Die Hagia Sophia in Istanbul
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Hagia Sophia als Moschee

Breite Front gegen Erdogan-Entscheidung

Nachdem das oberste türkische Verwaltungsgericht am Freitag den Status der Hagia Sophia als Museum in Istanbul annulliert hatte, ordnete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan an, das Gebäude für muslimische Gebete zu öffnen. Große Unterstützung erfährt er für diese Entscheidung in der Türkei – vor allem bei den AKP-Anhängern. International sieht er sich breiter Kritik gegenüber.

Athen etwa spricht von einem „historischen Fehler“. Der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas drohte am Samstag mit Konsequenzen. Auf diese Beleidigung der christlichen Welt müsse es eine entsprechende Antwort geben. Die Hagia Sophia war in den vergangenen Jahrhunderten bereits Kirche, Moschee und zuletzt Museum.

Weil die Hagia Sophia, erbaut im 6. Jahrhundert nach Christus als Hauptkirche des Byzantinischen Reiches, eine große Bedeutung für die Orthodoxie hat, reagierte Griechenland und die russisch-orthodoxe Kirche mit besonderer Schärfe. Der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis kündigte an, dass Erdogans Beschluss Folgen für die Beziehungen der Türkei zur EU haben werde. "Die Umwidmung werde die Beziehung der Türkei zur christlichen Welt beeinflussen, so der Metropolit Ilarion vom Moskauer Patriarchat.

Demonstration vor der Hagia Sophia in Istanbul
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Griechenland verurteilt die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee

UNESCO vermisst Dialog

Auch der russische Vizeaußenminister Alexander Gruschko stimmte am Samstag in den internationalen Tenor des Bedauerns für die Entscheidung Erdogans ein: „Ich hoffe sehr, dass alle Verpflichtungen (…) vollständig umgesetzt werden.“ Für seinen französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian werden nun der Meilenstein „der modernen und laizistischen Türkei“ infrage gestellt.

UNESCO-Generalsekretärin Audrey Azoulay habe gegenüber dem türkischen Botschafter ihre tiefe Besorgnis zum Ausdruck gebracht, teilte die UNESCO mit. Die Entscheidung für die Umwandlung sei ohne vorigen Dialog getroffen worden. Der Status als Museum mache die Hagia Sophia zu „einem starken Symbol des Dialogs“, sagte Azoulay. Derartige Änderungen müssten der UNESCO vorher mitgeteilt und, falls erforderlich, vom Komitee für das Erbe der Welt geprüft werden.

Schallenberg: Schritt weg von Europa

Auch die US-Regierung drückte ihr Bedauern aus. „Wir sind enttäuscht von der Entscheidung der Regierung der Türkei, den Status der Hagia Sophia zu ändern“, hieß es am Freitag auf Anfrage in einer Erklärung der Sprecherin des Außenministeriums in Washington, Morgan Ortagus. Ortagus machte deutlich, dass die USA von der Türkei erwarten, dass die Weltkulturerbestätte weiterhin für alle Besucher zugänglich bleibt.

Die Umwidmung sei „bedauerlich“, sagte auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Als Gründungsmitglied der Allianz der Zivilisationen sei die Türkei dem interreligiösen und interkulturellen Dialog sowie der Förderung von Toleranz und Koexistenz verpflichtet. Die Entscheidung, den Status der Hagia Sophia als Museum aufzuheben, sei ein weiterer Schritt der Türkei weg von Europa, sagte ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg und betonte den Symbolwert des Bauwerks.

Unter Aufsicht der Religionsbehörde

Die Hagia Sophia (griechisch: Heilige Weisheit) war bereits einmal eine Moschee. Nach der Eroberung des damaligen Konstantinopels durch die Osmanen im Jahr 1453 wandelte Sultan Mehmet II. die Hagia Sophia in eine Moschee um und ließ als äußeres Kennzeichen vier Minarette anfügen. Auf Betreiben des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk ordnete der Ministerrat im Jahr 1934 die Umwandlung der Hagia Sophia in ein Museum an.

Die neuerliche Umwandlung des zum UNESCO-Weltkulturerbe zählenden Bauwerks begründete das Gericht damit, dass die Hagia Sophia Eigentum einer von Sultan Mehmet II. gegründeten Stiftung sei. Laut Stiftung sei sie als Moschee definiert und dürfe nicht anders als zu diesem Zweck genutzt werden. Darauf reagierte Erdogan. Die Hagia Sophia werde der Aufsicht der Religionsbehörde (Diyanet) unterstellt und für muslimische Gebete geöffnet, hieß es in einem von ihm unterzeichneten Dokument, das er auf Twitter veröffentlichte.

Erste Gebete in zwei Wochen

Die ersten muslimischen Gebete werden laut Erdogan am 24. Juli stattfinden – mehr dazu in religion.ORF.at. Die Hagia Sophia werde für Muslime, Christen und Ausländer offen stehen. Offiziellen Angaben zufolge besuchten im vergangenen Jahr 3,7 Millionen Besucher und Besucherinnen die Hagia Sophia.

Berühmt ist sie vor allem wegen der rund 56 Meter hohen Kuppel, die nahezu schwerelos über dem Hauptraum zu schweben scheint. Im Inneren sind die Wände mit byzantinischen Mosaiken und Marmor verziert. Um dem Bilderverbot im Islam gerecht zu werden, müssten die Mosaiken während des islamischen Gebets abgedeckt werden.

Die Türkei habe ihr souveränes Recht in Anspruch genommen, die ehemalige byzantinische Hauptkirche wieder in eine Moschee umzuwandeln, zu der sie nach der Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen 1453 gemacht worden war, so Erdogan.

Hagia Sophia als „Stressbarometer“

Der Status des Bauwerks ist ein Politikum. Anhänger der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP fordern seit Langem, die Hagia Sophia wieder zur Moschee zu machen. Erdogan hatte die Umwandlung in ein Museum zuletzt vor den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr als „großen Fehler“ bezeichnet. Ihm geht es vor allem um die Beendigung des von Atatürk durchgesetzten Laizismus und die konsequente Reislamisierung der Türkei.

Betende vor der Hagia Sophia in Istanbul
AP/Emrah Gurel
Muslime beim Gebet vor der Hagia Sophia in Istanbul

Der Streit über die Ausrichtung der türkischen Nation, der sich mitten durch die Gesellschaft zieht, dürfte angesichts der symbolischen Bedeutung des Urteils noch erbitterter werden. Aus der kemalistischen CHP, der größten Oppositionspartei, kam immer wieder Protest gegen die Moscheebewegung.

Der Analyst Kadri Gürsel nannte die Hagia Sophia das „Stressbarometer“ der Regierung. Diese habe keine Themen mehr, mit denen sie werben könne, und keine Lösungen für die Probleme des Landes. Innenpolitisch habe sich niemand gegen die Umwandlung in eine Moschee gestellt, aber Erdogan würde davon profitieren, wenn sich Griechenland und die orthodoxe Welt dagegen stellten. Die Regierung schlage aus Polarisierung „politischen Profit“.