Olof Palme auf einem Archivbild aus 1970
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Täter genannt

Finale im Fall Palme enttäuscht Schweden

Nach 34 Jahren hat die schwedische Staatsanwaltschaft am Mittwoch den wahrscheinlichen Mörder Olof Palmes präsentiert – und gleichzeitig den Fall zu den Akten gelegt. Nach jahrelangen Ermittlungspannen, Wendungen, Spekulationen und Verschwörungstheorien ist die Festlegung auf den 2000 verstorbenen Stig Engström als mutmaßlichen Täter für viele ein enttäuschendes Ende des so rätselhaften Kriminalfalls.

Starstaatsanwalt Krister Petersson hatte die Ermittlungen 2017 übernommen. In einer Pressekonferenz am Mittwoch gab er bekannt, dass die Ermittlungen ab sofort eingestellt würden. "Ich bin der Ansicht, dass wir so weit gekommen sind, wie man es von der Untersuchung verlangen kann. Wir kommen nicht um eine Person als mutmaßlichen Täter herum, und diese Person ist Stig Engström, der ‚Skandia-Mann‘. Weil Stig Engström verstorben ist, kann ich keine Anklage gegen ihn erheben oder ihn verhören, sondern habe beschlossen, die Voruntersuchungen einzustellen“, so Petersson.

Als mutmaßlicher Täter wurde somit jener Verdächtige identifiziert, der schon seit Jahrzehnten immer wieder im Gespräch war, der sich selbst immer wieder ins Rampenlicht spielte – und den die Polizei mehrfach verhört hatte, aber als unglaubwürdig nicht einmal als Zeugen ernst nahm.

Archivaufnahme von Stig Engstrom
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Der jetzt als Täter präsentierte Stig Engström drängte selbst ins Rampenlicht, wurde von der Polizei aber nie ernst genommen

Palmes Söhne hätten auf schlüssige Beweise gehofft

Palmes Söhne Joakim, Marten und Mattias zeigten sich in einer ersten Stellungnahme gegenüber dem schwedischen Radiosender Sverige Radio (SR) froh, dass der Fall nun geschlossen werde. „Ich glaube auch, dass Engström der Schuldige ist. Leider gibt es keine wirklich schlüssigen Beweise, die mit hundertprozentiger Sicherheit sagen können, dass er es ist“, so die Brüder. „Vor diesem Hintergrund halten wir es für eine vernünftige Entscheidung, die Voruntersuchung zu beenden. Wir sind natürlich enttäuscht, dass keine schlüssigen technischen Beweise vorgelegt werden können.“

Mordfall Palme: Ermittlungen nach 34 Jahren eingestellt

Nach 34 Jahren hat die schwedische Staatsanwaltschaft am Mittwoch den wahrscheinlichen Mörder Olof Palmes präsentiert – und gleichzeitig den Fall zu den Akten gelegt

Auch Palmes 2018 verstorbene Ehefrau Lisbeth wäre wohl kaum zufrieden mit dem Ergebnis, sagte Marten Palme gegenüber der Tageszeitung „Expressen“. Seine Mutter, die den Mord an ihrem Mann als Augenzeugin miterleben musste, sei zeitlebens von der Schuld eines anderen Verdächtigen überzeugt gewesen. Der von ihr drei Jahre nach der Tat bei einer umstrittenen Gegenüberstellung identifizierte drogenabhängige Kleinkriminelle wurde im Juli 1989 verurteilt, in der nächsten Instanz allerdings aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Mord auf offener Straße

Olof Palme wurde am Abend des 28. Februar 1986 mit zwei gezielten Schüssen in den Rücken aus nächster Nähe erschossen. Der 59-jährige sozialdemokratische Ministerpräsident war mit seiner Frau nach einem Kinobesuch ohne Polizeischutz auf dem Weg nach Hause.

Schwedens Premier: „Emotionaler Tag“

Schwedens sozialdemokratischer Regierungschef Stefan Löfven sprach nach der Pressekonferenz von einem „emotionalen Tag“. Der beste Weg, zu einem Ende zu kommen, wäre ein Verurteilter gewesen. Er räumte ein, dass vor allem am Beginn der Ermittlungen viele Fehler gemacht worden waren.

Löfven selbst hatte bis zuletzt ebenfalls den von Lisbeth Palme identifizierten Kleinkriminiellen als wahrscheinlichsten Täter bezeichnet. „Ich glaubte an die Aussage Lisbeth Palmes, die ein sehr vertrauenswürdiger Mensch war“, so Löfven. Nun wolle er sich aber auf die Arbeit der Staatsanwaltschaft verlassen, die „eine sehr gründliche Arbeit“ geleistet habe. Eine weitere offizielle Überprüfung des Ermittlungsergebnisses schloss er aus.

