WHO-Europa-Chef Kluge: Glückwunsch an Österreich

Weltweit bisher rund zehn Millionen bestätigte SARS-CoV-2-Infektionen und etwa 500.000 Todesfälle sind die aktuelle Bilanz der Pandemie. „Das Virus kann uns alle treffen. Am meisten aber leiden die Ärmsten und die Alten“, sagte jetzt WHO-Europa-Regionaldirektor Hans Kluge im Gespräch mit der APA. „Glückwunsch an Österreich. Österreich und Länder wie Deutschland haben einen guten Job gemacht.“

Nach SARS, der Influenza-Pandemie („Schweinegrippe“) der Jahre 2009/2010 und anderen Ausbrüchen von Viruserkrankungen in den vergangenen Jahren inklusive der Ebola-Epidemien in Afrika mit verschleppten Fällen stellt sich die Frage, wie die Welt in eine Situation wie jene rund um SARS-CoV-2 kommen konnte. Kluge war langjährig als Arzt tätig und ist seit Anfang Februar WHO-Regionaldirektor für Europa. Sitz des WHO-Regionalbüros für Europa ist Kopenhagen.

„Wir waren mit SARS, MERS und der Influenza-Pandemie gewarnt. Aber unser Gedächtnis ist, was schlechte Nachrichten betrifft, schwach. Was wir wirklich unterschätzt haben, das sind die Schnelligkeit, mit der sich SARS-CoV-2 ausbreitet und das Ausmaß an Verwüstung, die es anrichtet.“

Krankenhäuser schützen

„Jeder Mensch, der jetzt SARS-CoV-2 zum Opfer fällt, ist eine Tragödie“, erklärte Kluge. Es ließe sich aber bereits sagen: „In Ländern, wo es eine gute medizinische Primärversorgung gibt und wo man es geschafft hat, die Spitäler zu schützen, konnte man Covid-19 besser managen. Denn Krankenhäuser sind oft ein Multiplikationsfaktor für Seuchen.“

Das Gleiche gelte für Altersheime und ähnliche Einrichtungen. „Am Anfang waren es die Jungen, die Ski fahren waren und sich ansteckten. Aber gelitten haben dann besonders die alten Menschen, die infiziert wurden.“

WHO sieht keine zweite Welle in Österreich

Die Situation sei in Ländern wie Deutschland oder Österreich derzeit recht stabil, betonte der gebürtige Belgier: „Wir sehen hier keine ‚zweite Welle‘. Das sind am ehesten ‚Zacken‘. Aber die Biologie des Virus hat sich nicht geändert. Es wurde nur durch die verschiedenen Maßnahmen zurückgedrängt.“

Man müsse aber besonders mit dem Herbst 2020 sehr aufmerksam sein und im Zweifelsfall schnell reagieren. „Was passiert, wenn dann eine Mutter mit zwei Kindern mit ‚Husten, Schnupfen, Heiserkeit‘, womöglich Influenza oder vielleicht gar SARS-CoV-2 in eine Arztpraxis kommt? Wir arbeiten an einem Algorithmus, um hier Handlungsanleitungen parat zu haben“, sagte Kluge.

Schutzmasken und Schutzkleidung benötigt

Oberstes Gebot laut dem WHO-Europa-Regionaldirektor: „Wir müssen alle jetzt schon verfügbaren Impfstoffe vermehrt anwenden.“ Die Produktionskapazitäten für Influenza-Vakzine sollten erhöht werden. „Wir brauchen für die Zukunft auch Lager für ausreichend viele Schutzmasken und Schutzkleidung. Hier müssen strategische Vorräte angelegt werden.“ Man befinde sich seit dem Beginn von SARS-CoV-2 in einem ständigen Lernprozess.

Kluge: „Wissenschaft ist ein evolutionärer Prozess. Wir schreiten Schritt für Schritt voran. Das war beispielsweise so mit Hydroxychloroquin. Wir lernen.“ Das sei auch so bei den Schutzmasken gewesen. Auch die WHO unterliege in der aktuellen Situation einem ständigen Lernprozess. Erkenntnisse würden geprüft, dann angenommen oder wieder verworfen.

Auch Impfstoff „wird nicht Wundermittel sein“

Derzeit gebe es jedenfalls kein Patentrezept gegen SARS-CoV-2, dessen Verbreitung oder die Covid-19-Erkrankung. Der WHO-Europa-Regionaldirektor: „Auch ein SARS-CoV-2-Impfstoff wird nicht das Wundermittel (‚Magic Bullet‘; Anm.) sein. Aber wir von der WHO arbeiten daran, dass die Menschen, welche die Vakzine benötigen, sie möglichst gerecht verteilt auch bekommen.“

Gerade in diesem Punkt sei die Organisation gefordert und gleichzeitig der beste Rahmen für ein gemeinsames Vorgehen der Länder der Welt. Mit einem wirksamen und breit anwendbaren Impfstoff sei am ehesten in etwa einem Jahr zu rechnen.