Ärztin mit einer Spritze vor einer Patientin
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Coronavirus-Impfstoff

Wettlauf der Pharmafirmen um Testpersonen

Pharmafirmen weltweit befinden sich derzeit in einem Wettlauf, um möglichst rasch einen Impfstoff gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 auf den Markt zu bringen. Vor einer Zulassung müssen Impfstoffe – und auch Medikamente – aber an Zehntausenden Personen auf ihre Wirksamkeit und ihre Verträglichkeit geprüft werden. Nun greifen die Impfstoffentwickler auch zu ungewöhnlichen Methoden, um genügend Testpersonen zu bekommen.

Bereits vor Wochen war immer wieder spekuliert worden, dass das Zulassungsverfahren – insbesondere die teuren und zeitintensiven mehrstufigen klinischen Tests – verkürzt werden könnte. In den USA wurde das auch explizit in Aussicht gestellt. Trotzdem: Nötig sind jedenfalls Tests an Zehntausenden gesunden Personen, die nachweisen, dass der Impfstoff vor einer Covid-19-Erkrankung schützt und zugleich sicher ist.

So viele Testpersonen für zahlreiche Studien praktisch gleichzeitig zu finden sei eine „echte Herausforderung, die einen Wettbewerb zwischen den verschiedenen Entwicklern erzeugt“, so das „Wall Street Journal“. Ein ähnliches Problem stellt sich im Bereich der Entwicklung von Medikamenten zur Heilung an Covid-19 Erkrankter. Aktuell sucht das Wiener Unternehmen Apeiron 200 Covid-19-Patienten.

Ungewöhnliche Rekrutierungsmethoden

Da ein Impfstoff so dringend benötigt wird, würden die Unternehmen in den USA mittlerweile zu ungewöhnlichen Methoden greifen, um Versuchspersonen zu rekrutieren: So werden Leute in Apotheken und Kirchen angesprochen. Sogar Mitarbeiter werden gebeten, in ihrem privaten Umfeld Freiwillige zu werben. Außerdem werde gezielt in Regionen gesucht, die von der Pandemie besonders getroffen sind.

„Wir müssen nicht nur die nötige Zahl an Freiwilligen finden, sondern sie müssen auch in einer Gegend leben, in der sich das Virus gerade ausbreitet, sonst lernt man nichts über die Effektivität des Impfstoffs“, so der Leiter der US-amerikanischen National Institutes of Health, Francis Collins, gegenüber dem „WSJ“.

Das sei eine riesige Aufgabe. Ein wirksamer Impfstoff gilt als wichtigstes Instrument, um die globale Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Dutzende mögliche Impfstoffe werden parallel entwickelt, um die Wahrscheinlichkeit, rasch ein wirksames Serum zu finden, zu erhöhen.

Phase-drei-Studien entscheidend

Mehrere mögliche Wirkstoffe haben bei ersten, kleinen Tests vielversprechende Ergebnisse gebracht. Doch die Entwicklung und Zulassung durchläuft viele Stufen. Im Zentrum steht, wie das US-Zentrum für Seuchenkontrolle (CDC) auf seiner Website erklärt, die klinische Entwicklung. Diese umfasst Studien mit Tests in drei Phasen. Entscheidend sind dabei die klinischen Tests der Phase drei. Sie sind breit angelegt, mit Zehntausenden Testpersonen, um die Wirksamkeit und Verträglichkeit zu untersuchen.

Normalerweise werden Freiwillige für klinische Tests neuer Wirkstoffe durch Werbeeinschaltungen und in Arztpraxen rekrutiert. Solche Studien dauern aber in der Regel mehrere Jahre. Die Entwicklung eines Impfstoffs kann mehr als ein Jahrzehnt dauern.

Mehrere Phase-drei-Studien werden laut „WSJ“ in den nächsten Wochen beginnen. Die US-Regierung wird im Sommer Studien mit je 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern für drei Impfstoffe finanzieren: von Moderna, von der Oxford-Universität gemeinsam mit AstraZeneca und von Johnson & Johnson. Auch Pfizer und BioNTech wollen noch im Juli einen eigenen klinischen Test mit 30.000 Probanden beginnen.

Vulnerable müssen in Test vertreten sein

Das Zentrum für Kindermedizin in Cincinnati, das sich an der Oxford-Studie beteiligt, kontaktierte laut „WSJ“ Personen, die bereits an anderen Medikamentenstudien teilgenommen hatten. Außerdem appellierte die Spitalsleitung an die rund 16.000 Angestellten, in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis Freiwillige zu werben.

Dazu kommt, dass die Versuchspersonenreihe ausreichend Ältere, Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und Personen mit einem erhöhten Infektionsrisiko beinhalten muss. Das Spital in Cincinnati kontaktierte daher etwa lokale Vereine, Kirchen und Pensionistensiedlungen.

Das Pharmaunternehmen Sanofi, das im September mit einer Testreihe für einen Impfstoff beginnen will, versucht mathematisch die Zentren der Pandemie in diesem Zeitraum zu eruieren und dort Freiwillige zu rekrutieren. Für Modernas Impfstoffkandidaten rekrutiert eine Firma Freiwillige an Universitäten, Schlachthöfen und an anderen Orten, wo sich rasch ein Infektionsherd bilden könnte.

Große Vorsicht bei Durchführung nötig

Nach dem Start der Studie werden die Freiwilligen und das medizinische Personal, das mit ihnen Kontakt hat, Schutzausrüstung tragen müssen. Möglicherweise müssen die Studienteilnehmer selbst bei sich die Abstriche nehmen und dann per Kurier ins Labor schicken, um Ansteckungen zu vermeiden.

Aktuell vier Impfstoffe in Phase drei

Laut einem Überblick der „New York Times“ sind derzeit 125 Impfstoffe in Entwicklung. 15 davon befinden sich aktuell in Phase eins der klinischen Tests, zehn in Phase zwei und vier in Phase drei. Ein Impfstoff in China wurde bewilligt – allerdings ist auch diese chinesische Zulassung beschränkt. Der Impfstoff von CanSino Biologics darf derzeit nur im Militär eingesetzt werden.

Globale Investition – und Spekulation

Wie nie zuvor wird die Entwicklung von Regierungen vorangetrieben. Weltweit unterstützen die Regierungen mit Milliardenbeträgen Forschung und Entwicklung von CoV-Impfstoffen. In Europa koordiniert die EU mit einem eigenen Programm die Entwicklung und den Aufkauf möglicher Impfstoffe. Die US-Regierung kündigte ihrerseits am Dienstag an, im Rahmen des von US-Präsident Donald Trump „Operation Warp Speed“ genannten Programms das Biotech-Unternehmen Novavax mit 1,6 Mrd. Dollar (1,4 Mrd. Euro) zu unterstützen.

Damit sollen Tests mit dem potenziellen Impfstoff sowie dessen Herstellung und Vermarktung in den USA finanziert werden. Ziel laut Novavax ist es, bis Jänner kommenden Jahres 100 Millionen Impfstoffdosen liefern zu können. All diese Pläne sind derzeit freilich eher spekulativ – und es ist völlig offen, welcher Impfstoff oder welche Impfstoffe letztlich als erste die Zulassung erhalten und auf den Markt kommen.