Laboruntersuchung zur Abklärung des Coronavirus
APA/Hans Punz
Experten

„Achtung vor dem Virus nicht verlieren“

Gut drei Monate nach Ausbruch der Coronavirus-Krise in Österreich haben Experten und der Gesundheitsminister Bilanz der Lehren aus der Krise gezogen. Dazugeschaltet: der deutsche Virologe Christian Drosten, der bereits im Jänner dieses Jahres den ersten CoV-Test im deutschsprachigen Raum entwickelt hatte. Seine Warnung und die seiner Kollegen: „Die Achtung vor dem Virus nicht verlieren!“ Man müsse verhindern, dass man im Herbst nochmals in eine schwierige Situation wie im Frühjahr gerate.

„Es ist lange noch nicht vorbei“, sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bei der Bilanzpressekonferenz zu den Pandemiemaßnahmen am Mittwoch in Wien und wollte damit all jene warnen, die meinen, dass es im Rahmen der Lockerungsmaßnahmen schon quasi geschafft sei. Nach wie vor verlange der Umgang mit dem Virus einen solidarischen Akt in der Gesellschaft, und der heiße nun einmal, dass auf sich selbst zu schauen auch bedeute, auf andere zu schauen.

„Wichtig ist, dass wir das Gesundheitssystem dadurch stabilisieren, dass wir ein umfassendes Lenkungssystem eingerichtet haben“, so Anschober, der neben der schnellen Reaktion auf Infektionsfälle nicht zuletzt die Vermeidung von Arzt- und Spitalskontakten durch die Konsultation der Hotline 1450 als entscheidend sieht. Über 800.000 Anrufe habe man bei 1450 bisher registriert.

Anschober: Kein weiterer „Lock-down“

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) will eine zweite Coronavirus-Welle durch „Contact-Tracing“ vermeiden. Einen weiteren „Lock-down“ soll es nicht geben.

„Es war ein Lernprozess für uns alle und es ist nach wie vor einer“, so Anschober, der erneut für den Download der Rotkreuz-App warb. "Das „Risikobewusstsein ist entscheidend, denn es gibt momentan auch Einschätzungen nach dem Motto, dass wieder eine Normalität da ist; und von manchen wird das so aufgenommen, als ob Corona jetzt vorbei wäre“, so der Gesundheitsminister.

Drosten: „Müssen die Hintergründe verstehen“

Für Drosten von der Berliner Charite ist entscheidend, „dass wir verstehen müssen, aus welchen fachlichen Erwägungen die politischen Hintergrundüberlegungen kommen“. Die Medien bat der über Videokonferenz in den Wiener Presseclub Concordia zugeschaltete Drosten, noch einmal „genau hinzuschauen“ und auch von einer Form des Wissenschaftsbashings, das man da und dort beobachten könne, Abstand zu nehmen.

Herwig Ostermann, Elisabeth Puchhammer-Stšckl, Rudolf Anschober und Christian Drosten von der Berliner Charite (am Bildschirm)
APA/Helmut Fohringer
Herwig Ostermann, Elisabeth Puchhammer-Stöckl, Rudolf Anschober und der zugeschaltete Drosten (v. l. n. r.)

Für Drosten war in der Krise entscheidend, dass man in Österreich und Deutschland die Situation sehr rasch im Labor erfassen konnte. „Drei bis vier Wochen Vorsprung machen einen Unterschied“, so Drosten, der mit seinem Team das Virus am 10. Jänner identifizieren konnte. Momentan sei man in einem „Niedriginzidenz-Bereich“, sodass man an Orten wie Berlin und Wien große Demonstrationen auf der Straße her von der statistischen Ansteckungswahrscheinlichkeit „aushalten“ könne.

Kindergärten und Schulen als heikle Bereiche

Dennoch, so Drosten, müsse man das Infektionsgeschehen sehr engmaschig beobachten. Die größte Herausforderung sieht er neben der Zunahme von Atemwegsbeschwerden im Herbst im Bereich der Schulen und Kindergärten. Hier müsse man auf Ausbruchsherde vorbereitet sein. Es gebe natürlich auch im Veranstaltungsbereich Ereignisse, die man schlechter kontrollieren könne, etwa Kulturveranstaltungen, die im Innern stattfinden.

