Skulpturen vor dem Tönnies-Hauptquartier
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Deutscher Fleischgigant

CoV-Massenausbruch facht Familienzwist an

Der Coronavirus-Ausbruch bei Deutschlands größtem Schweineschlachtbetrieb Tönnies führt zur nächsten Runde des seit Jahren schwelenden Streits der verwandten Inhaber: Firmenmitbesitzer Robert Tönnies forderte nun in einem Brief den Rücktritt seines Onkels Clemens Tönnies aus der Geschäftsleitung.

In dem Schreiben von Mittwoch wirft Robert Tönnies der Geschäftsleitung und dem Beirat des Konzerns unverantwortliches Handeln sowie die Gefährdung des Unternehmens und der Bevölkerung vor. Am Mittwoch war bekanntgeworden, dass es unter den Mitarbeitern des Schlachtbetriebs in Ostwestfalen zu einem großen Virusausbruch gekommen ist. Hunderte Mitarbeiter wurden positiv getestet. Nach der Ursache wird derzeit noch gesucht.

Robert Tönnies hält wie sein Onkel Clemens 50 Prozent an dem Unternehmen. Seit Jahren streiten die beiden um die Führung und Ausrichtung des Konzerns. Robert, Sohn des verstorbenen Firmengründers Bernd Tönnies, wirft der Geschäftsleitung und dem kontrollierenden Beirat vor, seit 2017 geltende Unternehmensleitsätze zur Abschaffung von Werkverträgen nicht umzusetzen. Er sei mit seinen Hinweisen und Vorstößen stets blockiert worden, heißt es in dem Brief.

Arbeiter verlassen Tönnies-Fabrik
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Arbeiter verlassen die Tönnies-Fabrik

„Dem System der Werkverträge geschuldet“

„Dass gerade in Schlachtbetrieben die Infektionszahlen weit überdurchschnittlich hoch sind, ist ganz sicher auch dem System der Werkverträge geschuldet; es zwingt viele Arbeiterinnen und Arbeiter in unzumutbare Wohnverhältnisse, die mit einem hohen Ansteckungsrisiko verbunden sind und nur wenig Schutzmöglichkeiten bieten, wenn einmal eine Infektion auftritt“, schreibt Robert Tönnies. Über die Forderung hatte das „Manager Magazin“ als Erstes berichtet.

Der Fleischkonzern Tönnies, der auch zahlreiche Beteiligungen hält, hat seinen Sitz in Rheda-Wiedenbrück im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dort wurden seit Anfang der Woche 730 Mitarbeiter in dem Schlachthof und Fleischzerlegebetrieb positiv getestet. In den nächsten Tagen müssen noch rund 5.300 Mitarbeiter getestet werden. Das Unternehmen sagte Maßnahmen zu, die Ausbreitung einzudämmen.

Schalke-Präsident Clemens Tönnies
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Fleischfabrikant und Fußballfunktionär Clemens Tönnies, laut „Forbes“ einer der reichsten Deutschen

Kinder von Beschäftigten dürfen nicht mehr in Schulen

Der Anstieg von Infizierten im benachbarten Kreis Gütersloh hat Folgen für die Menschen in Bielefeld: Nach Angaben der Stadt wurden am Donnerstag die Schulen und Kindertagesstätten darüber informiert, dass die Kinder von Tönnies-Beschäftigen nach Hause geschickt werden müssen. Andere Kinder aus dem Kreis Gütersloh betrifft diese Maßnahme nicht, wie die Stadt mitteilte.

Nach Informationen von Radio Bielefeld hat auch das Klinikum Bielefeld reagiert: Es schließt als Reaktion auf die gestiegenen Fallzahlen bei Tönnies seine drei Häuser für Besucher und macht damit zwischenzeitliche Lockerungen rückgängig.

Das Unternehmen stellte indes die Schlachtungen ein, nun würden weitere Bereiche nach und nach heruntergefahren, hieß es am Dienstag. Nach Ansicht der Firma könnten Mitarbeiter im Heimaturlaub das Coronavirus mitgebracht haben. Viele der häufig aus Rumänien und Bulgarien stammenden Beschäftigten hätten die langen Wochenenden für einen Heimaturlaub genutzt, hieß es. Außerdem beförderten gekühlte Räume offenbar das Übertragen des Virus auf viele Personen. „Wir können uns nur entschuldigen“, sagte ein Tönnies-Sprecher.

Schweine zu bestimmtem Termin „schlachtreif“

Durch die Schließung des Schlachtbetriebs fehlen nun nach offiziellen Angaben 20 Prozent der Fleischprodukte auf dem deutschen Markt. Die Schweinezüchter stünden nun vor Problemen, weil ihre Schweine so gezüchtet werden, dass sie zu einem bestimmten Termin „schlachtreif“ seien, hieß es.

Die deutsche Agrarministerin Julia Klöckner dringt auf Konsequenzen. „Hunderte von Infektionen in einem Betrieb. Diese Zustände sind nicht haltbar“, sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag. Es sei richtig, Infektionsursachen am Arbeitsplatz und in Unterkünften nun gründlich zu untersuchen. Klöckner bekräftigte Pläne der deutschen Regierung für grundlegende Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche.