Für Palmes Nachfolger „kein Endpunkt“

Ingvar Carlsson, Palmes Nachfolger als Ministerpräsident Schwedens, hält die Ansage der Staatsanwaltschaft, dass Engström höchstwahrscheinlich der Mörder ist, für eine „glaubwürdige Erklärung“, wie er gegenüber dem schwedischen Fernsehsender SVT angab. Es gebe allerdings keine sehr starken Beweise, und die Pressekonferenz sei kein Endpunkt. „Es wird Menschen geben, die mit Theorien fortfahren wollen.“ Dass es Mängel in der Polizeiarbeit gegeben habe, räumte Carlsson ein. Er selbst habe etwa direkt nach dem Mord festgestellt, dass der Tatort mehr als eine Stunde nicht abgesperrt worden war. „Es wurden viele Fehler gemacht“, so Carlsson.

Der schwedische Politiker und Anwalt Peter Althin (Christdemokraten) gab in einem Interview nach der Pressekonferenz an, er fühle sich „sehr enttäuscht“. Es scheine, als hätte der Staatsanwalt einfach das Ausschlussverfahren an allen bekannten Verdächtigen angewandt. „Was dann bleibt, ist Stig Engström“, so Althin gegenüber SR. „Sie haben weder technische Beweise noch Zeugen.“

„Interpretation bereits bekannter Fakten“

Leif G. W. Persson, Kriminologe, Moderator und Autor, fasste gegenüber der Zeitung „Aftonbladet“ seinen Unmut zusammen. Er sei weit davon entfernt, überzeugt zu sein. „Diese Pressekonferenz war eine große Enttäuschung“, so Persson. Der Staatsanwalt hätte tatsächlich nichts Wesentlicheres als seine eigenen Interpretationen der bereits bekannten Fakten vorgelegt.

Ähnlich reagierte Palme-Biograf Gunnar Wall. Auch er zweifle an der Theorie, dass Engström der Täter sei. „Ich finde es sehr bedauerlich, die Untersuchung mit einer Anschuldigung zu beenden, wenn es keine technischen Beweise, kein neues Zeugnis, kein Motiv gibt. Wir bekommen keine zusammenhängende Geschichte.“

Der dänische Palme-Experte Thomas Ladegaard, der 2016 ein Buch über den Mord veröffentlicht hatte, schlug in einer Reaktion gegenüber der dpa in eine ähnliche Kerbe: Die Staatsanwaltschaft habe im Vorfeld davon gesprochen, nun ein klares Bild vom Tatgeschehen zu haben, neue Erkenntnisse seien aber nicht präsentiert worden. Er glaube nicht, dass die schwedische Öffentlichkeit diese Geschichte akzeptieren werde.

Gedenktafel am Tatort
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Ein Gedenkstein am Tatort erinnert an das Verbrechen

„Skandia-Man“ meldete sich als Zeuge

Engström war als „Skandia-Man“ bereits mehrfach als möglicher Täter im Gespräch gewesen. Er hatte in der Mordnacht nach eigenen Angaben Überstunden im nahe dem Tatort gelegenen Skandia-Gebäude gemacht und sich nach dem Mord als Zeuge gemeldet. Schon vor mehreren Jahren berichteten Medien über ein mögliches Motiv – Engströms ausgeprägten Hass auf die sozialdemokratische Politik Palmes. Er hätte zudem über einen Freund einen Zugang zu einer mutmaßlichen Tatwaffe gehabt.

Engström geriet nach einem größeren Personalwechsel 2016/17 erneut ins Visier der Ermittlungen, wie Fahndungsleiter Hans Melander in der Pressekonferenz sagte. Die Ermittler seien das Material zum Tatort und den dort befindlichen Personen neu durchgegangen. „Es gab dabei eine Person, die nicht ins übrige Bild hineinpasste. Seine Angaben konnte man nicht mit denjenigen anderer Zeugen verbinden.“

Petersson sagte, Engströms Kleidung stimme mit der überein, die der Täter nach Aussagen mehrerer Zeugen getragen hatte. Er habe Geld- und Alkoholprobleme gehabt. Am Mordabend habe er sich noch spät an seinem Arbeitsplatz in unmittelbarer Nähe zum Tatort befunden. Um 23.19 Uhr habe er sich ausgestempelt – um etwa 23.21 Uhr und 30 Sekunden sei dann auf Palme geschossen worden. Die Mordwaffe wurde bis heute nicht gefunden.

Heftige Kritik an verschleppten Ermittlungen

Die Ermittlungen waren in den vergangenen Jahrzehnten oft heftig kritisiert worden. Hunderttausende Hinweise waren bei den Ermittlern eingegangen, immer neue Spekulationen über mögliche Hintermänner machten die Runde. Die Ermittler befragten mehr als 10.000 Menschen, verhaftet wurde aber niemand mehr.

Im Laufe der Jahre verdächtigten sie unter anderem die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), das schwedische Militär sowie die Polizei und den südafrikanischen Geheimdienst. Gerüchte über die Verstrickung Palmes in eine schwedische „Bordellaffäre“, in der auch Minderjährige missbraucht worden sein sollen, machten ebenso die Runde wie die Theorie, dass Palme zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sei – und mit einem Drogendealer verwechselt worden sein soll.