Demonstranten mit bengalischer Fackel vor dem Parlament in Belgrad
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Wegen CoV-Ausgangssperre

Proteste in Serbien eskaliert

Serbien hat die Maßnahmen gegen das Coronavirus schon gelockert, nun werden sie wieder verschärft. In Belgrad kam es deshalb Dienstagabend zu Ausschreitungen. Steine flogen, das Parlamentsgebäude in Belgrad wurde gestürmt. Präsident Aleksandar Vucic wird vorgeworfen, das Problem zu lange verharmlost zu haben – nun kam die Kehrtwende.

Auf TV-Bildern von den Protesten war zu sehen, wie Sicherheitskräfte mit Steinen beworfen wurden, Leuchtraketen wurden gezündet, die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein. Nach Angaben des Belgrader Polizeichefs Vladimir Rebic wurden 43 Polizisten und 17 Demonstranten verletzt, 23 Personen wurden festgenommen. Außerdem seien fünf Streifenwagen in Brand gesetzt und drei Polizeipferde verletzt worden.

Vor der Eskalation der Proteste hatte Vucic, dessen Fortschrittspartei (SNS) die Wahl am 21. Juni klar gewonnen hatte, eine neue Ausgangssperre, die von Freitag bis Montag gelten soll, angekündigt. Danach versammelten sich in Belgrad Tausende Menschen zu Protesten. Die Demonstrantinnen und Demonstranten forderten Vucics Rücktritt. Im Vorfeld der Parlamentswahl waren die Einschränkungen des öffentlichen Lebens weitgehend aufgehoben worden, es fanden Sportveranstaltungen, etwa Fußballspiele, vor teils bis zu 20.000 Menschen statt.

Fußballspiele und Tennisturnier

Kritiker erheben den Vorwurf, dass das nicht zuletzt mit Blick auf die damals bevorstehende Parlamentswahl geschehen sei. Schlagzeilen machte später vor allem die vom serbischen Tennisstar Novak Djokovic veranstaltete Tournee, auf der sich zahlreiche Menschen mit dem SARS-CoV-2-Virus infizierten, auch er selbst wurde positiv getestet.

Menschen vor dem Parlament in Belgrad
APA/AFP/Oliver Bunic
Laustarke Proteste Tausender Menschen vor dem Parlament in Belgrad, Rücktrittsaufforderungen an Vucic inklusive

Zuletzt erreichte die Zahl der neuen Todesfälle durch das Virus in Serbien einen neuen Höchststand. Kurz vor Vucics Ankündigung der Ausgangssperre wurden 13 binnen 24 Stunden verzeichnet – so viele wie noch nie zuvor seit Beginn der Pandemie in dem Land. Die erste Infektion war dort am 6. März nachgewiesen worden. Seither wurden laut Daten der Johns-Hopkins-Universität etwa 16.700 Infektions- und 330 Todesfälle registriert.

Großraum Belgrad als Hotspot

Ob die neue Ausgangssperre vorerst nur für die Hauptstadt, mehrere Städte oder das ganze Land gelten soll, ließ Vucic in seiner Pressekonferenz offen. Das werde der Krisenstab der Regierung entscheiden. Nach Angaben des Staatschefs werden derzeit fast 4.000 Coronavirus-Patienten in Krankenhäusern behandelt.

Die Zahlen seien nicht zu akzeptieren, sagte Vucic. „Wir wollen nicht unsere Ärzte töten.“ Besonders schwierig ist die Lage laut örtlichen Medien in der südwestserbischen Stadt Novi Pazar. Dort klagten Krankenhäuser Berichten zufolge über einen großen Patientenandrang und einen Mangel an medizinischer Ausrüstung.

Öffentliches Leben wieder eingeschränkt

Bereits vergangene Woche hatte die serbische Regierung verschiedene Einschränkungen in mehreren Städten wiedereingeführt. In öffentlichen Verkehrsmitteln sowie in Geschäften und Ämtern muss nun wieder eine Maske getragen werden, Gaststätten, Cafes und Clubs müssen spätestens um 23.00 Uhr schließen.

Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten
AP/Darko Vojinovic
Berittene Polizei versuchte, die Krawalle aufzulösen, Tränengas wurde eingesetzt

Auch Veranstaltungen sind streng reglementiert: In geschlossenen Räumen sind nur noch 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zugelassen, im Freien sind 200 Menschen bei Events erlaubt. Darüber hinaus gilt ein Mindestabstand von 1,5 Metern. Wer sich widersetzt, dem drohen Geldstrafen bis zu 5.000 Dinar (rund 42 Euro). Die Maßnahmen gelten vorerst bis zum 18. Juli, hatte es letzte Woche geheißen.

Kein Schnaps mehr als Vucics Medizin

Vucic hatte auch gemeint, er könne sich noch weit strengere Maßnahmen vorstellen. Wenn es nach ihm „alleine“ ginge, würde er Serbien unter eine „siebentägige Ausgangssperre“ stellen. Sollten die Maßnahmen jetzt nicht greifen, wollte er diesen Schritt auch nicht ausschließen.

Proteste schlagen in Krawalle um

Da die Zahl der Coronavirus-Neuinfektionen in Serbien zuletzt stark gestiegen ist, wird in dem Land eine neue Ausgangssperre verhängt. Bei Protesten gegen diese Maßnahme kam es zu Ausschreitungen.

Vucics Aussagen stellten eine Kehrtwende im Umgang mit der Pandemie dar. Regierungsnahe Fachleute hatten das Virus wochenlang verharmlost. Vucic selbst missbrauchte die Lage für Wahlkampfzwecke, indem er öffentlich ein Glas Schnaps trank, um sich zu „immunisieren“.

Opposition wirft Regierung falsche Daten vor

Die serbische Opposition hegt mittlerweile Zweifel an den offiziellen Zahlen. Sie drängt die zuständigen Behörden zu Aufklärung hinsichtlich unterschiedlicher Daten über Krankheitsfälle und Tote. Die Abgeordnete Marinika Tepic, Vizepräsidentin der oppositionellen Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (SSP), erstattete Strafanzeige gegen mehrere Mitglieder des Krisenstabes.

Die Behörden wiesen die Berichte letzte Woche als „böswillig und gefährlich“ zurück. Das staatliche Institut für öffentliche Gesundheit kommentierte Daten, die das Internetportal Balkan Insight veröffentlicht hatte, nicht. Die Zahlen der Behörden seien überprüfbar und würden sich auf die medizinische Dokumentation der epidemiologischen Situation in Serbien stützen, so das Institut.

Pfeifkonzert für Premierministerin

In der Bevölkerung regt sich schon länger Unmut über das Krisenmanagement der Regierung. In Novi Pazar wurden Premierministerin Ana Brnabic und der Gesundheitsminister Zlatibor Loncar vor wenigen Tagen mit einem Pfeifkonzert empfangen.

Der Besuch sollte zur Beruhigung der Stimmung in der Stadt, die als Coronavirus-Hotspot gilt, dienen. Das Gegenteil geschah: Wütende Bürgerinnen und Bürger riefen die Namen von Verstorbenen, die nicht als Coronavirus-Tote geführt wurden und nicht getestet worden waren, obwohl sie an Symptomen litten. An einem Tag alleine seien in der Stadt elf Personen verstorben, berichteten serbische Medien.

Reisewarnung für den Westbalkan

Das Außenministerium hatte Anfang des Monats für die Länder des Westbalkans wegen ihrer vergleichsweise hohen Infektionszahlen eine Reisewarnung mit sofortiger Wirkung verhängt. Konkret gilt diese für Bosnien-Herzegowina, den Kosovo, Nordmazedonien, Albanien, Montenegro und Serbien.

Die Reisewarnung – Sicherheitsstufe sechs – empfiehlt Österreichern „dringend“, das betroffene Land zu verlassen. Coronavirus-Tests oder eine 14-tägige Heimquarantäne sind bei einer Einreise aus den Westbalkan-Ländern jetzt schon Pflicht. Mit der Reisewarnung für Serbien und Montenegro stellte sich Österreich gegen einen zuvor getroffenen gemeinsamen EU-Beschluss. Dieser sah die Aufhebung der bestehenden Einreiseverbote für 14 Drittstaaten vor, darunter auch die beiden Länder. Der Beschluss war allerdings nur eine Empfehlung.