Männer in Schutzanzügen auf einem Friedhof in Lima, Peru
Reuters/Sebastian Castaneda
Brasilien und Peru

Coronavirus-Lage entgleitet zunehmend

Derzeit wird Südamerika von der Coronavirus-Pandemie arg gebeutelt. Besonders betroffen sind Peru und Brasilien. Die Situation in den beiden Ländern entgleitet zunehmend. So sind etwa Spitäler in der peruanischen Hauptstadt Lima völlig überlastet. In Brasilien setzt der ultrarechte und militärnahe Präsident Jair Bolsonaro auf einen General, um die Lage in den Griff zu bekommen.

Brasilien ist inzwischen das Land mit der weltweit dritthöchsten Zahl an Coronavirus-Toten. Bei der Zahl der erfassten Infektionsfälle liegt Brasilien hinter den USA an der zweiten Stelle. Nach starker Kritik veröffentlichte die brasilianische Regierung wieder eine vollständige Statistik zu den Infektionen und den Todeszahlen im Land.

In den vergangenen 24 Stunden seien 1.272 Infizierte gestorben, die Gesamtzahl der Sterbefälle habe sich damit auf 38.406 erhöht, teilte das Gesundheitsministerium am Dienstag (Ortszeit) mit. Laut dem Gesundheitsministerium wurden mehr als 739.000 Ansteckungsfälle gezählt. Fachleute vermuten, dass die Zahl der Infektionen allerdings deutlich höher ist, da es in Brasilien relativ geringe Ressourcen für Tests gibt.

Freiwillige Helfer verteilen Mahlzeiten in einem Slum in Sao Paulo
AP/Andre Penner
Freiwillige Helfer verteilen Mahlzeiten in einem Slum in der brasilianischen Metropole Sao Paulo

Vorwürfe der Verschleierung

Richter Alexandre de Moraes hatte am Dienstag auf der Website des Gerichts erklärt, die Angaben müssten wieder wie vor dem Wochenende herausgegeben werden. Das Ministerium hatte in einer umstrittenen Entscheidung unter anderem Daten über die Pandemie entfernt und ankündigt, keine Gesamtzahlen mehr zu veröffentlichen. Die bisherige Vorgehensweise bei der Veröffentlichung der Zahlen werde geändert, um nach Aussagen der Regierung eine neue Methodik anzuwenden.

Kritiker warfen Bolsonaro daraufhin vor, er wolle das tatsächliche Ausmaß der Pandemie verschleiern. Gesundheitsminister Eduardo Pazuello sagte am Dienstag dazu im Fernsehen, man habe nicht vorgehabt, die Zahl der Opfer zu ändern. Nachdem an mehreren Tagen hintereinander Negativrekorde bei der Zahl der Toten registriert worden waren, hatte die Regierung schon in der vergangenen Woche begonnen, die Zahlen statt um 19.00 um 22.00 Uhr zu veröffentlichen. Damit kamen sie erst nach Ende der meistgeschauten Nachrichtensendung des Landes.

Nossa Senhora Aparecida Friedhof in Manaus, Brasilien
APA/AFP/Michael Dantas
Auf dem Nossa-Senhora-Aparecida-Friedhof in der brasilianischen Stadt Manaus werden laufend Gräber für Covid-19-Tote ausgehoben

General mit Erfahrung in Logistik

Bolsonaro hat in der Pandemie bereits zwei Gesundheitsminister im Streit über den Umgang mit dem Coronavirus verschlissen. Nachdem zuletzt Nelson Teich zurückgetreten war, weil er mit dem Einsatz des umstrittenen Malariamittels Cloroquin in der Covid-19-Behandlung nicht einverstanden war, übernahm Logistikspezialist Pazuello dessen Aufgaben. In dieser Zeit empfahl die Regierung den Einsatz von Cloroquin bei mit dem Coronavirus infizierten Patienten in einem aktualisierten Leitfaden für Ärzte.

Brasiliens Gesundheitsminister Eduardo Pazuello
Reuters/Adriano Machado
General Eduardo Pazuello soll als Gesundheitsminister die Linie Bolsonaros durchsetzen

General Pazuello war an der Spitze der „Operacao Acolhida“ zur Bewältigung der venezolanischen Flüchtlingskrise im Bundesstaat Roraima gestanden. Bei den Olympischen und Paralympischen Spielen in Rio koordinierte er die Logistik des Militärs. Bolsonaro sagte, er gehe davon aus, dass Pazuello „lange Zeit“ an der Spitze des Ministeriums stehen werde: „Er ist ein erstklassiger Manager.“ Seit vergangenem Monat sind nach einem Bericht der Zeitung „Estado de S. Paulo“ 20 Posten des Gesundheitsministeriums durch Militärs besetzt worden.

Schwarze viermal stärker betroffen

Das Institute for Economics and Peace (IEP) warnte am Mittwoch, dass Staaten wie eben Brasilien, Pakistan und Argentinien durch wirtschaftliche Turbulenzen einem erhöhten Risiko durch politische Instabilität, Unruhen und Gewalt ausgesetzt seien. Aus Brasilien fliehen zudem die Investoren.

