Giftiges Abwasser der Firma Nornickel wird in die Natur geleitet
AP/Elena Kostyuchenko, Novaya Gazeta/Elena Kostyuchenko
Giftmüll in Fluss entsorgt

Nächster Umweltskandal in Sibirien

In der russischen Tundra hat der Nickelproduzent Nornickel nach der Umweltkatastrophe im Mai mit 21.000 Tonnen ausgelaufenem Öl laut Medienberichten hochgiftige Flüssigabfälle in Flüsse und Seen entsorgt. Die regierungskritische Zeitung „Nowaja Gaseta“ veröffentlichte am Sonntag Videos von den mit Schwermetallen und Säure belasteten Ableitungen. Der Konzern hatte nach dem ersten Skandal vor rund einem Monat eigentlich Besserung versprochen.

Die giftigen Chemikalien wurden in einen Fluss geleitet, der in den einzigartigen Süßwassersee Pjassino mündet. Die Staatsanwaltschaft der Region Krasnojarsk leitete Ermittlungen wegen des illegalen Entsorgens giftiger flüssiger Abfälle ein. Das Unternehmen Nornickel räumte einer Mitteilung zufolge Fehler ein. Die Abwasserentsorgung sei gestoppt, die Verantwortlichen von ihren Posten entfernt worden, hieß es.

„Das ist ein Verbrechen gegen die Natur und gegen unsere Kinder“, sagte der frühere Mitarbeiter der örtlichen Umweltschutzbehörde, Wassili Rjabkin. Er hatte den neuen Skandal gemeinsam mit Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace und mit der Zeitung öffentlich gemacht.

Nornickel behindert offenbar Aufklärung

Die Gewässer in der Nähe des Nordpolarmeeres sind schon durch die Ölkatastrophe von Ende Mai belastet, als 21.000 Tonnen Öl ausflossen. Dort war in einem Heizkraftwerk in der Nähe der Stadt Norilsk ein riesiger Tank offenbar durch den auftauenden Permafrostboden abgesackt und gebrochen. Experten sprachen von der größten Ölkatastrophe in der russischen Arktis.

Nach Mitteilung von Greenpeace wollten Naturschützer und der Oppositionspolitiker Sergej Mitrochin Bodenproben am Wochenende mit nach Moskau nehmen. Sie wurden aber auf dem Flughafen, der ebenfalls Nornickel gehört, gestoppt und daran gehindert, die Proben zu transportieren. Es werde alles unternommen, um die Aufklärung der Katastrophe zu behindern, kritisierte Greenpeace.

Kran entfehrt Abwasserohr der Firma Nornickel
AP/Elena Kostyuchenko, Novaya Gazeta/Elena Kostyuchenko
Mit einem Bagger wird eine Pipeline abgebaut

Die „Nowaja Gaseta“ veröffentlichte zudem ein Foto davon, wie eine Planiermaschine bei einem Unfall ein Polizeiauto zerdrückte. Es habe sich nicht um Absicht gehandelt, hieß es. Das Fahrzeug stand dort, nachdem besorgte Bürger die Polizei, den Zivilschutz, die Umweltaufsicht und die Staatsanwaltschaft wegen des neuen Umweltskandals alarmiert hatten.

Vergleich mit „Exxon Valdez“ 1989

Hunderte Einsatzkräfte haben zwar schon tonnenweise verseuchten Boden abgetragen und auch von der Wasseroberfläche Öl abgeschöpft. Es werde aber mindestens zehn Jahre dauern, bis sich das Ökosystem hier wieder erholt hat, wie die Vizeministerin für Naturressourcen und Umwelt, Jelena Panowa, sagte. Die Sommer sind dort kurz. Deshalb hat die Natur nur wenig Zeit, sich zu regenerieren.

Vor allem für den Abbau von Ölprodukten wichtige Bakterien gibt es in der Region wegen der langen Winter kaum. Die giftigen Dieselbestandteile haben sich mittlerweile aus dem Kraftstoff herausgelöst und belasten Wasser und Fische. Der Fisch ist eine wichtige Nahrungsquelle der indigenen Völker im Norden Sibiriens. Experten verglichen das Unglück mit der Ölpest, die der Supertanker „Exxon Valdez“ 1989 vor Alaska verursachte. Damals traten 36.000 Tonnen Öl aus.

Satellitenaufnahme der Umweltkatastrophe in Sibirien
AP/European Space Agency
Ein Satellitenbild zeigt das Ausmaß der Verschmutzung durch Öl (in Rot)

Putin erzürnt

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte sich Anfang Juni erzürnt gezeigt, als er das Ausmaß mitbekam. Es könne nicht sein, dass über Soziale Netzwerke zuerst Bilder und Informationen ins Internet kämen, aber die Behörden nicht Alarm schlügen. Die Industriestadt Norilsk hat 175.000 Einwohner – und durch den Nickelabbau schon jetzt große Umweltprobleme. Bei einer im Fernsehen übertragenen Videokonferenz verhängte Putin den Ausnahmezustand. Er nahm auch Nornickel-Chef Wladimir Potanin in die Pflicht, für die Schäden aufzukommen. Potanin, der als einer der reichsten Männer Russlands gilt, gab seine Zusage: „Egal, was es kostet, wir zahlen das“, sicherte Potanin im Gespräch Putin zu.

Werksmanager in Haft

Offenbar sackte die riesige Zisterne mit dem Dieselöl ab, weil der Permafrostboden durch die Erderhitzung taut und damit seine Festigkeit als Baugrund verliert. „Solche Dinge sind schwer vorherzusagen“, behauptete der Unternehmer. Dabei ist das Problem gar nicht neu. Wissenschaftler und Klimaschützer weisen seit Langem auf die Gefahren tauender Dauerfrostböden in Sibirien hin. Vier Topmanager des Kraftwerks sitzen mittlerweile in Untersuchungshaft. Sie hätten das Werk weiterbetrieben, obwohl sie nicht alle Sicherheitsvorkehrungen eingehalten haben sollen, hieß es von Ermittlern.

Öltanks der Firma Nornickel in Sibirien
APA/AFP/Irina Yarinskaya
Aufräumarbeiten nahe den Öltanks

Behördenleiterin flog auf Einladung des Unternehmens

Immer wieder kommt es in Russland zu folgenreichen Katastrophen, weil Sicherheitsvorkehrungen missachtet werden, Schlamperei im Spiel ist oder Genehmigungen gegen Schmiergeld ausgestellt werden. Auch dieser Fall zeigt, wie Politik und Geschäftsinteressen verwoben sind: Der prominente Oppositionelle Alexej Nawalni kritisierte, dass sich die Leiterin der obersten Naturschutzbehörde, Swetlana Radionowa, in einem Flugzeug Potanins in die Region fliegen ließ. Er fragte, wie die Behördenchefin die Umweltverschmutzung unabhängig aufklären könne, wenn sie sich von jenem Mann, der die Hauptverantwortung trage, einladen lassen.