Es ist nicht der erste größere Ausbruch in einer deutschen Fleischfabrik. Im Mai war ein großes Cluster in Coesfeld, ebenfalls in Nordrhein-Westfalen, registriert worden. Damals wurden bei einem großangelegten Reihentest durch die Gesundheitsbehörden bei Tönnies nur wenige Fälle festgestellt worden. Nach Unternehmensangaben wurde allerdings bei späteren Tests ein Infektionsherd identifiziert. Obwohl alle Kontaktpersonen vorsorglich in Quarantäne geschickt worden seien, habe es weitere Infektionen in dem Schweinefleischzerlegebetrieb gegeben. Hunderte weitere Infizierte wurden in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein registriert.

Rechtliche Konsequenzen

Kritiker hatten die in der Fleischindustrie verbreiteten Sammelunterkünfte für osteuropäische Arbeiter und schlechte Hygienestandards für die rasante Ausbreitung des Virus in der Branche verantwortlich gemacht. In der Fleischwirtschaft in Deutschland sind rund 200.000 Menschen beschäftigt. Unter ihnen sind viele Arbeiter aus Osteuropa, die oft nur Werkverträge haben und in engen oder heruntergekommenen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind.

Das Fleisch

In Deutschland wurden 2019 55 Millionen Schweine und 3,5 Millionen Rinder geschlachtet, insgesamt acht Millionen Tonnen Fleisch. In Österreich waren es mehr als fünf Millionen Schweine und rund 680.000 Rinder, insgesamt 742.000 Tonnen Fleisch.

Die deutsche Regierung hatte als Reaktion darauf angekündigt, Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassungen in den Fleischfabriken ab Jänner zu verbieten. Ab dann dürften daher nur noch Mitarbeiter des eigenen Betriebs in der industriellen Fleischverarbeitung Tiere schlachten und das Fleisch verarbeiten. Das Fleischerhandwerk und die kleine Schlachterei auf dem Land blieben davon ausgenommen. „Es ist kein Hexenwerk, Beschäftigte anzustellen“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) damals. Auch Kontrollen sollten verstärkt werden, eine digitale Arbeitszeiterfassung verpflichtend.

Boom in der Fleischindustrie

Die deutschen Fleischbetriebe erlebten zuletzt einen Boom und setzten im Vorjahr 45,7 Milliarden Euro um, acht Prozent mehr als noch 2018. Die Tönnies-Gruppe ist dabei der Branchenriese, sowohl was Umsatz (2018: 6,65 Milliarden Euro) als auch die Zahl der Schlachtungen betrifft. Der Konzern nahm seine Anfänge in den 1970er Jahren. Inzwischen ist er Deutschlands größter Schlachtbetrieb für Schweine und gehört insgesamt zu den größten Schlachtbetrieben für Schweine und Rinder des Landes. Der Firmengründer starb 1994.

Clemens Tönnies gehört laut dem US-Magazin „Forbes“ mit 2,3 Milliarden US-Dollar (2,05 Mrd. Euro) zu den reichsten Deutschen. Neben seiner Tätigkeit als Fleischfabrikant steht er auch als Aufsichtsratschef des Fußballvereins FC Schalke 04 in der Öffentlichkeit – und in der Kritik: Im vergangenen Jahr hatte er sich rassistisch geäußert, indem er Steuererhöhungen im Kampf gegen den Klimawandel bekrittelte. Stattdessen solle man lieber jährlich 20 Kraftwerke in Afrika finanzieren, so Tönnies. „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren.“ Konsequenzen gab es für Tönnies nicht.

Die Cum-Ex-Affäre

Investoren schoben zum Zeitpunkt rund um den Dividendenstichtag Aktien zwischen mehreren Beteiligten hin und her. Am Tag nach der Ausschüttung der Dividende fiel für den Besitzer der Aktien eine Kapitalertragssteuer an, die vom Staat zurückgefordert werden konnte. Das mehrmalige Verschieben erschwerte es jedoch, den eigentlichen Aktienbesitzer zu bestimmen. Der Schaden belief sich auf mehr als 50 Mrd. Euro.

Vorwürfe wiederholen sich

Auch bezüglich der Unternehmensführung geriet Tönnies wiederholt in Skandale, so auch im Zuge der Cum-Ex-Affäre. Tönnies hatte in einen Fonds investiert, später stellte sich heraus, dass das Management des Fonds offenbar nach dem Cum-Ex-Prinzip handelte. Nach Aufdecken der Praktiken wurden die Anteile wertlos, Tönnies verlor viel Geld. Seither versucht er auf dem Klagsweg, den Verlust auszugleichen. Von den Cum-Ex-Profiten, die auf Kosten der Steuerzahler gingen, wollen Tönnies und andere Prominente nichts gewusst haben.

Vorwürfe, die Arbeitsbedingungen für die vielen prekär beschäftigten Osteuropäer bei Tönnies seien katastrophal, kehren seit mehr als zehn Jahren regelmäßig wieder. Niedriglohn, Kündigungsdrohungen sowie Mangel an Arbeitsschutz wurden Tönnies immer wieder zum Vorwurf gemacht. Das Unternehmen geriet auch in die Negativschlagzeilen, als bekanntwurde, dass es seine Mitarbeiter mit 200 Videokameras überwacht hatte, auch etwa im Umkleidebereich. Tönnies musste deshalb 2008 ein Bußgeld von 80.000 Euro zahlen. Im Jahr 2011 wurde ein Strafverfahren gegen Tönnies wegen Falschetikettierung gegen eine Auflage von knapp drei Millionen Euro vorzeitig eingestellt.