Ein VanMoof-E-Bike
VanMoof/Mounir Raji
E-Mobilität

E-Bike-Boom bei „Styler“-Rädern

Plus 45 Prozent Radverkehr in Wien im Vergleich zum Vorjahr (Mai-Vergleich des Verkehrsclub Österreich, VCÖ) – und mehr als jedes dritte verkaufte Fahrrad ist bereits ein E-Bike. In Zeiten von Klimakrise und Maskenpflicht empfiehlt sogar der Autofahrerclub ÖAMTC im Nahverkehr den Umstieg vom Auto zum E-Lastenrad. Einzelne E-Bike-Kultmarken sind in der öffentlichen Wahrnehmung bereits cooler als jedes Auto – lange Lieferzeiten werden zur Regel.

Wer nur weiß, dass er oder sie ein E-Bike möchte, weiß noch nicht viel. Ohne Beratung und intensive Recherche ist man rasch aufgeschmissen, kauft entweder ein Rad, das völlig überdimensioniert und damit viel zu teuer ist für die eigenen Zwecke, oder im Gegenteil einen „Schwächling“, der einfach den Berg nicht raufkommt, den man täglich überwinden muss auf dem Weg zur Arbeit.

Die wichtigste Frage ist deshalb, welches Bike man braucht. Die Preisunterschiede sind so enorm wie die Unterschiede beim Fahrverhalten und bei der Distanz, die man zurücklegen kann. Es fängt bei knapp 700 Euro an und hört bei rund 5.000 Euro für ein E-Lastenrad noch längst nicht auf. Die Distanzangaben der Hersteller stimmen nur unter Laborbedingungen, man kann getrost ein Drittel abziehen, außer man will mit minimaler Unterstützung nur in der Ebene bzw. bergab fahren.

Elektrofahrrad
ORF.at/Sabine Koder
Für das gelegentliche Pendeln in die Arbeit müssen es nicht immer die „Hingucker“ und „Kraftlackeln“ sein

Der Lässigkeits- und der Lastenfaktor zählen

Die meistverkauften E-Bikes sind Trekking-Räder, die Schweizer Messer unter den motorunterstützten Bikes – da geht alles vom Fahrradurlaub bis zum täglichen Pendeln, von der Schotterpiste bis zur Bundesstraße – zu einem entsprechenden Preis, wenn man Qualität kaufen will (Preise um die 2.000 Euro aufwärts, von minderwertigen Billigstangeboten abgesehen). Daneben gibt es Stadträder für kürzere Strecken in Supermärkten und Möbelhäusern für unter 1.000 Euro, dazu Mountainbikes (durchschnittlicher Preis um die 3.000 Euro) für jene, die „klettern“ wollen mit minimaler Anstrengung.

In aller Munde sind zurzeit aber vor allem zwei Arten von Rädern: erstens „Commuter“-, also Pendlerräder, mit dem speziellen Lässigkeitsfaktor und zweitens Lastenräder. Den Lässigkeitsfaktor können ganz unterschiedliche Eigenschaften ausmachen: ein versteckter Akku und ein kleiner, leiser Motor, wobei das Rad kaum noch als E-Bike zu erkennen ist, oder dicke Ballonreifen samt klobigem Rahmen (es gibt die eigene Kategorie SUV-Bikes analog zum Auto) oder ein Rahmen aus Holz oder Räder in schicker Retrooptik. Der Fantasie sind längst keine Grenzen mehr gesetzt.

Ein VanMoof-E-Bike
VanMoof/Mounir Raji
Die Kulträder von Vanmoof

„Styler“ für die Masse

Als Kult gelten etwa die E-Bikes der niederländischen Fahrradschmiede Vanmoof. In Österreich wartet man momentan mehrere Monate auf die Bestellung, so gefragt sind die minimalistisch anmutenden Räder. Der Akku ist ins Oberrohr integriert, genauso wie der Scheinwerfer vorne. Der Motor ist im Vorderrad eingebaut (nicht gerade ideal fürs Fahrverhalten), größere Steigungen werden schnell einmal zum Problem, aber das ist offenbar zweitrangig, wenn der Look passt. Der Preis von um die 2.000 Euro scheint angemessen.

Auf Social-Media-Plattformen wird für die „Styler“ unter den E-Bikes geworben – und die überregionalen deutschen Feuilletons überschlagen sich vor Begeisterung. Der Umsatz des Unternehmens hat sich alleine von 2017 bis 2019 von zehn auf 40 Millionen Euro vervierfacht, das Unternehmen hat in seinen ersten zehn Jahren bis 2019 120.000 E-Bikes produziert und ist mit Flagship-Stores in Amsterdam, Taipei, Bangkok, New York, San Francisco, London, Paris, Tokio und Berlin präsent. Das nimmt Nike-Ausmaße an.

Faltrad mit Zeug zum Designklassiker

Zu ganz großen Feuilleton-Ehren kam zuletzt auch ein österreichischer Produzent. Gepriesen wird von der „Süddeutschen Zeitung“ das durch sein sehr reduziertes, edles Design auffallende Faltrad Vello Bike+. Falträder sind in der E-Bike-Community ohnehin ein Ding, weil sie maximale Mobilität beim Reisen versprechen, ohne dass die Städtereise zum schweißtreibenden „Fahrradurlaub“ wird. Gefeilt wird von Herstellern stets an den Details.

