Trauerfeier zum Gedenken an Völkermord von Srebrenica
Reuters/Dado Ruvic
25 Jahre Srebrenica

Schmerz bei Gedenken an Völkermord

Ein Vierteljahrhundert nach den Massaker von Srebrenica ist am Samstag der rund 8.000 getöteten muslimischen Männer und Buben gedacht worden. Sie wurden vor 25 Jahren im Bosnien-Krieg von bosnisch-serbischen Soldaten ermordet. Das Massaker gilt als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

Am 11. Juli 1995 marschierten unter Führung des Generals Ratko Mladic bosnisch-serbische Milizen in die UNO-Schutzzone ein und töteten innerhalb weniger Tage Tausende muslimische Buben und Männer, die hier mit ihren Familien Zuflucht gefunden hatten. Bisher wurden die sterblichen Überreste von knapp 6.900 Opfern des Massakers gefunden und identifiziert. Zahlreiche weitere Familien wissen bis heute nicht, wo ihre ermordeten Angehörigen sind. Noch heute sind die Massengräber nicht vollständig ausgehoben. Am Samstag wurden neun erst kürzlich identifizierte Opfer feierlich beigesetzt.

Bei einer Trauerfeier in der Opfergedenkstätte Potocari haben Bosnien-Herzegowina sowie politische Vertreter und Vertreterinnen aus aller Welt des Massakers gedacht. Überlebende, Hinterbliebene der Opfer, bosnische Spitzenpolitiker und ausländische Diplomaten legten Blumen am Denkmal nieder. Hohe ausländische Staatsgäste konnten wegen der Coronavirus-Pandemie nicht kommen. Dafür gab es Videobotschaften, etwa von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Trauerfeier zum Gedenken an Völkermord von Srebrenica
Reuters/Dado Ruvic
Zehntausende gedenken jährlich der Ermordeten von Srebrenica – heuer waren es wegen der CoV-Pandemie weniger

„Dunkler Fleck in der europäischen Geschichte“

Auch in Österreich erinnerten Politiker an das Massaker. ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg betonte, „der Völkermord von Srebrenica“ sei „das schlimmste Verbrechen in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs“ gewesen. „Der Völkermord an Tausenden Bosniaken bleibt ein dunkler Fleck in der europäischen Geschichte“, sagte er. „Wir erinnern uns an die Tausenden unschuldigen Opfer und sind in Gedanken bei ihren Angehörigen.“ Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) erinnerte daran, dass Srebrenica „eine Wunde in vielen Familien der über 8.000 bosnischen Muslime, die in den Julitagen vor 25 Jahren grausam ermordet wurden“, sei. „Es ist auch eine Wunde in der europäischen Geschichte, die noch nicht verheilt ist“, so Sobotka.

Begriffsdefinition

Völkermord ist der Rechtsbegriff für das schlimmste denkbare Verbrechen – Handlungen mit dem Ziel, ein Volk, eine Ethnie oder auch eine Glaubensgemeinschaft zu vernichten.

„Wir haben die moralische und humanitäre Verpflichtung, uns immer an den schrecklichen Genozid zu erinnern und der Opfer von Srebrenica zu gedenken“, hielt SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried fest. „Srebrenica ist die offene Wunde in unserer europäischen Geschichte. Solange wir ignorieren, welche Herausforderungen die Bevölkerung bewältigen muss, solange das nicht Einzug in unsere Geschichtsbücher und unseren Alltag erhält, solange wir uns nicht selbstkritisch mit der Rolle der Europäischen Union befassen, solange wir weiterhin nicht hinschauen, solange wird diese Wunde auch nicht verheilen können“, betonte SPÖ-Integrationssprecherin Nurten Yilmaz.

„Wir gedenken der über 8.000 Menschen – Männer und Buben – die vor 25 Jahren in Srebrenica kaltblütig ermordet wurden“, sagte die Vizeklubobfrau der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic. „Wir gedenken ferner der Tausenden Frauen und Kinder, die von ihren eigenen Landsleuten, serbischen Nationalisten, vergewaltigt, vertrieben oder zwangsverschleppt wurden. Sie verdienen unser tiefstes Mitgefühl.“ Die grüne Abgeordnete Bedrana Ribo, selbst bosnischer Abstammung, bezeichnete das Massaker als „Tag der Schande“ für Europa. „Dieses Verbrechen wurde mitten in Europa ausgeübt. Wir können es nicht rückgängig machen, aber wir dürfen nicht vergessen, und deswegen ist es wichtig, jedes Jahr darauf aufmerksam zu machen, auch um darauf hinzuweisen, wie schnell ungeheuerliche Verbrechen zustande kommen können und auch zugelassen werden.“

Trauerfeier zum Gedenken an Völkermord von Srebrenica
AP/Kemal Softic
Am Samstag wurde ein Opfer, das nach Jahren identifiziert werden konnte, begraben

„Ohne Wahrheit gibt es keinen Frieden“

Die Vorsitzende des Opferverbandes Mütter von Srebrenica, Munira Subacic, forderte bei der Gedenkfeier Gesetze in Bosnien, die die Leugnung des Völkermords unter Strafe stellen. „Ohne Wahrheit und Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden“, sagte sie. Der internationale Bosnien-Beauftragte Valentin Inzko dankte laut einer Aussendung den Müttern von Srebrenica als denjenigen, die sich am meisten für das Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit eingesetzt hätten.

