gröbste vorbei ist.“ Das Konjunkturpaket werde die Rezession sicherlich dämpfen, so Fuest.

Jörg Krämer, Volkswirt bei der deutschen Commerzbank, sieht eine Entlastung der gesamten Bevölkerung: „Das Konjunkturpaket mit einem Volumen von 130 Mrd. Euro ist besser als gedacht. So führt die überraschend beschlossene befristete Senkung der Mehrwertsteuer zum Vorziehen von Konsum und hilft allen und nicht nur einzelnen Branchen.“

Wirtschaftsweiser sieht „Strohfeuereffekt“

Der Wirtschaftsweise Volker Wieland kritisierte die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer. „Das ist eine klassische Konjunkturmaßnahme, die jedoch erfahrungsgemäß hauptsächlich einen Verschiebungseffekt auslöst“, sagte das Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung der Nachrichtenagentur Reuters. „Anlass für dauerhaft mehr Investitionen und Beschäftigung gibt sie nicht. Der Strohfeuereffekt ist relativ hoch.“

Außerdem bringe sie wenig für die Branchen, die weiterhin durch coronavirusbedingte Einschränkungen betroffen seien und nur eine beschränkte Anzahl von Kundinnen und Kunden bedienen können. „Sie wird wohl auch als Trostpreis für die Fahrzeughersteller verkauft“, sagte Wieland.

Situation in Autoindustrie als Gratwanderung

Ursprünglich forderte die mächtige Autobranche in Deutschland nämlich eine Verschrottungsprämie, um den Verkauf von Neuwagen anzukurbeln. Letztlich war diese aber nicht Teil des Konjunkturpakets. Dennoch reagierten Hersteller und Lieferanten positiv.

Neue Autos in Duisburg
AP/Martin Meissner
Für die Autobranche gab es einen Kompromiss

Stand eine Autoprämie wegen der negativen Klimabilanz in der Kritik, ist die jetzige Mehrwertsteuersenkung auch eine Möglichkeit für die Branche, Anreize für den Neukauf von Autos zu schaffen – unabhängig von der Motorisierung. Eine Autoprämie für Verbrennungsmotoren hatte die SPD strikt abgelehnt. Als zusätzlichen klimafreundlichen Anreiz einigte man sich auf eine Prämie für den Erwerb von Elektroautos. Aber auch die Käufer von Autos mit Verbrennungsmotor profitierten von den Beschlüssen, weil für sie die gesenkte Mehrwertsteuer gelte, so CSU-Chef Söder.

Paket erhöht Verschuldung deutlich

Das deutsche Konjunkturpaket wird allerdings auch die Verschuldung deutlich erhöhen. Im Zuge der Rettungspakete im März hatte Vizekanzler und Finanzminister Scholz schon mit einer Schuldenquote von mindestens 75 Prozent gerechnet. „Das wird jetzt ein bisschen mehr“, sagte er im ZDF. Solche Größenordnungen seien aber grundsätzlich zu bewältigen. Aktuell liegt die Schuldenquote bei knapp 60 Prozent der Wirtschaftsleistung und damit im Rahmen der EU-Vorgaben. Scholz wird einen zweiten Nachtragshaushalt für heuer aufstellen müssen. Die genaue Größe steht aber noch nicht fest.

Opposition zerpflückt Konjunkturpaket

Während aus den eigenen Reihen Lob für das Paket kam, kritisiert die Opposition die Maßnahmen. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sagte, das Konjunkturprogramm enthalte zwar „einige gute, wichtige Aspekte“, darunter die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer. Insgesamt aber habe sich die deutsche Koalition „mit diesem wilden Sammelsurium an unausgegorenen, sehr teuren, aber ineffizienten Vorschlägen mächtig verstolpert“. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte: Es seien zwar „sinnvolle Entscheidungen für Kommunen und Familien“ getroffen worden. Jedoch sei in dem Paket auch „viel Stückwerk und Strohfeuer“. Das Programm sei „wenig zielgenau, wenig nachhaltig und unfassbar teuer“.

In Österreich lobte die SPÖ das Vorgehen der Großen Koalition in Deutschland – und ortete ein „Versagen der ÖVP-Grünen-Regierung“. „Die deutsche Regierung hat erkannt, dass es jetzt rasch hohe Investitionen in die Wirtschaft braucht, um Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen“, so SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner am Donnerstag in einer Aussendung.

„Deutschland handelt mit dem Investitionspaket schnell und entschlossen. Österreichs Regierung ist wie schon bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und den Coronahilfen auch bei der Bekämpfung der Krisenfolgen säumig.“ Der Faktor Zeit spiele die entscheidende Rolle, um einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Insolvenzen von Unternehmen zu verhindern. „Österreich braucht jetzt echte Hilfe statt leerer Versprechen.“