Mann mit Atemschutzmaske passiert ein Wand mit Grafittis
AP/Andre Penner
Coronavirus

Keine Verschnaufpause für Lateinamerika

Von Brasilien über Costa Rica bis Mexiko: Lateinamerika kommt im Kampf gegen das Coronavirus nicht zur Ruhe. Während in Brasilien inzwischen die symbolische Marke von einer Million Infizierten durchbrochen wurde, wurden in Costa Rica und Mexiko-Stadt geplante Lockerungen kurzfristig gestoppt.

Brasilien meldete Freitagabend 54.771 neue mit dem Coronavirus Infizierte und liegt damit bei mehr als 1.030.000 Infektionen. Das ging am Freitagabend aus den Daten des Gesundheitsministeriums in Brasilia hervor. Knapp 49.000 Patienten seien gestorben. Damit wurden nur in den USA bisher mehr Infektionen und Tote als in dem größten und bevölkerungsreichsten Land Lateinamerikas verzeichnet. Die tatsächlichen Zahlen in Brasilien dürften noch weit höher liegen, auch weil das Land sehr wenig testet.

„Brasilien testet brutal weniger, als es sollte. Im besten Falle 20-mal weniger als das, was als angemessen erachtet wird“, sagte der Biowissenschaftler Daniel Lahr von der Universität Sao Paulo dem Portal G1. Wissenschaftliche Studien und Schätzungen von Organisationen legen nahe, dass sich mindestens siebenmal so viele Menschen infiziert haben als bisher bekannt und doppelt so viele, als erfasst sind, gestorben sind. Den vermutlich ersten Coronavirus-Fall registrierte das Land am 25. Februar – einen Geschäftsmann, der aus Italien zurückgekommen war.

Ausbruch in sozialen Brennpunkten

Zunächst im Land als Virus der Reichen bekannt, die es sich leisten können, ins Ausland zu reisen, hat sich das Coronavirus inzwischen in die sozialen Brennpunkte großer Städte wie Rio de Janeiro und Sao Paolo sowie in das Landesinnere verbreitet. Präsident Jair Bolsonaro verharmloste das Coronavirus als „kleine Grippe“ und wollte keine Maßnahmen zur Eindämmung treffen. Nachdem Gouverneure und Bürgermeister Einschränkungen erlassen hatten, wurden diese vielerorts zuletzt wieder gelockert.

Mann mit Schutzanzug reicht einem Marktverkäufer Desinfektionsmittel
AP/Marco Ugarte
Mexiko-Stadt bereitete sich auf eine begrenzte Wiederöffnung kommende Woche vor – diese wurde nun aber verschoben

Rückwärtsgang in Mexiko-Stadt

In der Hauptstadt von Mexiko, Mexiko-Stadt, wurden geplante Lockerungen der Anti-Coronavirus-Maßnahmen wegen anhaltend hoher Infektionszahlen unterdessen verschoben. Für kommende Woche war in der mexikanischen Hauptstadt die Wiedereröffnung in begrenztem Umfang unter anderem von Einkaufszentren, Restaurants, Hotels und Kirchen vorgesehen gewesen.

Da die Stadt nach dem Ampelsystem der mexikanischen Behörden zur Messung der Ausbreitung des Coronavirus noch immer auf Rot stehe, würden die Öffnungen vorerst nicht geschehen, teilte Bürgermeisterin Claudia Sheinbaum am Freitag mit. „Wir müssen vorsichtig sein“, sagte sie.

20.000 Todesopfer in Mexiko

Mexiko überschritt zudem als siebentes Land der Welt die Marke von 20.000 Todesopfern infolge der Coronavirus-Krise. Nach Angaben der Regierung des nordamerikanischen Landes vom Freitag (Ortszeit) stieg die Anzahl registrierter Todesopfer nach Covid-19-Erkrankung im Vergleich zum Vortag um 647 auf 20.394. Mehr als 170.000 Infektionen mit dem Coronavirus seien inzwischen festgestellt worden.

