Demonstration gegen Polizeigewalt in Wien
Reuters/Leonhard Foeger
Anti-Rassismus-Demos

Frage nach Wirkung des „Zeichens“

„Black Lives Matter“, „A change is coming“, „I can’t breathe“ – Schilder wie diese sind spätestens seit vergangener Woche bei Demonstrationen auf der ganzen Welt zu sehen. Die Welle der Proteste nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch die US-Polizei schwappte schließlich auch nach Österreich über – stärker als erwartet. Fraglich ist, ob dieses vielbeschworene „Zeichen“ auch Folgen zeitigt.

50.000 Personen waren es, die sich vergangenen Donnerstagabend in Wien vom Platz der Menschenrechte in Richtung Karlsplatz drängten – mehr dazu in wien.ORF.at. Trotz Protesten die, angesichts der teilweisen Missachtung des Mindestabstands, danach ausbrachen, kamen tags darauf über 8.000 Menschen zu einer neuerlichen Demonstration. Am Wochenende versammelten sich dann auch Tausende Menschen in fast allen Landeshauptstädten.

Dass die derzeitigen Demonstrationen, die unter dem Motto #blacklivematters firmieren und sich gegen Rassismus und Polizeigewalt richten, „ein großartiges Zeichen“ sind, wie es etwa Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) formulierte, wird oft betont – trotz etwaiger Sicherheitsbedenken. Offen ist, ob die Proteste tatsächlich auf eine zunehmende, vor allem nachhaltige, Sensibilisierung schließen lassen.

„Ein Anfang ist gemacht“

Bei dem Verein ZARA (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) gibt man sich auf Anfrage von ORF.at verhalten optimistisch. „Vielen Menschen, die nicht direkt betroffen sind, wird gerade bewusst, dass Rassismus auch in Österreich ein großes Problem darstellt. Damit ist schon ein Anfang gemacht: Wir können jetzt viel lernen, wenn wir zuhören, was Betroffene erzählen, und wenn wir uns weiter mit dem Thema beschäftigen. Dazu gehört auch, sich mit dem eigenen Rassismus und mit dem Rassismus auseinanderzusetzen, der so tief in unserem System, in unserer Sprache verankert ist. Das kann unangenehm sein, hat aber eine große Wirkung."

Wie tief die Diskriminierung in Österreich verwurzelt sei, betonte unlängst auch der international anerkannte Menschenrechtsexperte Manfred Nowak: „Auch wenn es nicht vergleichbar mit den USA ist, natürlich ist auch in der österreichischen Polizei ein rassistisches Gedankengut vorhanden“, sagte Nowak gegenüber der APA. „Racial Profiling“, also das Überprüfen und Kontrollieren von Menschen auf Grundlage von Stereotypen und äußerlichen Merkmalen, sei eine „ganz, ganz weit verbreite Taktik der Polizei“.

„Trend zu mehr Rassismus und mehr Diskriminierung“

Das zeige auch ein Blick auf die heimische Statistik: "Bei der Zahl derer, die durch Polizeigewalt ums Leben gekommen sind, wird man eine unverhältnismäßig große Anzahl an Afrikanern finden.“ Zwar habe es in den vergangenen Jahren dank vieler Anti-Rassismus- und Menschenrechtsschulungen eine „sukzessive Professionalisierung“ der Polizei gegeben, diese müsse aber noch stärker forciert werden, sagte Nowak. Generell gebe es in der Gesellschaft einen „Trend zu mehr Rassismus und mehr Diskriminierung“ – und davon sei auch die Polizei nicht ausgenommen.

Auch bei ZARA berichtet man von gemeldeten Vorfällen rassistisch motivierter Polizeigewalt, die von Beleidigungen, fragwürdigen Anzeigen wegen „aggressiven Verhaltens“ bis hin zu schwerwiegenden Misshandlungen reichen würden. Allerdings gibt man zu bedenken: „Ganz wichtig in dieser Debatte ist: Schwarze Menschen sind kontinuierlich unterschiedlichsten Formen von institutionellem und strukturellem Rassismus ausgesetzt – rassistisch motivierte Amtshandlungen sind nur eine davon.“

„Das Coronavirus ist bedrohlich, aber ich bin zuversichtlich, dass wir es bald überwunden haben. Beim Rassismus bin ich weniger optimistisch“, sagte die Leiterin der ZARA-Beratungsstellen, Dilber Dikme, bei der Präsentation des „Rassismus Report 2019“ Anfang Mai. Gemeldet wurden mehr Vorfälle als je zuvor – laut Dikme könnte dies, bei optimistischer Sichtweise, aber auch auf ein gesteigertes Maß an Zivilcourage hindeuten.

