Spritzen und Ampullen auf einem Tablett
APA/AFP/Mladen Antonov
CoV-Impfstoff

Forschungsstand nur schwer zu beurteilen

Weltweit suchen und forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus. Erste Erfolge zeichnen sich ab, jedoch werde es bis zur Zulassung noch dauern, so Virologin Christina Nicolodi. Indes buhlen reiche und mächtige Staaten um die Gunst der Pharmaunternehmen, sich den Zugang zu den noch in Entwicklung befindlichen Impfstoffen zu sichern.

Wie weit die Labors tatsächlich sind, könne allerdings nur schwer seriös beurteilt werden, so Nicolodi zu ORF.at. Der Grund: „Klinische Studien werden immer vertraulich behandelt und Details meist nicht veröffentlicht.“ Selbst die Tests würden „verblindet durchgeführt“, das bedeute, erklärt die Expertin, dass weder Probandinnen und Probanden noch Ärztinnen und Ärzte wissen, ob es sich bei einer Impfdosis um einen echten Wirkstoff oder um ein Placebo handle. So soll eine psychologisch bedingte Verfälschung der Studienergebnisse verhindert werden.

„Die Forschung befindet sich überall noch in den klinischen Anfangsphasen“, so die Virologin, die für die Entwicklung und Zulassung von biotechnologischen Arzneimitteln tätig ist und pharmazeutische Hersteller bei der Entwicklung von Medikamenten berät. Zur Bekämpfung des Coronavirus werden Impfstoffe derzeit in fünf Richtungen erforscht: virale Vektoren, DNA, RNA, Lebendimpfstoffe und Impfstoffe auf Proteinbasis.

Derzeit noch Sicherheitsbedenken

Forscherinnen und Forscher könnten bei der Bekämpfung des Coronavirus außerdem auf nur wenig Vorerfahrung aufbauen. Zwar wurde im Rahmen der SARS-Pandemie 2002–2003 bereits für einen Impfstoff gegen SARS-CoV-1 geforscht, jedoch ebbte diese Pandemie auch ohne Impfstoff rascher ab, als das aktuell der Fall ist. „Deshalb wurde die Forschung damals schnell wieder eingestellt“, so Nicolodi. Heikel sei die Zulassung eines Impfstoffes gegen Covid-19 zurzeit auch deshalb, „da man noch nicht weiß, ob es Sicherheitsbedenken gibt“.

Virologin Christina Nicolodi
privat
Virologin Nicolodi rechnet mit einem Impfstoff frühestens im Sommer 2021

So könne man derzeit etwa nicht ausschließen, dass es bei einer Impfung eines bzw. einer Infizierten zu einer „überschießenden Immunreaktion“ kommen könnte. Das würde bedeuten, dass die Covid-19-Symptome – Husten, Fieber und so weiter – nach einer Impfung noch extremer auftreten könnten als davor. Ähnliche Erkenntnisse gewannen Forscherinnen und Forscher beispielsweise bei Impfstoffversuchen zum Dengue-Fieber. Diese Gefahr gelte es auszuschließen, so Nicolodi.

Schnelle Zulassung angestrebt

Normalerweise dauert die Entwicklung von Medikamenten von ihrer Entdeckung bis zur Marktreife fünf bis zehn Jahre. Die Kosten dafür sind meist enorm: Erforschung und Entwicklung kosten im Durchschnitt fast 900 Millionen Euro – mehr dazu in science.ORF.at. Dass es beim Covid-19-Impfstoff schneller gehen könnte, davon geht Nicolodi aus.

Die International Coalition of Medicines Regulatory Authorities (ICMRA), der diverse Gesundheitsbehörden, etwa die European Medicines Agency (EMA), die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) und auch die heimische AGES angehören, haben sich hierzu geeinigt, dass der Hersteller auch mit einem „abgespeckten Programm“ einen Antrag auf Zulassung stellen kann, um zeitlichen Verzögerungen vorzubeugen, so die Virologin. Die Behörden verpflichteten sich aber zu einem besonders genauen Monitoringprogramm der Probandinnen und Probanden im Nachhinein.

EU stellt 2,4 Mrd. Euro für Kauf von Impfstoffen

An sich unterscheidet aber ein Unternehmen selbst, wo es einen Impfstoff zulässt. „Der Impfstoff wird erst dann vertrieben, wenn ein Unternehmen eine Zulassung hat“, erklärt Nicolodi das Prozedere. „Und da werden dann mit Behörden Deals ausgemacht“, wobei es vor allem darum gehe, „wer am besten zahlt“. Und dabei wollen einflussreiche Staaten und Staatenverbünde keine Kosten scheuen, scheint es. Die Europäische Union bereitet sich auf den Einsatz eines 2,4 Milliarden Euro schweren Notfallfonds zum Kauf von vielversprechenden Impfstoffen gegen das Coronavirus vor.