Zahlen aus dem von der Pandemie am stärksten betroffenen Verwaltungsbezirk der brasilianischen Metropole Sao Paulo, Brasilandia, belegen, dass die sozial benachteiligten afrobrasilianischen Gemeinden von dem Virus überdurchschnittlich betroffen sind. Die Mortalität unter schwarzen Brasilianern und Brasilianerinnen liege viermal über dem Landesdurchschnitt, berichteten Internetportale am Mittwoch mit Verweis auf die Studie des Forschungsverbandes Nucleo de Operacoes e Inteligencia e Saude (NOIS) der Päpstlich-katholischen Universität von Rio de Janeiro (PUC-Rio).

Virus „verstärkt bestehendes Problem“

In dem im Nordosten gelegenen Distrikt bündeln sich 30 Prozent aller Covid-19-Todesfälle von ganz Sao Paulo. „Die Daten haben die tiefen Ungleichheiten innerhalb Brasiliens offenbart, wo die Armut unter schwarzen Brasilianern, die etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, bedeutend höher ist“, schreiben die Onlineportale Latin America Herald Tribune und Amerika21.de. Für die Forscher beweisen die Daten, dass die Ausbreitung in Brasilien „auch durch sozioökonomische Faktoren beeinflusst wurde“.

„Das Coronavirus hat nur ein Problem verstärkt, das bereits vor Jahrzehnten bestand. Brasilandia hatte immer Probleme im Bereich der öffentlichen Gesundheit und litt immer unter der Abwesenheit des Staates“, sagte Claudio Rodrigues Melo, ein Vertreter des Bezirks. Die Bewohner dieses Elendsviertels mit fast 300.000 Einwohnern, das auf einer alten Zuckerplantage errichtet wurde, sind ausschließlich von den überfüllten staatlichen Krankenhäusern abhängig. Viele sind in kleinen Häusern zusammengepfercht, die sie mit mehreren Personen bewohnen.

Bolsonaros Spiel mit militärischer Bedrohung

Der ehemalige Armeeangehörige Bolsonaro, der bereits mehrmals die Zeit der brasilianischen Militärdiktatur gelobt hat, setzt indes vermehrt auf das Militär. Hochrangige Militärs in Brasilien warnen vor Instabilität. Politische Insider vermuten, dass sie die größte Demokratie Lateinamerikas übernehmen und abbauen bzw. ganz abschaffen könnten, wie die „New York Times“ am Mittwoch schrieb. „Weit davon entfernt, die Idee anzuprangern“, scheine der innere Kreis von Bolsonaro die Idee gutzuheißen und das Militär auch noch zu ermuntern, so der Bericht.

Bolsonaro, seiner Familie und auch einigen seiner Unterstützer werden Machtmissbrauch, Korruption und illegale Verbreitung von Fehlinformationen vorgeworfen. Doch fast die Hälfte seines Kabinetts besteht aus Militärs, so die Zeitung weiter. „Und jetzt, so behaupten Kritiker, verlässt er sich auf die Drohung einer militärischen Intervention, um Herausforderungen an seine Präsidentschaft abzuwehren“, so die „New York Times“.

Männer in Schutzanzügen in Lima, Peru
AP/Rodrigo Abd
Männer in Schutzanzügen in der peruanischen Hauptstadt Lima

Peru: Gesundheitssystem „kollabiert“

Auch in Peru steigt die Zahl der Opfer. Die Zahl der Infektionen im Land ist nach Brasilien die zweithöchste in Lateinamerika und weltweit die achthöchste. Laut den Daten der Johns-Hopkins-Universität von Mittwochnachmittag liegt die Zahl der Infizierten bei rund 200.000, fast 5.600 Menschen starben. Die Krankenhäuser in der Hauptstadt Lima sind völlig überlastet. In dem Land gelten seit zwölf Wochen rigorose Ausgangsbeschränkungen. Auch hier erschwert ein hohes Maß an Armut und informeller Arbeit die Selbstisolationsbemühungen in Teilen der Bevölkerung.

Das Gesundheitssystem sei kollabiert, der Alltag ein „Drama“, wie der in Lima tätige Priester und Autor P. Juan Goicochea Calderon jüngst im Telefoninterview mit Kathpress schilderte. In Lima sei das Spitalswesen bereits zusammengebrochen. Betten auf Intensivstationen gelten als „unerreichbares Luxusgut“, viele Patienten seien in den Warteschlangen vor den Spitälern schon gestorben, so Goicochea Calderon.

Öffentliche Spitäler gelten bei den Menschen als Hochrisikozone, die viele meiden. „Wird man aufgenommen, so endet alle Kommunikation nach außen. Oft erhalten Angehörige dann Tage später nur noch eine telefonische Todesnachricht oder die Asche überreicht“, schilderte der Priester gegenüber Kathpress.