Medikament gegen Corona gibt Hoffnung

Ein Entzündungshemmer, der sonst etwa zur Behandlung von Asthma eingesetzt wird, zeigt laut einer Studie aus Großbritannien, vielversprechende Ergebnisse bei Covid-19-Erkrankten.

Für ihn sei die Information die Grundlage für den Schutz der Bevölkerung. Man sehe gerade im Bereich der „prekären Arbeitsverhältnisse“, dass jene, die man mit Informationen schlechter erreiche, „eher Opfer dieses Virus“ würden.

Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) und der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charite (am Bildschirm)
ORF.at/Gerald Heidegger
Doppelconference Wien – Berlin: Christian Drosten nahm über Telekonferenz an der Bilanz-PK teil

Puchhammer-Stöckl nennt Verbesserungsmöglichkeiten

Drostens Kollegin Elisabeth Puchhammer-Stöckl unterstrich die Sicht Drostens, auch was die Frage der frühen Labortestungen anlangt. Man sei in Österreich in der Lage gewesen, auf der Grundlage von Drostens Test die erste Testung schon am 23. Jänner durchzuführen. Diese frühe Option sei sehr positiv und wichtig gewesen. Allerdings gebe es auch einige Wermutstropfen, so die Virologin: Man habe immer noch Probleme mit den Reagenzien. Hier hofft sie auf eine Verbesserung des Nachschubs. Denn: Insgesamt sei Österreich mit seiner Laborlandschaft sehr gut für ausgeweitete Tests aufgestellt.

„Die Logistik um die Tests können wir noch verbessern“, so Puchhammer-Stöckl, die auch auf die Rolle ihres Fachs bei der Evaluierung der Antikörpertests verwies. Hier dürfe man sich bei manchen angebotenen Tests nicht in falscher Sicherheit wiegen, so die Expertin.

Besonderer Bedeutung schreibt sie dem entwickelten „Surveillance-System“ zu, also jenen Stichproben, bei denen bereits 230 Ärzte mitmachten und bei denen man Patienten im Auge habe, die mit respiratorischen Problemen auffielen. Im Herbst würde hier die Herausforderung größer, weil die Atemwegsprobleme deutlich zunehmen würden. „Im Moment ist die Quote durch die Abstandsregeln und den Faktor Sommer relativ niedrig. Im Herbst wird es wieder ernster“, so die Expertin.

„Prognostik stark verbessert“

Für Herwig Ostermann vom nationalen Forschungs- und Planungsinstitut Gesundheit Österreich habe sich die Prognostik hinsichtlich der Verbreitung und möglicher Szenarien deutlich verbessert. Man könne die Entwicklungen kommender Tage sehr exakt vorhersehen – „die Prognostik wird immer genauer“. Und man könne auch Neuerkrankungen immer genauer voraussagen, was der Politik wieder bei der Einschätzung von Maßnahmen helfe.

Ostermann sieht mittlerweile auch einen guten Überblick durch die Einmeldungen des Standes der Intensivbetten. „Das Intensivbett an sich gibt es nicht“, so Ostermann auf die Frage von ORF.at. Durch die Finanzierung des Gesundheitssystems gebe es eine starke regionale Komponente. Und regional strukturierte Daten zusammenzuführen sei eindeutig schwieriger. Aber man habe hier einiges dazugelernt und verbessern können.

Das Verhindern der zweiten Welle

Zum Faktor „zweite Welle“ meinte Drosten abschließend, man müsse genau diese dringend vermeiden. Eine zweite Welle definiere er als „Hereinziehen“ eines exponentiellen Wachstums bei Infektionszahlen. Für Drosten sind zuletzt vermeldete Durchbrüche im Bereich medikamentöser Behandlung wichtig, aber: Das betreffe sehr oft die schwersten Intensivfälle: „Wir wollen den Weg dahin vermeiden und brauchen ein wirksames Mittel für die breiten Massen: Und das ist nun einmal die Impfung.“ Denn mit der Herdenimmunitiät werde es einfach noch dauern, so Drosten.