Frisch geschlachtete Schweine hängen in einem Kühlhaus des Fleischunternehmens Tönnies
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Hunderte CoV-Infektionen

Schlaglicht auf deutschen Fleischgiganten

Obwohl die CoV-Fallzahlen in Deutschland relativ niedrig sind, gibt es einige auffällige Cluster. Dazu gehört seit Mittwoch auch die Firma Tönnies, Deutschlands größter Schweineschlachtbetrieb. Hier wurden Hunderte Mitarbeiter positiv getestet, nun müssen Tausende in Quarantäne. Das wirft erneut die Frage nach den Bedingungen dort auf und rückt den Mitinhaber und Milliardär Clemens Tönnies in den Fokus.

Tönnies hat seinen Sitz in Rheda-Wiedenbrück im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dort wurden seit Anfang der Woche mehr als 650 Mitarbeiter in dem Schlachthof und Fleischzerlegebetrieb positiv getestet. Am Dienstag waren bereits mehr als 100 Neuinfektionen bekannt, das Unternehmen sagte Maßnahmen zu, die Ausbreitung einzudämmen.

Das Unternehmen stellte die Schlachtungen ein, nun würden weitere Bereiche nach und nach heruntergefahren, hieß es. Nach Ansicht der Firma könnten Mitarbeiter im Heimaturlaub das Coronavirus mitgebracht haben. Viele der häufig aus Rumänien und Bulgarien stammenden Beschäftigten hätten die langen Wochenenden für einen Heimaturlaub genutzt, hieß es. Außerdem beförderten gekühlte Räume offenbar das Übertragen des Virus auf viele Personen. „Wir können uns nur entschuldigen“, sagte ein Tönnies-Sprecher.

Schweine zu bestimmtem Termin „schlachtreif“

Der zuständige Landrat, Sven-Georg Adenauer (CDU), zeigte sich schockiert über den sprunghaften Anstieg: „Die Firma muss ihre Produktion runterfahren, soweit es eben geht.“ Der Kreis Gütersloh kündigte an, alle Schulen und Kindertagesstätten bis zu den Sommerferien zu schließen und rund 7.000 Menschen unter Quarantäne zu stellen. Durch die Schließung des Schlachtbetriebs fehlen nun nach offiziellen Angaben 20 Prozent der Fleischprodukte auf dem deutschen Markt. Die Schweinezüchter stünden nun vor Problemen, weil ihre Schweine so gezüchtet werden, dass sie zu einem bestimmten Termin „schlachtreif“ seien, hieß es.

Schalke-Präsident Clemens Tönnies
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Fleischfabrikant und Fußballfunktionär Clemens Tönnies, laut „Forbes“ einer der reichsten Deutschen

Es ist nicht der erste größere Ausbruch in einer deutschen Fleischfabrik. Im Mai war ein großes Cluster in Coesfeld, ebenfalls in Nordrhein-Westfalen, registriert worden. Damals wurden bei einem großangelegten Reihentest durch die Gesundheitsbehörden bei Tönnies nur wenige Fälle festgestellt worden. Nach Unternehmensangaben wurde allerdings bei späteren Tests ein Infektionsherd identifiziert. Obwohl alle Kontaktpersonen vorsorglich in Quarantäne geschickt worden seien, habe es weitere Infektionen in dem Schweinefleischzerlegebetrieb gegeben. Hunderte weitere Infizierte wurden in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein registriert.

Rechtliche Konsequenzen

Kritiker hatten die in der Fleischindustrie verbreiteten Sammelunterkünfte für osteuropäische Arbeiter und schlechte Hygienestandards für die rasante Ausbreitung des Virus in der Branche verantwortlich gemacht. In der Fleischwirtschaft in Deutschland sind rund 200.000 Menschen beschäftigt. Unter ihnen sind viele Arbeiter aus Osteuropa, die oft nur Werkverträge haben und in engen oder heruntergekommenen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind.

Das Fleisch

In Deutschland wurden 2019 55 Millionen Schweine und 3,5 Millionen Rinder geschlachtet, insgesamt acht Millionen Tonnen Fleisch. In Österreich waren es mehr als fünf Millionen Schweine und rund 680.000 Rinder, insgesamt 742.000 Tonnen Fleisch.

Die deutsche Regierung hatte als Reaktion darauf angekündigt, Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassungen in den Fleischfabriken ab Jänner zu verbieten. Ab dann dürften daher nur noch Mitarbeiter des eigenen Betriebs in der industriellen Fleischverarbeitung Tiere schlachten und das Fleisch verarbeiten. Das Fleischerhandwerk und die kleine Schlachterei auf dem Land blieben davon ausgenommen. „Es ist kein Hexenwerk, Beschäftigte anzustellen“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) damals. Auch Kontrollen sollten verstärkt werden, eine digitale Arbeitszeiterfassung verpflichtend.