Ein Vello-E-Bike
VELLO/Stephan Doleschal
Vello Bike+ – großes Lob im Feuilleton

Das Besondere am Vello Bike+ ist etwa das Zusammenspiel zwischen App und Fahrrad. Die Technologie weiß, ob man gerade abwärts, aufwärts oder in der Ebene fährt oder ob man beim Rollen den Rücktritt betätigt. Entsprechend wird Energie produziert (abwärts bzw. Rücktritt), einfach nur auf Muskelkraft umgestellt oder Energie beigesteuert. So kommt man im entsprechenden Modus auf äußerst weite Distanzen, ohne neu aufladen zu müssen. Das mache, sagte zumindest die „Süddeutsche“, das grundsätzlich gewöhnungsbedürftige Fahrverhalten von Falträdern und den Preis (2.590 Euro aufwärts) wett.

Der Lastwagen unter den E-Bikes

Vom Konzept her so ziemlich das Gegenteil sind E-Lastenräder zum Transport von Kindern, Hunden, Wochenendeinkäufen bis hin zu Möbeln. Sie gelten nicht nur als cool, sondern als echte Alternative zum Auto bei kurzen und mittellangen Fahrten. Der ÖAMTC schrieb über den Umstieg im Nahverkehr in einem Artikel samt ausführlichem Erfahrungsbericht als Fazit: „Ja, warum denn nicht?“ Und E-Transporträder werden in Zukunft mit 850 Euro (eine Verdoppelung) gefördert, für Privatpersonen und Betriebe. Der Samariterbund Wien transportiert so etwa mit 26 E-Lastenrädern täglich 800 Portionen Essen auf Rädern.

Dass E-Lastenräder gefördert werden, hat nicht nur den Grund, dass hier vergleichsweise klimaschonend (die Entsorgung der Akkus ist trotzdem ein veritables Umweltproblem) in die heimische Wirtschaft investiert wird, sondern auch den hohen Preis um die 5.000 Euro. Eine Familie mit durchschnittlichem Einkommen wird länger überlegen, ob sie so viel Geld investieren will. Es gibt natürlich günstigere Alternativen: Fahrräder mit Anhänger (Kostenpunkt Anhänger um die 300 Euro), ob mit oder ohne E-Antrieb.

Ein Fatbike
Getty Images/Sergey201982
Auch unter den E-Bikes gibt es gemütliche „SUVs“ – allerdings mit echter Geländegängigkeit

Es muss nicht immer der „SUV“ sein

Denn bei allem Schwärmen der Community für Fahrräder in der Liga ab 4.000 Euro sei gesagt: Es geht günstiger für jene, die nur hin und wieder einen nicht allzu weiten, nicht allzu steilen Weg in die Arbeit fahren wollen, für alle, denen Design nicht so wichtig ist, und für die, die einfach nur einmal im Jahr den Weg im Urlaub von der Pension zum See stress- und anstrengungsfrei bewältigen möchten, wo ein bisschen Ruckeln und Zuckeln des Motors nicht stört.

Es gibt E-Aufrüstsets für normale Fahrräder schon um die 700 Euro inklusive Akku, außerdem auch immer wieder Diskonteraktionen für E-Bikes um circa diesen Preis. Und der Gebrauchtmarkt wächst ständig, wo viele ihre so gut wie neuen E-Bikes stark reduziert verkaufen, weil sie dann doch nie gefahren sind. Um 400 Euro ist man bei qualitativ minderwertigen Gebraucht-E-Bikes dabei – und die kann man leicht in ein, zwei Jahren an Spritkosten einsparen. Es muss auch bei E-Bikes nicht immer der „SUV“ sein. Für Vielfahrer auf anspruchsvollerem Terrain und Style-Aficionados zahlt sich jeder investierte Euro jedoch aus.

Exponentielles Wachstum

Dass so viele Firmen, von der kleinen und schnell wachsenden Fahrradschmiede bis zum Möbeldiskonter, in den E-Bike-Markt einsteigen, ist jedenfalls kein Wunder. Das Wachstum des Marktes ist exponentiell. 2008 wurden in Österreich 8.000 E-Bikes verkauft. 2019 waren es 170.000. Mehr als jedes dritte verkaufte Fahrrad ist ein E-Bike, und das in einem insgesamt wachsenden Segment. Der Fahrradverkehr ist alleine in Wien im Vergleich zum Vorjahr (Mai-Vergleich) um 45 Prozent gestiegen, zu einem guten Teil wegen der Maskenpflicht in „Öffis“, aber nicht zuletzt auch wegen der rasant steigenden E-Bike-Verkäufe.

Der Platz wird knapp

Angesichts der viel zu langsam reagierenden Politik wird in den Straßen Wiens bereits der Platz zu eng. Auf Verkehrsinseln an Kreuzungen kommen nicht mehr alle Radler unter, an einzelnen Fahrradrouten kommt es bereits täglich zu Staus, und noch immer „picken“ die meisten Fahrradstreifen in engen Gassen gegen den Autoverkehr haarscharf an den parkenden Autos, was wegen plötzlich geöffneter Türen akute Lebensgefahr bedeutet.

Die Stimmung auf den Straßen ist mitunter entsprechend aggressiv. Autofahrer kennen allzu oft die Regeln nicht und schimpfen wüst auf Fahrradfahrer, als ob sie sich grundsätzlich durch deren Existenz gestört fühlten – ein klassisches Rückzugsgefecht. Fahrradfahrer wiederum spielen sich Kindern gleich als moralische Sieger auf und prangern in Social-Media-Gruppen, versehen mit peinlich geifernden Kommentaren, jeden Autofahrer samt Foto an, der kurz einen Fahrradstreifen blockiert. Aufseiten der Straßenverkehrsbenutzer wäre Contenance gefragt, aufseiten der Politik eiliges Reagieren auf die neue Situation.