Menschen mit Schutzmasken auf der Mariahilferstraße
ORF.at/Carina Kainz
Mehrwertsteuer

Skepsis gegenüber Senkung in Österreich

Mit 130 Milliarden Euro hat Deutschland ein riesiges Konjunktparket geschnürt. Das sollte als „Signal“ für Österreich gesehen werden, dass man auch hierzulande über derartige Pakete und konkrete Maßnahmen redet, so die Wirtschaftsexpertin Margit Schratzenstaller. Auch die Senkung der Mehrwertsteuer ist durch die Maßnahmen im Nachbarland Thema – und wird skeptisch gesehen.

Im Gespräch mit ORF.at sagte die Expertin des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), dass sie den Eindruck habe, dass das Nachbarland „strukturell vernünftige Maßnahmen“, die Themen wie etwa Klima, Kinderbetreuung und Öffentlichen Verkehr betreffen, gesetzt hat. Diese wurden mit konjunkturellen Maßnahmen verbunden, die kurzfristig greifen. Das entspreche den Forderungen von Ökonominnen und Ökonomen, die sich hier auch an der letzten Finanzkrise orientierten, so Schratzenstaller. So würden „Strohfeuer“ alleine nichts nützen.

In Deutschland steht nach der Ankündigung des Konjunkturpakets am Mittwoch vor allem die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer im Mittelpunkt. „Für sich genommen“ sei die „relativ drastische Senkung“ von 19 Prozent auf 16 Prozent eine „plakative, sichtbare Maßnahme“, die das Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten stärken könnte, so die Expertin. Außerdem sei die Maßnahme verhältnismäßig „schnell umzusetzen“.

Wenige Beispiele in der jüngeren Geschichte

Die wesentliche Frage sei, ob und in welchem Ausmaß die Reduktion der Steuer als Preissenkung an die Verbraucher weitergegeben werde. Schratzenstaller verweist darauf, dass es hier oft eine „asymmetrische Veränderung“ gebe: Wenn der Mehrwertsteuersatz erhöht wird, wird diese Änderung eher an die Kunden weitergegeben, als wenn dieser gesenkt wird.

Die kurzzeitige Senkung – sie ist in Deutschland nur von 1. Juli bis Jahresende angedacht – könnte dabei eine Rolle spielen. Vorbilder gibt es kaum, Schratzenstaller verweist aber auf eine Studie aus Großbritannien. Dort wurde im Rahmen der letzten Finanzkrise die Steuer für ein Jahr – von Ende 2008 bis Ende 2009 – von 17,5 auf 15 Prozent gesenkt. Damals äußerte sich das in einer Reduktion der Preise, so Schratzenstaller – und man konnte „Vorzieheffekte“ feststellen. Das heißt, dass Käufe, die womöglich erst später getätigt worden wären, vorgezogen wurden.

„Schon jetzt über ein Paket diskutieren“

Das jetzt in Deutschland beschlossene Konjunkturpaket sollte laut der WIFO-Expertin jedenfalls als „Signal“ gesehen werden. Die Regierung habe bereits angekündigt, dass sie ein Konjunkturpaket schnüren werde, und auch schon strukturell sinnvolle Maßnahmen beschlossen: Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr und ein Schulinvestitionspaket, so Schratzenstaller. Nachdem sich herauskristallisiert habe, dass das „Hochfahren der Wirtschaft mit Friktionen“ verbunden sei, so Schratzenstaller, und alle Maßnahmen Vorlaufzeit brauchen, sollte man „schon jetzt über ein Paket diskutieren“.

Ein Mann im Supermarkt
APA/AFP/Ina Fassbender
Die Senkung der Mehrwertsteuer in Deutschland soll sich auf alle Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland auswirken

Ministerien verweisen auf bisherige Pläne

Auf Nachfrage von ORF.at, ob das deutsche Konjunkturpaket Modell für Österreich sein könnte, verwies man im Finanzministerium auf bereits vorgestellte Maßnahmen wie das „Wirtepaket“, das „Öffi-Paket“ und das „Gemeindepaket“. Weitere Maßnahmen werden aktuell verhandelt, heißt es. Genauen Termin für weitere Ankündigungen gebe es noch nicht. Angesprochen auf die Senkung der Mehrwertsteuer in Deutschland hieß es im Finanz- und auch im Wirtschaftsministerium, dass man einzelne Maßnahmen nicht bewerten wolle.

