Italienische Flagge über Piazza Navona in Rom
Reuters/Alberto Lingria
„Krise als Gelegenheit“

Zukunftskonferenz für Italiens Neustart

In Roms prunkvoller Villa Pamphili hat am Samstag eine hochkarätige Konferenz begonnen, mit der Italien Strategien zum Neustart nach der Coronavirus-Krise besprechen will. Der italienische Premier Giuseppe Conte bezeichnete das zehntägige Debattenforum mit internationalen Gästen als einmalige Gelegenheit, um Italiens Neubeginn zu planen.

Begonnen wurde am Samstag mit europäischen Themen. Hinter verschlossenen Türen berieten Vertreter aus Wirtschaft, Politik und gesellschaftlichen Gruppen. Per Zuschaltung nahmen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Parlamentspräsident David Sassoli sowie EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni und Italiens Notenbankchef Ignazio Visco teil. Ebenfalls per Videokonferenz sind auch Ansprachen von OECD-Generalsekretär Angel Gurria und der Präsidentin der Weltbank, Kristalina Georgieva, vorgesehen.

„Wir müssen Italien neu aufbauen. Diese Krise muss die Gelegenheit sein, um große Reformen umzusetzen, auf die Italien seit zu vielen Jahren wartet. Jetzt verfügen wir über die Finanzierungen, um dies zu tun, der europäische Rahmen erlaubt uns das. Diese Gelegenheit dürfen wir nicht versäumen“, sagte Conte im Gespräch mit der Tageszeitung „La Stampa“ vor Beginn der Konferenz.

Italienischer Premierminister Giuseppe Conte
APA/AFP/Palazzo Chigi press office
Für Conte sind die EU-Hilfen eine Gelegenheit, um bisher versäumte Reformen umzusetzen

„Colao-Plan“ fasst Vorschläge zusammen

Als Gesprächsbasis der von Conte ausgerufenen „Generalstände“ dient eine „Road Map“, die ein Expertenkomitee unter der Leitung des Managers Vittorio Colao entworfen hat. Der „Colao-Plan“ enthält eine Reihe von Vorschlägen für Reformen in den verschiedensten Bereichen, darunter Wirtschaft, Beschäftigung, Infrastrukturen und Umwelt, Tourismus, Kunst und Kultur, öffentliche Verwaltung, Bildung und Forschung sowie Familienpolitik. Redigiert wurde die „Road Map“ von einem 17-köpfigen Expertenkomitee, das die Regierung beim Neustart des Landes nach der Coronavirus-Krise berät.

Die „Generalstände“ werden von den Oppositionskräften boykottiert, die sich nicht daran beteiligen wollen, obwohl sie vom Premier eingeladen wurden. Die rechte Opposition, darunter Ex-Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega, behauptet, dass die Debatte über die Zukunft Italiens ins Parlament gehöre. Colao habe einen Plan entworfen, der keinerlei Informationen über dessen Finanzierbarkeit enthalte, bemängelten die Oppositionsparteien.

Wirtschaftseinbruch um mindestens acht Prozent erwartet

Italien gehört in Europa zu den Ländern, die von der Pandemie am stärksten getroffen wurden. Die Behörden haben bisher mehr als 236.000 Infektionen und über 34.000 Todesfälle festgestellt. Die Wirtschaft wird nach Schätzung der Regierung in diesem Jahr um wenigstens acht Prozent einbrechen.

Hilfe verspricht sich Italien insbesondere von dem geplanten europäischen Wiederaufbaufonds. Dieser soll nach Vorschlag der EU-Kommission ein Volumen von 750 Milliarden Euro haben. Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs wollen am Freitag in einer Videokonferenz darüber beraten. Nach Plänen der Kommission wäre Italien mit Zuwendungen von 170 Milliarden Euro größter Nutznießer des Fonds.

„Wir müssen uns jetzt sagen, liebe Freunde, dass diese enormen europäischen Mittel die Kommission (…), aber auch die einzelnen Länder und die einzelnen Regierungen auf eine harte Probe stellen werden“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Gentiloni.

Von der Leyen fordert überfällige Reformen ein

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen forderte in ihrer Videobotschaft Italien auf, mit den Milliarden aus dem geplanten europäischen Wiederaufbaufonds überfällige Reformen anzugehen. „Wir, die EU, leihen zum ersten Mal Geld von unseren Kindern. Also müssen unsere heutigen Investitionen Früchte für unsere Kinder tragen“, sagte sie in einer Videobotschaft auf einer Zukunftskonferenz am Samstag in Rom.

Videokonferenz mit Giuseppe Conte, Ursula von der Leyen und David Sassoli
APA/AFP/Palazzo Chigi press office
Auch die EU-Spitze ist per Videokonferenz in Rom zugeschaltet

„Wir werden nicht, wie es manchmal unsere Mitgliedstaaten taten, Geld von unseren Kindern leihen, nur um heute mehr auszugeben“, erklärte von der Leyen. Sie bezog sich unter anderem auf Bürokratieabbau und Maßnahmen gegen den Einfluss organisierter Kriminalität auf den öffentlichen Sektor. In Italien seien zu wenig Frauen und Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt. „Die Entscheidungen, die (Italien) heute trifft, werden das Italien von morgen prägen.“ Das Coronavirus sei auch eine Chance, dass Europa wieder zusammenfinde. „Dies ist die Stunde Europas.“

Ähnlich wie von der Leyen äußerte sich EZB-Chefin Christine Lagarde, die sich ebenfalls in einer Grußbotschaft zu Wort meldete. „Meine Institution, die EZB, wird im Rahmen ihres Mandats ihre Rolle spielen. Aber es ist Ihre Aufgabe, die Bürger davon zu überzeugen, dass unsere Gesellschaften aus diesem Transformationsprozess stärker und grüner hervorgehen werden“, sagte Lagarde an die Adresse der italienischen Politiker

Michel: „Der Weg ist noch weit“

EU-Ratspräsident Charles Michel warnte vor der Gefahr, die Schwierigkeiten bei den bevorstehenden Verhandlungen zum „Recovery Fund“ nicht zu unterschätzen. „Der Weg ist noch weit bis zu einer Einigung, und in mehreren Aspekten gibt es noch beträchtliche Divergenzen unter den EU-Mitgliedstaaten. Für ein positives Ende der Verhandlungen muss jeder den Standpunkt des anderen berücksichtigen“, sagte Michel.

Der italienische Notenbankchef Vincenzo Visco warnte, dass nach der schweren Krise Italien wieder auf Wachstumskurs gebracht werden müsse. „Das Ziel können wir erreichen, aber nur wenn wir mit Reformen Italiens Produktivität erhöhen können“, sagte Visco.

Strenge Sicherheitsvorkehrungen

Schärfste Sicherheitsvorkehrungen wurden zu Beginn der Konferenz in Rom ergriffen. Es handelt sich um das erste internationale Forum seit Ende des „Lock-downs“ in Italien. Journalisten sind zum Forum nicht zugelassen. Premier Conte will am Ende der Konferenz über die Ergebnisse berichten.

Vor der Villa kam es zu kleineren Protesten. „Während Ihr unsere Zukunft raubt, feiert Ihr“, hieß es auf einem Plakat. Italiens Regierung steht in der Kritik, dass versprochene Coronavirus-Hilfen bei vielen Bürgern immer noch nicht angekommen sind.