Beleidigungen in allen Lebensbereichen

1.950 Meldungen gingen im Vorjahr bei ZARA ein, erfasst wurden die unterschiedlichsten Lebensbereiche. Ein Fall etwa betraf einen Zeitungsartikel, in dem das Thema Gewalt an Schulen in Verbindung mit einem Bild von einem schwarzen Jugendlichen illustriert wurde. „Durch die Bildauswahl wird das Thema Gewalt mit dem Thema Hautfarbe verknüpft und die Realität verzerrt. Schwarze Schüler und Schülerinnen werden dadurch rassistisch diskriminiert“, hieß es in dem Bericht.

Ein anderes Beispiel: „B. möchte mit einer Freundin eine Veranstaltung besuchen, jedoch werden sie von den Security-Mitarbeitern – ohne Begründung – nicht eingelassen. Andere Menschen werden eingelassen, und B. hört zudem, wie die Securities abwertend über ihn sprechen und sich darauf beziehen, dass er schwarz ist. Er ruft schließlich die Polizei. Die Beamten und Beamtinnen stellen fest, dass B. und seine Begleitung weder alkoholisiert sind noch sonst ein legitimer Grund vorliegt, sie nicht einzulassen. Dennoch verweigern die Securities den beiden weiterhin den Zutritt.“

„Im Zentrum“: „Ich kann nicht atmen!“ – Tödlicher Rassismus

Die letzten Worte des Afroamerikaners George Floyd sind zum Sinnbild des unterdrückten schwarzen Amerika geworden. Aus der Wut über seinen gewaltsamen Tod bei einem Polizeieinsatz ist ein Aufstand geworden. In den gesamten Vereinigten Staaten gibt es seit Tagen Proteste und Unruhen. Warum ist der Rassismus in den USA immer noch verwurzelt? Welche Rolle spielen Präsident Donald Trump und seine polarisierende Politik? Kann Trump möglicherweise davon profitieren, oder können die Proteste doch etwas bewirken? Auch in Österreich erfährt die Protestbewegung eine breite Solidarisierung. Aber auch hier sind Menschen mit dunkler Hautfarbe Anfeindungen ausgesetzt. Ist die Öffentlichkeit genügend sensibilisiert, und setzt die Politik die notwendigen Schritte?

„Es geht um mehr als Polizeigewalt“

Dass es bei der aktuellen Debatte „um viel mehr als Polizeigewalt“ geht, war auch Thema in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ am Sonntagabend. US-Politikwissenschaftlerin Araba Evelyn Johnston-Arthur sprach von einem „historischen Moment“ – auch weil der Protest eine globale Dimension erreicht habe. „Es ist sehr schwer zu sagen, ob sich diese Proteste und Rebellionen auch wirklich in eine nachhaltige Bewegung umwandeln können, aber ich glaube, dass Widerstand in den USA und auch weltweit immer die Grundlage waren für die Erlangung von Rechten.“

Vanessa Spanbauer, Chefredakteurin des Magazins „Fresh – Black Austrian Lifestyle“, forderte dazu auf, verschiedene „Lösungsansätze“ zu suchen, begonnen beim Bildungssystem, also „dass man sich die Schulbücher mal anschaut, da sind sehr viele diskriminierende Inhalte drinnen“. Weiters sollte man die Hürden für schwarze Menschen bei Job- und Wohnungssuche thematisieren: „Eigentlich sollte das schon seit Jahrzehnten passieren.“

Gewisse Hoffnungen ruhen auf dem von der türkis-grünen Bundesregierung angekündigten Aktionsplan gegen Rassismus und Diskriminierung. Dieser könne „eine Chance zu positiver Veränderung“ darstellen, hieß es von ZARA gegenüber ORF.at – vorausgesetzt, man würde auch Experten und Expertinnen aus der Zivilgesellschaft in die Erstellung miteinbeziehen.

Warten auf angekündigten Aktionsplan

Der Aktionsplan ist auch eine der wenigen Initiativen in der Integrationspolitik der Regierung, die von der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch in einem dieser Tage vorgestellten Bericht als tatsächlich „integrativ“ bewertet wurden. Judith Kohlenberger, Kulturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf Identitäts- und Repräsentationspolitik, sagte dazu, sie hoffe auf die Bereitstellung von ausreichend finanziellen Ressourcen.

Handlungsbedarf wäre dringend gegeben, so würden etwa in Bewerbungsgesprächen bei gleicher Qualifikation und identem Lebenslauf Österreicher und Österreicherinnen weißer Hautfarbe 1,5-mal so oft eingeladen wie Migranten und Migrantinnen und sogar doppelt so oft wie Österreicherinnen und Österreicher mit schwarzer Hautfarbe. Kohlenberger: „Bei Diskriminierung von Menschen mit nicht weißer Hautfarbe liegt Österreich im europäischen Spitzenfeld. Rassismus ist nicht nur in den USA ein Thema.“