SPÖ lobt Große Koalition in Deutschland

Die SPÖ lobte das Vorgehen der Großen Koalition in Deutschland am Donnerstag – und ortete ein „Versagen der ÖVP-Grünen-Regierung“. „Die deutsche Regierung hat erkannt, dass es jetzt rasch hohe Investitionen in die Wirtschaft braucht, um Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen“, so SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner am Donnerstag in einer Aussendung.

„Deutschland handelt mit dem Investitionspaket schnell und entschlossen. Österreichs Regierung ist wie schon bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und den Corona-Hilfen auch bei der Bekämpfung der Krisenfolgen säumig.“ Der Faktor Zeit spiele die entscheidende Rolle, um einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Insolvenzen von Unternehmen zu verhindern. „Österreich braucht jetzt echte Hilfe statt leerer Versprechen.“

Erste Reduktion seit fünfzig Jahren

Die deutsche Regierung kündigte am Mittwoch an, dass schon am 1. Juli der Mehrwertsteuersatz von 19 auf 16 Prozent gesenkt werden soll. Es ist das erste Mal seit Einführung der Steuer in Deutschland vor gut 50 Jahren, dass sie gesenkt wird. Gelten soll die von SPD und Union beschlossene Reduktion im Rahmen des 130-Milliarden-Euro-Konjunkturpakets bis Ende Dezember. Eine Verlängerung schloss die Große Koalition aus.

„Deutschland muss möglichst schnell und gestärkt aus der Krise hervorgehen“, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Die Regierung rechnet wegen der Coronavirus-Pandemie heuer mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 6,3 Prozent. Es könne auch noch etwas mehr werden, hatte Altmaier zuletzt gesagt.

Fraglich ist freilich, ob die niedrigere Mehrwertsteuer auch bei den Kundinnen und Kunden in Form von Vergünstigungen ankommt – aus der Politik erhofft man sich das jedenfalls. „Wir machen sehr deutlich, dass wir erwarten, dass es eins zu eins weitergegeben wird“, sagte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer im ZDF. Das liege „im Interesse von jedem“.

Situation in Autoindustrie als Gratwanderung

Vor allem die Autohersteller dürften diese Reduktion aber an die Kundinnen und Kunden weitergeben. Ursprünglich forderte die mächtige Autobranche in Deutschland nämlich eine Verschrottungsprämie, um den Verkauf von Neuwagen anzukurbeln. Letztlich war diese aber nicht Teil des Konjunkturpakets. Dennoch reagierten Hersteller und Lieferanten positiv.

Neue Autos in Duisburg
AP/Martin Meissner
Für die Autobranche gab es einen Kompromiss

Stand eine Autoprämie wegen der negativen Klimabilanz in der Kritik, ist die jetzige Mehrwertsteuersenkung auch eine Möglichkeit für die Branche, Anreize für den Neukauf von Autos zu schaffen – unabhängig von der Motorisierung. Eine Autoprämie für Verbrennungsmotoren hatte die SPD strikt abgelehnt. Als zusätzlichen klimafreundlichen Anreiz einigte man sich auf eine Prämie für den Erwerb von Elektroautos. Aber auch die Käufer von Autos mit Verbrennungsmotor profitierten von den Beschlüssen, weil für sie die gesenkte Mehrwertsteuer gelte, so CSU-Chef Söder.

Paket erhöht Verschuldung deutlich

Das deutsche Konjunkturpaket wird allerdings auch die Verschuldung deutlich erhöhen. Im Zuge der Rettungspakete im März hatte Vizekanzler und Finanzminister Scholz schon mit einer Schuldenquote von mindestens 75 Prozent gerechnet. „Das wird jetzt ein bisschen mehr“, sagte er im ZDF. Solche Größenordnungen seien aber grundsätzlich zu bewältigen. Aktuell liegt die Schuldenquote bei knapp 60 Prozent der Wirtschaftsleistung und damit im Rahmen der EU-Vorgaben. Scholz wird einen zweiten Nachtragshaushalt für heuer aufstellen müssen. Die genaue Größe steht aber noch nicht fest.

Während aus den eigenen Reihen Lob für das Paket kam, kritisiert die Opposition die Maßnahmen. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sagte, das Konjunkturprogramm enthalte zwar „einige gute, wichtige Aspekte“, darunter die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer. Insgesamt aber habe sich die deutsche Koalition „mit diesem wilden Sammelsurium an unausgegorenen, sehr teuren, aber ineffizienten Vorschlägen mächtig verstolpert“. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte: Es seien zwar „sinnvolle Entscheidungen für Kommunen und Familien“ getroffen worden. Jedoch sei in dem Paket auch „viel Stückwerk und Strohfeuer“. Das Programm sei „wenig zielgenau, wenig nachhaltig und unfassbar teuer“.