Zuvor hätten Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande angekündigt, die Verhandlungen mit Pharmaunternehmen zu beschleunigen, um sich den Zugang zu derzeit in der Entwicklung befindlichen Impfstoffen individuell zu sichern. Der EU-Fonds soll auch verwendet werden, um die Impfstoffproduktionskapazitäten in Europa zu erweitern und den Pharmaunternehmen eine Haftpflichtversicherung anzubieten.

Der Vorstoß der EU folgte den Bemühungen der USA, sich in der Entwicklung befindliche Coronavirus-Impfstoffe zu sichern. So erhält alleine der britische Arzneimittelhersteller AstraZeneca von der US-Regierung eine Unterstützung von 1,2 Milliarden Dollar (rund eine Milliarde Euro) für die Entwicklung seines Impfstoffs, womit sich die USA fast ein Drittel der Dosen dieses Impfstoffkandidaten sicherten. Außerdem hatte US-Präsident Donald Trump angekündigt, die Zusammenarbeit der USA mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu beenden, was den Wettlauf zusätzlich anheizt.

UNO versucht zu vermitteln

Diesen US-Schachzügen will die EU trotzen. Ein EU-Diplomat meinte kürzlich, es sei notwendig, das Spiel mitzuspielen, auch wenn das bedeute, dass man Geld verliere, da viele der gegenwärtig in Entwicklung befindlichen Impfstoffe wahrscheinlich nicht erfolgreich sein werden. Man sei bereit, höhere finanzielle Risiken einzugehen, da man befürchte, ansonsten keinen schnellen Zugang zu einem wirksamen Impfstoff gegen das Virus zu haben.

Regierungen vieler ärmerer Staaten, vor allem in Afrika, befürchten unterdessen, keinen ausreichenden Zugang zu Behandlungsmethoden zu bekommen – und fordern daher von großen Pharmaunternehmen, ihr geistiges Eigentum zu teilen, damit ein möglicher Impfstoff auch in großer Menge und günstig hergestellt werden kann.

Zwischen den Playern zu vermitteln versucht UNO-Generalsekretär Antonio Guterres. Bei der Geberkonferenz für das internationale Impfbündnis GAVI drängte er zuletzt auf die faire Verteilung eines Coronavirus-Impfstoffs. Wenn eine Vakzine gegen den Erreger vorliege, solle dieser wie „ein weltweit öffentliches Gut“ betrachtet werden, das allen Menschen zugänglich sein müsse, sagte Guterres. Doch ob seine Bitte ob der Regeln des freien Marktes erhört werden dürfte, ist fraglich, obwohl sich mehrere Staats- und Regierungschefs eigentlich dazu bekannt hatten.

Impfstoff „frühestens Sommer, eher Herbst 2021“

Die Pharmaindustrie machte jüngst Hoffnung auf ein baldiges Ende der Pandemie. Ein Impfstoff oder sogar mehrere gegen das neuartige Virus könnten bis Ende des Jahres einsatzbereit sein, heißt es aus der Branche. Doch selbst wenn das tatsächlich gelingt, sind noch einige große logistische Herausforderungen zu meistern, um weltweit massenhaft gegen das Coronavirus impfen zu können. Den Zeitpunkt der Massentauglichkeit schätzt Nicolodi jedoch später ein: „Frühestens Sommer, eher Herbst 2021“ – sofern in den ersten beiden Phasen der Grundlagenforschung und der präklinischen Entwicklung alles klappe, so die Virologin.

Welcher Impfstoff und welche Unternehmen sich durchsetzen werden, ist der Expertin zufolge noch ungewiss, ebenso ob es beispielsweise eine Einmal- oder eine Auffrischungsimpfung werde. „Die Wirkungsweise ist bei allen fünf Impfstoffgruppen ähnlich“, erläuterte Nicolodi gegenüber ORF.at. Sie gehe allerdings davon aus, dass sich die Lebendimpfung „definitiv nicht“ durchsetzen werde. Mit höheren Erfolgschancen rechnet die Expertin aber bei proteinbasierenden Impfstoffen: „Es würde mich wundern, wenn da nicht etwas dabei ist.“

Im Falle einer Marktreife schloss die österreichische Regierung jedoch bereits eine Impfpflicht aus. „Es gibt keine Impfpflicht, und wir werden keine einführen“, so Bundeskanzler Sebastian Kurz zuletzt. Doch rechnet Virologin Nicolodi mit einer Kostenübernahme der Krankenkassen, damit sich ein Gros der Österreicherinnen und Österreicher dennoch freiwillig impfen lassen werde.