Leere Strandkörbe in Zinnowitz, Mecklenburg-Vorpommern
picturedesk.com/dpa/Jörg Carstensen
Coronavirus-Cluster bei Tönnies

Touristen aus Gütersloh nicht willkommen

Nach dem Coronavirus-Ausbruch in einem Werk des deutschen Fleischkonzerns Tönnies in Nordrhein-Westfalen (NRW) ist ein strenger „Lock-down“ für die Kreise Gütersloh und Warendorf verhängt worden. Ausreisen ist zwar nach wie vor möglich, allerdings sprachen die ersten deutschen Bundesländer bereits ein Beherbergungsverbot für Touristen und Touristinnen aus den betroffenen Gebieten aus. Auch Österreich reagierte.

Österreich erließ eine partielle Reisewarnung für Nordrhein-Westfalen. Für das westdeutsche Bundesland gelte eine partielle Reisewarnung der Stufe fünf, teilte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Mittwoch in Wien mit. Die Skala des österreichischen Außenministeriums reicht von eins („guter Sicherheitsstandard“) bis sechs („Reisewarnung“ für ein ganzes Land). Auch Flugzeuge aus NRW dürften laut Gesundheitsministerium in Österreich nicht mehr landen. Die Kärntner Landesregierung empfiehlt Gästen aus den betroffenen Bezirken, ihren Kärnten-Urlaub zu verschieben – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

Kurz warnte, dass das neuartige Coronavirus „nicht verschwunden“ sei und die Menschen „wachsam“ bleiben müssten. Schließlich zeige der Fall Tönnies im Nachbarland, „wie schnell es zu weiteren dramatischen Situationen kommen kann“.

Mitarbeiter des Fleischlieferanten „Tönnies“ lehnen während der verordneten Heimquarantäne aus ihren Fenstern
AP/Martin Meissner
In Gütersloh und Warendorf wurden erneut deutliche Einschränkungen des öffentlichen Lebens verhängt

Seehofer will Entschärfung der Reisewarnung

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) kritisierte die Entscheidung der österreichischen Regierung. Bei einem Treffen in Berlin bat Seehofer am Mittwoch seinen österreichischen Kollegen Karl Nehammer (ÖVP), die Entscheidung zu überdenken. Er schlug vor, solche Reisewarnungen nicht pauschal für ganze Bundesländer auszusprechen, sondern auf „regionale Hotspots“ zu beschränken. Nehammer sagte, mit der Reisewarnung habe seine Regierung auf die „dramatischen Ereignisse“ um den Fleischbetrieb Tönnies reagiert.

Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet kritisierte Österreich zumindest indirekt: „Als in Ischgl mal etwas passiert ist, haben wir nicht eine Reisewarnung für ganz Österreich ausgesprochen“, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch bei „Bild live“. „Ich glaube nicht, dass Gütersloh schlimmer ist als Ischgl.“

Bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück im Bezirk Gütersloh hatten die Behörden in der vergangenen Woche einen enormen Coronavirus-Ausbruch registriert. In den Bezirken Gütersloh und Warendorf gelten daher unter anderem wieder strenge Kontaktbeschränkungen.

„Sinnvoll und absolut richtig“

Das Verhängen der Quarantäne über die Kreise war dort vermutlich „alternativlos“, sagte Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl. In Deutschland müsse nun alles darangesetzt werden, damit der lokale Ausbruch nicht größere Landesteile erfasst, so die Wissenschaftlerin vom Zentrum für Virologie der MedUni Wien. Dass Österreich nun eine Reisewarnung für Nordrhein-Westfalen ausgab, sei „sinnvoll und absolut richtig“.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zufolge wurden laut aktuellen Zahlen bei Tönnies 6.139 Beschäftigte getestet, 1.413 waren positiv, ebenso wie weitere 353 Menschen im Umfeld dieser Beschäftigten. Allerdings könne es Doppelzählungen gegeben haben. In Gütersloh laufen derzeit großangelegte Massentests, um die Verbreitung des Virus in der Bevölkerung abschätzen zu können. Die ersten 300 Tests fielen bisher negativ aus.