Boom in der Fleischindustrie

Die deutschen Fleischbetriebe erlebten zuletzt einen Boom und setzten im Vorjahr 45,7 Milliarden Euro um, acht Prozent mehr als noch 2018. Die Tönnies-Gruppe ist dabei der Branchenriese, sowohl was Umsatz (2018: 6,65 Milliarden Euro) als auch die Zahl der Schlachtungen betrifft. Der Konzern nahm seine Anfänge in den 1970er Jahren, gegründet von Bernd Tönnies, dem Bruder von Clemens Tönnies. Inzwischen ist er Deutschlands größter Schlachtbetrieb für Schweine und gehört insgesamt zu den größten Schlachtbetrieben für Schweine und Rinder des Landes. Der Firmengründer starb 1994, seither streiten Clemens Tönnies und sein Neffe Robert vor Gericht über die Ausrichtung des Konzerns, der zahlreiche Beteiligungen hat.

Clemens Tönnies gehört laut dem US-Magazin „Forbes“ mit 2,3 Milliarden US-Dollar (2,05 Mrd. Euro) zu den reichsten Deutschen. Neben seiner Tätigkeit als Fleischfabrikant steht er auch als Aufsichtsratschef des Fußballvereins FC Schalke 04 in der Öffentlichkeit – und in der Kritik: Im vergangenen Jahr hatte er sich rassistisch geäußert, indem er Steuererhöhungen im Kampf gegen den Klimawandel bekrittelte. Stattdessen solle man lieber jährlich 20 Kraftwerke in Afrika finanzieren, so Tönnies. „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren.“ Konsequenzen gab es für Tönnies nicht.

Vorwürfe wiederholen sich

Auch bezüglich der Unternehmensführung geriet Tönnies wiederholt in Skandale, so auch im Zuge der Cum-Ex-Affäre. Tönnies hatte in einen Fonds investiert, später stellte sich heraus, dass das Management des Fonds offenbar nach dem Cum-Ex-Prinzip handelte. Nach Aufdecken der Praktiken wurden die Anteile wertlos, Tönnies verlor viel Geld. Seither versucht er auf dem Klagsweg, den Verlust auszugleichen. Von den Cum-Ex-Profiten, die auf Kosten der Steuerzahler gingen, wollen Tönnies und andere Prominente nichts gewusst haben.

Die Cum-Ex-Affäre

Investoren schoben zum Zeitpunkt rund um den Dividendenstichtag Aktien zwischen mehreren Beteiligten hin und her. Am Tag nach der Ausschüttung der Dividende fiel für den Besitzer der Aktien eine Kapitalertragssteuer an, die vom Staat zurückgefordert werden konnte. Das mehrmalige Verschieben erschwerte es jedoch, den eigentlichen Aktienbesitzer zu bestimmen. Der Schaden belief sich auf mehr als 50 Mrd. Euro.

Vorwürfe, die Arbeitsbedingungen für die vielen prekär beschäftigten Osteuropäer bei Tönnies seien katastrophal, kehren seit mehr als zehn Jahren regelmäßig wieder. Niedriglohn, Kündigungsdrohungen sowie Mangel an Arbeitsschutz wurden Tönnies immer wieder zum Vorwurf gemacht. Das Unternehmen geriet auch in die Negativschlagzeilen, als bekanntwurde, dass es seine Mitarbeiter mit 200 Videokameras überwacht hatte, auch etwa im Umkleidebereich. Tönnies musste deshalb 2008 ein Bußgeld von 80.000 Euro zahlen. Im Jahr 2011 wurde ein Strafverfahren gegen Tönnies wegen Falschetikettierung gegen eine Auflage von knapp drei Millionen Euro vorzeitig eingestellt.

Tönnies gegen Abschaffung der Werkverträge

Der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann (CDU), räumte kürzlich ein jahrelanges parteiübergreifendes Versagen bei Missständen in Schlachtbetrieben ein. Man könne nicht „so tun, als wenn wir nicht wüssten, dass wir es in der Arbeits- und Unterbringungssituation der osteuropäischen Werkvertragsarbeitnehmer in der Fleischindustrie oft mit prekären Verhältnissen zu tun haben“, so Laumann im Mai laut der „Münsterland Zeitung“. Es habe in den vergangenen Jahren mehrere Anläufe der Politik gegeben, gegen prekäre Arbeitsverhältnisse anzugehen. Doch seien Wege gefunden worden, die Regelungen zu umgehen – „zum Teil in einer Weise, die mit einem ‚normalen Menschenbild‘ nicht vereinbar“ sei, so Laumann laut dem Bericht. Wegen der pandemiebedingten Kontrollen erhoffte sich Laumann nun besseren Zugriff.

Wie die neuen gesetzlichen Regelungen im Detail ab Jänner schlagend werden, ist noch unklar. Gegen die Pläne der Politik waren Deutschlands Fleischfabrikanten Sturm gelaufen, allen voran Tönnies. Clemens Tönnies hatte eindringlich vor der Abschaffung der Werkverträge gewarnt. „Ein generelles Verbot von Werkverträgen in der Fleischwirtschaft hätte massive, strukturell-negative Veränderungen für die Agrarwirtschaft zur Folge“, so Tönnies in einem Brief an Heil laut „Neuer Osnabrücker Zeitung“. Laut dem Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) gilt für die rund 80.000 Beschäftigten in der Fleischindustrie der gesetzliche Mindestlohn von 9,35 Euro.