Das Braunkohlekraftwerk Neurath in Deutschland
Reuters/Wolfgang Rattay
Bis spätestens 2038

Deutschlands teurer Abschied von der Kohle

„Wenig Klimaschutz zu sehr hohen Kosten“: So hat Energieforscherin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zusammengefasst, was Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein Gesetz nannte, das „rechtssicher, wirtschaftlich vernünftig, sozial ausgewogen“ sei. Deutschland hat den Kohleausstieg bis spätestens 2038 beschlossen.

Die Kohlekonzerne hätten mit der Bundesregierung „offenbar sehr gut verhandelt“, sagte Expertin Kemfert dem Bayerischen Rundfunk Anfang Juli. „Für die Kohlekonzerne lohnt sich das Ganze wirklich sehr stark.“ Viele Kohlekraftwerke seien nicht profitabel und erneuerbare Energien in der Herstellung schon jetzt billiger als Kohlestrom. Die vereinbarten hohen Entschädigungszahlungen für die Kohlekonzerne – mehr als vier Milliarden Euro – seien deshalb „viel zu hoch“. Heftige Kritik setzte es auch von Umweltverbänden und der Opposition im Bundestag.

„Wir haben eine gute Balance gefunden“, sagte dagegen Altmaier. Das Vorhaben sei ein „Generationenprojekt“, Deutschland das einzige Industrieland, das nach der Atomenergie auch aus der Kohle aussteige. Mit der schrittweisen Abkehr von Braun- und Steinkohle will die Regierung ihre selbstgesteckten Ziele im Kampf gegen die Erderhitzung einhalten.

Über ein Viertel des deutschen Stroms aus Kohle

Der Energiesektor mit seinen rund hundert Kohlekraftwerken ist in Deutschland immer noch für fast ein Drittel des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Wegen steigender Emissionspreise ist der Kohleanteil aber schon deutlich gesunken. Im vergangenen Jahr stammten noch 18,8 Prozent des in Deutschland erzeugten Stroms aus heimischer Braunkohle und 9,4 Prozent aus importierter Steinkohle.

Demonstration vor dem Bundeskanzleramt in Berlin
APA/AFP/Tobias Schwarz
Umweltschützern geht der Ausstieg viel zu langsam, wie sie vor dem Bundestag kundtaten

Bis spätestens Ende 2038 soll nun das letzte Kraftwerk vom Netz gehen. In den Jahren 2026, 2029 und 2032 wird jeweils Mitte August überprüft, ob der Fahrplan für die Zeit nach 2030 um drei Jahre vorgezogen werden kann, also ein Ausstieg womöglich auch bis Ende 2035 möglich ist. Wie zuvor der Atomausstieg war der Kohleausstieg zwischen Umweltbewegung, Industrie und Gewerkschaften von Anfang an heiß umstritten. Um einen größtmöglichen Konsens zu erreichen, hatte die Regierung eine Kommission mit Vertretern von Industrie, Gewerkschaften und auch Umweltverbänden einberufen. Anfang 2019 erzielte sie einen Kompromiss.

Letztes Kraftwerk eben erst eröffnet

Anders als von der Kohlekommission gewünscht ging in Deutschland in diesem Sommer doch noch ein neues Kraftwerk ans Netz. Der Bau der Anlage in Datteln hatte sich um viele Jahre verzögert. Als die Kommission tagte, wurde es gerade fertiggestellt. Da der genehmigte Steinkohlemeiler vergleichsweise wenig CO2 ausstößt und hohe Entschädigungen hätten gezahlt werden müssen, konnte er den Betrieb trotz heftiger Proteste aufnehmen.

Das Kohlekraftwerk Datteln 4
APA/AFP/Fabian Strauch
Datteln 4 ging erst Ende Mai in Betrieb

Grundsätzlich gibt es bei der Abschaltung von Steinkohlekraftwerken künftig ein Ausschreibungsverfahren, das die Betreiber zur Abschaltung von Anlagen aus eigenem Antrieb bewegen soll – vor allem solcher Anlagen, deren Abschaltung die größte CO2-Einsparung bei gleichzeitig geringster Stilllegungskosten bedeutet. Dafür erhalten die Betreiber Kompensationen, deren Höhe mit den Jahren absinkt. Wenn sich bis Ende 2026 zu wenige Betreiber auf die Ausschreibungen bewerben, werden Steinkohlekraftwerke ordnungsrechtlich stillgelegt. Das heißt, die Bundesnetzagentur ordnet dann Abschaltungen an, Kompensationen gibt es nicht mehr.

„Goldener Handschlag für Kohleindustrie“

Die Braunkohlekraftwerksbetreiber sollen mit 4,35 Milliarden Euro vom Bund für die Stilllegung ihrer Anlagen entschädigt werden. Davon betreffen 2,6 Milliarden Euro Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen und den Betreiber RWE, die ostdeutsche LEAG soll rund 1,75 Milliarden Euro für ihre Anlagen erhalten. Klimaschutzaktivisten kritisieren hierbei, dass sich die Betreiber veraltete Braunkohlemeiler „vergolden“ lassen könnten.

Mit ihrer Kritik sind sie nicht allein. In einem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung“ hieß es am Freitag: „Die Kohleindustrie wird mit einem goldenen Handschlag verabschiedet, gerade in dem Moment, da sie das Renteneintrittsalter erreicht. Das kehrt das Verursacherprinzip auf obszöne Weise um: Die Konzerne, die jahrzehntelang auf Kosten des Klimas und der Gesundheit der Menschen Profite machen durften, auf Kosten nachfolgender Generationen, werden dafür rückwirkend nun auch noch entlohnt.“

Sitzung des Deutschen Bundestages zum Kohleausstieg
APA/dpa/Bernd von Jutrczenka
Bundestag und Bundesrat beschlossen Hilfen für Kohleregionen sowie Entschädigungen für Betreiber von über 50 Mrd. Euro

40 Milliarden Euro Strukturhilfen

Weitere zentrale Frage beim Ringen um den Kohlekompromiss war, wie sich die Folgen für die betroffenen Reviere abfedern und dort neue Perspektiven für die oft strukturschwachen Regionen schaffen lassen. Im Gegenzug für den Wegfall der Arbeitsplätze erhalten die betroffenen Länder Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt Hilfen von insgesamt bis zu 40 Milliarden Euro. 14 Milliarden Euro gibt es als direkte Finanzhilfen; in umfangreichen Anhängen sind zahlreiche weitere Projekte von Bahntrassen über neue Forschungseinrichtungen und die Ansiedlung von Bundesbehörden im Volumen von bis zu 26 Milliarden Euro aufgelistet.

Wenig verwunderlich zeigten sich die betroffenen Bundesländer zufrieden mit dem Kompromiss. „Das ist ein guter Tag für den Strukturwandel“, sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) verwies auf den parallelen Ausstieg aus der Kohle- und Atomenergie. „Das macht kein Industrieland auf der ganzen Welt.“

Auch die Industrie lobte trotz früher Vorbehalte das Gesetz. Holger Lösch, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), sagte: „Nun geht es darum, neben dem Zubau von Gaskraftwerken ein besonderes Augenmerk auf den forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien zu legen.“ Basis für den Kohleausstieg ist, dass 2030 mindestens 65 Prozent des Stromverbrauchs aus Wind-, Wasser- oder Sonnenenergie stammen.