Mexiko hat innerhalb Lateinamerikas die zweitmeisten Todesopfer und – nach Brasilien, Peru und Chile – die viertmeisten Infektionen zu beklagen. Allerdings werden dort äußerst wenige Menschen auf den Erreger SARS-CoV-2 getestet. Nach Zahlen, die von Forschern der englischen Universität Oxford zusammengetragen wurden, lag die Zahl der täglich durchgeführten Tests in Mexiko zuletzt bei 3,03 pro 1.000 Einwohner.

Costa Rica stoppt Lockerungen

Auch Costa Ricas Regierung stoppte nach Angaben von Gesundheitsminister Daniel Salas bis auf Weiteres die begonnenen Lockerungen der Beschränkungen. Grund sei der Anstieg der Infektionen in den letzten Tagen. So seien alleine in den vergangenen 24 Stunden 119 neue Fälle bestätigt worden – so viele wie noch nie binnen eines Tages.

Insgesamt seien nunmehr 2.058 Ansteckungen und zwölf Tote verzeichnet. Man könne angesichts dieser Zahlen nicht so tun, als ob alles in Ordnung sei, und einfach mit der Wiedereröffnung der Wirtschaft fortfahren, sagte Salas. „Geschäfte und Einkaufszentren, Strände, Kirchen und andere Aktivitäten werden warten müssen, bis wir eine nachhaltige Abnahme der Fälle haben.“ Auch der Spielbetrieb der Fußballliga werde bis auf Weiteres ausgesetzt.

WHO-Chef: Pandemie beschleunigt sich

„Die Pandemie beschleunigt sich“, sagte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, am Freitag in Genf. Innerhalb eines Tages seien der WHO mehr als 150.000 neue Infektionen gemeldet worden, so viele wie nie zuvor. Fast die Hälfte seien aus Nord-, Mittel- und Südamerika gemeldet worden, aber größere Zahlen seien auch aus Südasien und dem Nahen Osten gekommen.

„Die Welt ist in einer neuen und gefährlichen Phase“, sagte Tedros. „Viele Menschen haben verständlicherweise die Nase voll davon, zu Hause zu sein. Länder wollen verständlicherweise Wirtschaft und Gesellschaftsleben wieder öffnen. Aber das Virus verbreitet sich schnell, es ist immer noch tödlich, und die meisten Menschen können sich immer noch infizieren.“

Tedros beschwor alle Menschen, weiter Distanz zu halten und die Hände häufig zu waschen sowie andere Hygienemaßnahmen umzusetzen. Alle Infektionen müssten aufgespürt und Betroffene isoliert werden.

Neue Reisewarnungen verhängt

Das Außenministerium verhängte unterdessen am Samstag wegen der Ausbreitung des Coronavirus Reisewarnungen für Ägypten, Bangladesch und Chile. Für alle drei Länder wird der Reisehinweis von der bisherigen Sicherheitsstufe vier (hohes Sicherheitsrisiko) auf Stufe sechs (Reisewarnung) erhöht, wie das Außenministerium mitteilte. Grund für die Maßnahme sind die steigenden Infektionszahlen in den drei Ländern.

In Chile würden die Infektionsraten derzeit sehr rasch und stark steigen, die Krankenhäuser seien völlig überlastet, hieß es. Über den Großraum Santiago, wo 72 Prozent der Infektionen festgestellt wurden, wurde deshalb bereits eine Quarantäne verhängt. Bangladesch ist laut Außenministerium derzeit neben Indien der zweite Hotspot Südasiens. Trotz des wochenlangen „Lock-down“ hätten sich die Zahlen der Neuinfektionen seit März nicht verringert, seit der Öffnung des Landes aus wirtschaftlichen Gründen am 30. Mai sei ein noch steilerer Anstieg der Infektionskurve zu verzeichnen.

Damit gelten derzeit wegen der Pandemie Reisewarnungen für insgesamt 24 Länder. Neben den drei neu hinzugekommenen Ländern wird weiterhin von Reisen nach Weißrussland, Brasilien, Ecuador, Großbritannien, Indien, Indonesien, Iran, Mexiko, Nigeria, Pakistan, Peru, auf die Philippinen, nach Portugal, Russland, Schweden, Senegal, Spanien, Südafrika, in die Türkei, Ukraine und USA gewarnt. Zu dem gilt weiterhin eine partielle Reisewarnung für die norditalienische Region Lombardei sowie die chinesische Provinz Hubei.