Laschet: „Lock-down“ bedeutet kein Ausreiseverbot

Der „Lock-down“ bedeute allerdings kein Ausreiseverbot, sagte Laschet. Am 29. Juni beginnen in dem bevölkerungsreichen Bundesland die Sommerferien. Laschets Aussagen blieben aber unscharf. Man dürfe auf Urlaub fahren, zugleich appellierte er an die Bewohner und Bewohnerinnen von Gütersloh, „jetzt nicht aus dem Kreis heraus in andere Kreise zu fahren“: „Das wird auch kontrolliert werden.“ Gleichzeitig betonte er, dass Menschen aus Gütersloh nicht stigmatisiert und unter Pauschalverdacht gestellt werden dürften.

Grafik zu Tönnies
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

„Geht nicht um Diskriminierung“

Neben Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern sprach auch schon Niedersachsen am Mittwoch ein Beherbergungsverbot für Touristen und Touristinnen aus der Region aus. Eine entsprechende Regelung werde der Regierung zufolge gerade erarbeitet. Noch nicht entschieden ist, ob sie generell für Regionen in Deutschland mit einer erhöhten Zahl von Coronavirus-Neufinfektionen gelten soll.

„Es geht uns nicht um Diskriminierung oder Ausgrenzung von Menschen aus Nordrhein-Westfalen“, sagte Regierungssprecherin Anke Pörksen. Es gehe nicht darum, Menschen aus Nordrhein-Westfalen abzuweisen. „Wir versuchen angemessen zu reagieren auf die sich da abzeichnende Gefährdung.“ Es gehe darum, möglichst punktuell zu reagieren und den Wirtschaftsbetrieb in Niedersachsen zu schützen.

Einreise nur noch unter strengen Auflagen

Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein wollen Menschen aus Coronavirus-Risikogebieten nur noch unter strengen Auflagen einreisen lassen. In Schleswig-Holstein sollen sie sich künftig nach der Einreise zwei Wochen in Quarantäne begeben. Auf der Insel Usedom waren Urlauber aus dem Kreis Gütersloh schon am Montag aufgefordert worden, Mecklenburg-Vorpommern wieder zu verlassen.

Orsteinfahrt zu Gütersloh
Reuters/Leon Kuegeler
Über Gütersloh wurde zwar ein „Lock-down“ verhängt, Ausreisen sind jedoch weiterhin gestattet

Hotels und Pensionen in Bayern dürfen künftig keine Gäste mehr aufnehmen, die aus einem Bezirk einreisen, in dem die Zahl der Neuinfektionen in den zurückliegenden sieben Tagen bei mehr als 50 pro 100.000 Einwohner lag. Eine Ausnahme gibt es nur für Menschen, die einen aktuellen negativen Coronavirus-Test vorweisen können. Laschet erwarte diese Ausnahmeregelung auch von den anderen Bundesländern – negativ getestete Urlauber aus Gütersloh und Warendorf sollten willkommen geheißen werden, so der Ministerpräsident.

Einheitliche Regeln gefordert

Der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern forderte eine bundeseinheitliche Regelung zum Umgang mit Touristen aus Coronavirus-Hotspots. Geschäftsführer Tobias Woitendorf kritisierte am Mittwoch, dass die Gesundheitsminister wohl erneut keine gemeinsame Regelung gefunden hätten. Woitendorf sagte, dass solche Regeln nur durchsetzbar, nachvollziehbar und transparent seien, wenn sie bundesweit einheitlich seien. „Dann schafft man Klarheit und entlastet die Gastgeber.“

Nordsee-Kommunen prüfen Aufenthaltsverbot

Unterdessen prüfen auch mehrere Kommunen an der niedersächsischen Nordsee-Küste zeitlich begrenzte Aufenthaltsverbote für Urlauber aus den beiden nordrhein-westfälischen Bezirken. „Wir sind jetzt in der Konsultationsphase mit Kollegen“, sagte der Landrat des Kreises Friesland, Sven Ambrosy, am Mittwoch.

Man müsse kurz vor Beginn der Sommerferien dringend eine Lösung dafür finden, wie sich Infektionsrisiken senken ließen, wenn Menschen aus Gebieten mit lokalen Coronavirus-Sperrmaßnahmen weiterhin reisen dürften. Der Landrat kritisierte das Land NRW: Es sei unverständlich, örtlich die Beschränkungen zu verschärfen, aber Bewohner weiter reisen zu lassen.