„Die Mütter von Srebrenica verdienen unsere Bewunderung und unseren Respekt“, betonte der österreichische Diplomat. Er appellierte zudem an die Politiker, ihr Kriegsbeil zu begraben und Weisheit und Mut zu zeigen, um die Menschen Bosnien-Herzegowinas in die Zukunft zu führen. „Nach 25 Jahren ist es an der Zeit, nach vorne zu blicken, die Vergangenheit den Historikern zu überlassen, mit der diese sich respektvoll auseinandersetzen müssen, und sich auf die Gegenwart und die Zukunft zu konzentrieren.“

Trauerfeier zum Gedenken an Völkermord von Srebrenica
AP/Kemal Softic
Die Wunden sind noch lange nicht verheilt, sagte etwa Mustafa Ceric, ehemaliger Großmufti von Bosnien-Herzegowina

Mustafa Ceric (68), ehemaliger Großmufti von Bosnien-Herzegowina, sieht den Versöhnungsprozess 25 Jahre nach dem Massaker unverändert schwierig, wie Kathpress am Samstag berichtete. Zwar gebe es einzelne Personen und Gruppen unter den Serben, die bereit seien, die „Sünde des Völkermordes“ zu gestehen und um Vergebung zu bitten. Aber die offizielle serbische Haltung sei immer noch „in den Ketten der Verleugnung gefangen“, sagte Ceric dem Portal Vatican News – mehr dazu in religion.ORF.at.

Spitzenpolitiker leugnen Völkermord

Srebrenica sei ein Verbrechen gegen die gesamte Menschheit gewesen, stellte das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) in seinem im April 2004 verkündeten rechtskräftigen Urteil für den bosnisch-serbischen Offizier Radislav Krstic fest. Das Massaker in der einstigen UNO-Schutzzone wurde damit zum ersten Mal als Völkermord definiert. Dass es sich bei den Ereignissen bei Srebrenica um einen Genozid handelte, stellte wenige Jahre später auch der Internationale Gerichtshof (IGH) in seinem Urteil auf Basis einer bosnischen Klage gegen Serbien fest. Belgrad selbst wurde allerdings nicht des Völkermordes für schuldig befunden.

Trauerfeier zum Gedenken an Völkermord von Srebrenica
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Auf dem Gedenkfriedhof in Potocari werden Jahr für Jahr weitere Opfer begraben

Viele Vertreter der serbischen Seite lehnen diese Bewertung bis heute ab. Mladic, der vom UNO-Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien wegen Kriegsverbrechen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, wird von vielen Serben nach wie vor verehrt. Das Berufungsverfahren ist in seinem Fall noch im Gang. Zu lebenslanger Haft verurteilt wurde in Den Haag auch der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic.

Trotzdem leugnen Spitzenpolitiker im serbischen Landesteil von Bosnien, der Republika Srpska, den Genozid bis heute. Der dort bestimmende Machthaber Milorad Dodik stellt das Massaker von Srebrenica verzerrend als „konstruierten Mythos“ dar. Dabei stellte eine staatliche Untersuchungskommission der Republika Srpska im Jahr 2004 fest, dass bosnisch-serbische Verbände in Srebrenica Kriegsverbrechen an mehr als 8.000 muslimischen Männern und Jugendlichen begangen hatten. Dodik ließ diesen Bericht als Präsident der Republika Srpska für ungültig erklären.

Trauerfeier zum Gedenken an Völkermord von Srebrenica

Bei einer Trauerfeier in der Opfergedenkstätte Potocari haben Bosnien-Herzegowina und politische Vertreterinnen und Vertreter aus aller Welt des Massakers von Srebrenica vor 25 Jahren gedacht

Ermordet durch Massenexekutionen

Bereits im April wurde Srebrenica zur UNO-Schutzzone erklärt. Vor dem Kriegsende war die Stadt mit etwa 42.000 Einwohnern und Einwohnerinnen, ein Großteil von ihnen waren bosniakische Flüchtlinge aus der Umgebung, von etwa 15.000 serbischen Soldaten umzingelt. In der Stadt selbst dürften sich vor der Einnahme durch bosnisch-serbische Truppen etwa ebenso viele Männer im kampffähigen Alter befunden haben. Viele von ihnen, darunter der Kriegskommandant Naser Oric, zogen kurz vor der Einnahme der Stadt Richtung Tuzla ab.

Kunstinstallation mit 8000 Tassen bosnischen Kaffee
Reuters/Dado Ruvic
Auf dem Friedhof wurden mehr als 8.000 Tassen mit bosnischem Kaffee gefüllt: Für die Opfer des Massakers

Als der entscheidende bosnisch-serbische Angriff auf Srebrenica startete, leisteten etwa 300 niederländische Blauhelme keinen Widerstand. Ihr Befehlshaber Thomas Karremans hatte zwar die NATO um Unterstützung aus der Luft ersucht. Ein Angriff von NATO-Flugzeugen auf die bosnisch-serbischen Stellungen über der in einem engen Tal zwischen den Bergen liegenden Kleinstadt wurde wegen schlechter Witterungsverhältnisse aber bald eingestellt. Zudem hatten bosnisch-serbische Truppen mit Morden an gefangen genommenen niederländischen UNO-Soldaten gedroht.

Die Einnahme von Srebrenica ist lange im Voraus vorbereitet worden. In einer Anordnung des bosnisch-serbischen Präsidenten Karadzic vom März 1995 hieß es unter anderem: „Durch alltägliche geplante und überlegte Kampfaktionen gilt es, eine Atmosphäre der totalen Unsicherheit, der Unerträglichkeit und Aussichtslosigkeit auf eine weitere Existenz und Leben in Srebrenica zu schaffen (…).“ Die bosnisch-serbischen Truppen trennten die bosniakischen Männer vom Rest der Bevölkerung. Ermordet wurden sie hauptsächlich durch Massenexekutionen.