Bild aus dem Buch „Wunderkammern“
Massimo Listri
Wunderkammern

Herrscher und ihre Kuriositätenkabinette

Vor dem Sammeln kommt das Staunen über die Welt und die Dinge, die sie bevölkern. In der Renaissance und im Barock galt es unter Herrschern als schick, sich mit Kuriosem zu umgeben. Diese Sammlungen waren weniger systematisiert als heutige Museen und wurden Wunderkammern genannt. Der Fotograf Massimo Listri legt einen opulenten Bildband zu den schönsten erhaltenen Wunderkammern Europas vor.

Die Ursprünge der Wunderkammer liegen in den Studierzimmern der Herrscher während der italienischen Renaissance. Das „studiolo“ diente dabei als „Aushängeschild der geistigen Ambitionen des Landesfürsten“, der sich dort eingehend „mit historischen, künstlerischen und philosophischen Fragen“ beschäftigte, wie Antonio Paolucci, ehemaliger italienischer Kulturminister und später Direktor der Vatikanischen Museen, in seinem einleitenden Essay schreibt.

So versammelte Francesco de Medici in seinem florentinischen Studierzimmer des 16. Jahrhunderts Bronzefiguren, Malereien, Perlen, Korallen, Muscheln und Bergkristalle ganz selbstverständlich nebeneinander. Alle diese Objekte waren für die Renaissancefürsten genauso Ausdruck der Vielfältigkeit der Schöpfung wie Möglichkeit zur Zurschaustellung der eigenen Macht und des eigenen Reichtums.

„Enzyklopädischer Wissenshunger“

Die Wunderkammern wurden zu den ersten Sammlungen mit Erkenntnisanspruch, mit „enzyklopädischem Wissenshunger“ ging der Wunsch einher, „über die Systematisierung empirischer Dinge zur Erkenntnis der Ordnungsprinzipien der Welt und der Geschichte vorzudringen“, so Paolucci. Angelegt waren diese Vorläufer der Museumsidee als Universalsammlungen, von der Reliquie über Gemälde und archäologische Funde bis hin zu Gesteinen fand sich alles Erdenkliche darin.

Fotostrecke mit 10 Bildern

Bild aus dem Buch „Wunderkammern“
Massimo Listri
Prunkgefäße aus Buchsbaumholz, Bergkristall, Straußenei, Chalcedon und Rhinozeroshorn, zwischen 1570 und 1691 gefertigt, Kunstkammer, Kunsthistorisches Museum Wien
Bild aus dem Buch „Wunderkammern“
Massimo Listri
Deckelpokale aus Elfenbein aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Sie sind Teil der Sammlungen der Medicis und wurden während der Plünderung Coburgs am 28. September 1632 während des Dreißigjährigen Krieges erbeutet. Heute kann man sie im Tesoro dei Granduchi in Florenz bestaunen.
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Figur im Stil des Malers Giuseppe Arcimboldo (1526 – 1593), 17. Jahrhundert, Holz mit Muscheln besetzt, Tesoro dei Granduchi Florenz
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Wachsbüste von Friedrich III. von Dänemark und Norwegen. Sie wurde erst 81 Jahre nach dem Tod des Herrschers 1670 nach einer Totenmaske gefertigt. Rosenborg Slot, Kopenhagen
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Teil der Conchyliensammlung samt kunstvollem Präsentationsschrank in der Kunst- und Naturalienkammer, Frankesche Stiftungen, Halle (Saale)
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Massimo Listri
Detailansicht des naturwissenschaftlichen Kabinetts Clement Lafaille. Die Riesensamen der Seychellenfrucht in der Vitrine rechts wurden als Aphrodisiakum eingesetzt. Cabinet d’histoire naturelle de Clement Lafaile, Museum d’Histoire Naturelle de La Rochelle
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Massimo Listri
Vitrine mit Kaurischnecken (Cypraea), Mineralienkabinett, Stift Seitenstetten
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Massimo Listri
Barockes Kabinett mit Deckenfresko von Johann Bergle und einem Porträt von Dominik Gußmann, gemalt von Martin Johann Schmidt 1760, Mineralienkabinett, Stift Seitenstetten
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Massimo Listri
Aufwendig gestaltete Sanduhren, aus mundgeblasenem Glas, Holz und Elfenbein, 16. – 19. Jahrhundert. Sanduhren galten über lange Zeit als Sinnbild für die Kürze des Lebens. Collection Kugel, Galerie Kugel, Paris
Bild aus dem Buch „Wunderkammern“
Massimo Listri
Schreibkassette mit Allegorie der Philosophie des Nürnberger Künstlers Wenzel Jamnitzer, 1562. Zu sehen im Grünen Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen, Dresden.

Die heute noch existierenden Wunderkammern führen uns zurück in andere Zeiten, hin zur Geburtsstunde der modernen Naturwissenschaften, deren ausgefeilte Klassifizierungen die wilde Zusammenstellung der barocken Sammlungen hintertreibt. Was war das für eine Zeit, in der Caravaggios Medusenhaupt ganz selbstverständlich in der Rüstkammer der Medicis aufgestellt wurde und ausgestopfte Tiere neben Sanduhren gestellt wurden?

Auf den Spuren der Wunderkammern

Buchcover
TASCHEN Verlag
Massimo Listri: Das Buch der Wunderkammern (Englisch, Deutsch, Französisch). Taschen Verlag, 356 Seiten, 100 Euro.

Der 1953 in Florenz geborene Listri ist einer der renommiertesten Kunst- und Architekturfotografen Italiens. In dreißig Jahren hat er mehr als 70 Bände bei den bekanntesten Verlagen in Europa und den USA veröffentlicht. Und er war Mitbegründer des internationalen Kunstmagazins „FMR“.

Für „Das Buch der Wunderkammern“ hat Listri 19 Sammlungen in sieben europäischen Ländern besucht, um sie abzulichten. Neben bekannten Wunderkammern, wie der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums Wien oder dem Grünen Gewölbe der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, hat er auch kleine und abstruse Sammlungen besucht.

Das Skelett mit zwei Wirbelsäulen

Mit seinem grandiosen Gespür für Räume und brillant komponierten Detailaufnahmen führt er die Leserschaft beispielsweise in das Londoner Malplaquet House, wo neben Totenschädeln und Glasperlenketten das Riesenei eines Moas, einer Vogelart ohne Flügel aus Neuseeland, die um 1600 ausgestorben ist, zu sehen ist.

Oder in das Museo Storico Nazionale dell’Arte Sanitaria in Rom, wo es neben anatomischen Präparaten, wie einem Skelett mit zwei Wirbelsäulen und Köpfen, einen originalgetreuen Nachbau einer Apotheke aus dem 17. Jahrhundert zu sehen gibt. Das „Buch der Wunderkammern“ ist eine Bilder- und Bildungsreise zu den Anfängen der Moderne.