Avatar-Model Noonoouri
Joerg Zuber
Noonoouri statt Naomi

Hochsaison für virtuelle Models

Sie zieren die Titelblätter von Modemagazinen, erobern digitale Fashion-Shows und werden von renommierten Agenturen unter Vertrag genommen: Avatare sind in der Modebranche längst nicht mehr nur eine Randerscheinung. Nicht zuletzt aufgrund der Coronavirus-Krise erleben virtuelle Geschöpfe namens Noonoouri, Shudu und Hauli aktuell einen Höhenflug – unumstritten ist das in der Szene aber nicht.

Von der Inkastadt Machu Picchu in Peru bis zur Chinesischen Mauer, vom Taj Mahal in Indien bis zum Kolosseum in Rom: Hauli, der Avatar in Barbie-Optik aus dem Hause Ralph and Russo, ist für die erste digitale Couture-Schau des Luxuslabels im Juli weit gereist. Geschaffen wurde das digitale Mannequin, das die Kundschaft samt atemberaubenden Roben in eine Fantasiewelt transportieren soll, coronavirusbedingt, wie Designerin Tamara Ralph gegenüber „Harper’s Bazaar“ erzählt.

Denn wie so viele andere Branchen auch, hat das Virus die Modeindustrie auf den Kopf gestellt. Fashion-Shows und Fotoshootings wurden in den virtuellen Raum verlagert, Ateliers – in denen die detailreichen Kleider genäht werden – mussten teils schließen. Viele Designerinnen und Designer sahen das zugleich als idealen Zeitpunkt, sich in puncto virtuelle Mode und Models zu probieren.

Topmodel, Influencerin und virtueller „Mensch“

Dieser Mangel an Produktionsmöglichkeiten war es etwa, der den traditionellen britischen Hutmacher Stephen Jones zuletzt wegen der virtuellen Londoner Fashion Week in die Arme des Münchner Avatar-Schöpfers Jörg Zuber trieb. Anstatt von realen Menschen ließ Jones seine Kreationen in einem aufwendig produzierten Video von dem virtuellen Model Noonoouri präsentieren.

Mit ihren großen braunen Augen und langen dunklen Haaren erinnert das stets gut gekleidete Geschöpf an eine Manga-Figur. Inspiriert wurde sie aber vielmehr von Supermodel Naomi Campbell und Reality-Star Kim Kardashian, wie Zuber gegenüber ORF.at erzählt. 2010 brachte er die Figur auf Papier, seit 2018 ist Noonoouri auf dem Markt. Seither konnte sie Kampagnen für Luxuslabels wie MiuMiu, Versace und Balenciaga sowie einen Vertrag bei der renommierten Modelagentur IMG lukrieren. Mit 360.000 Fans auf Instagram gilt sie als Star und Wegbereiterin in der Welt der digitalen Charaktere.

Kim Kardashian und Avatar-Model Noonoouri
Joerg Zuber
Noonoouri (rechts) mit Fan und Vorbild Kim Kardashian (links)

„Wenn er Noonoouri nicht gehabt hätte, dann hätte er keine Kollektion zeigen können“, sagt Zuber über die Zusammenarbeit mit dem Hutmacher Jones. Dass die Kampagne nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern von Maus zu Maus und mittels unzähliger Videochats entstanden sei, bezeichnet er als Meilenstein. Generell stellt der Münchner fest, dass die Coronavirus-Krise die Hemmschwelle von Modeunternehmen für die Nutzung digitaler Charaktere gesenkt habe.

Vom Balmain-Designer zum Avatar

So machten auch andere Designer aus der Not eine Tugend: Das französische Modehaus Balmain zeigte seine Cruise-Kollektion in einem virtuellen Showroom – und gab damit auch der breiten Öffentlichkeit Zutritt zu einer Welt, die sonst nur einem ausgewählten Publikum vorbehalten bleibt. An die Stelle echter Models traten gesichtslose Avatare mit Metallic-Haut. Kommentiert wurden die Designs von dem ebenso in Avatarform erscheinenden Balmain-Kreativdirektor Olivier Rousteing.

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Die kongolesische Designerin Anifa Mvuemba präsentierte ihre Designs anstatt bei der New Yorker Fashion Week coronavirusbedingt am Avatar Imani – und machte sich damit in der Szene in kürzester Zeit einen Namen. Das palästinensische Label Trashy Clothing organisierte im Mai gar eine gesamte Cyber-Modewoche mit 3-D-Models.

Avatare sollen menscheln und doch nicht

Gänzlich neu ist das Phänomen Avatar natürlich nicht. Ausgelöst wurde der Hype in den vergangenen Jahren durch eine Handvoll virtueller Geschöpfe, die Model und Influencer zugleich sind. Neben Noonnoouri sind das die braunhaarige „Halbbrasilianerin“ mit Zahnlücke namens Lil Miquela sowie das schwarze Avatar-Topmodel Shudu. Wesentlich für den Erfolg der Gestalten scheint zu sein, dass sie menscheln, also eine Persönlichkeit haben. Freilich nicht zu sehr: Zugleich werben Schöpfer und Agenturen damit, dass Avatar-Models nie müde sind, nie hungrig werden oder zu diskutieren anfangen und immer perfekt aussehen.

Auch für Zuber war es wichtig, Noonoouri einen menschlichen Charakter zu verleihen, „damit ein Zuschauer eine Verbindung aufbaut“, wie er zu ORF.at sagt. „Sie (Noonoouri, Anm.) steht auf der einen Seite für Fashion, für Kunst, für Lifestyle, für Natur. Sie muss aber auf der anderen Seite auch ihre Stimme für etwas erheben. Sie kann nicht nur erfolgreich sein, wenn sie nur in der Glitzer- und Glam-Welt unterwegs ist.“ In dem von dem Münchner betriebenen Instagram-Account der Figur spricht sich Noonoouri für die Black-Lives-Matter-Bewegung aus und setzt sich für die Rechte von Kindern und Tieren ein.

Nachhaltigkeit als Verkaufsargument

Als bedeutendes Verkaufsargument sehen Erfinderinnen und Erfinder der virtuellen Charaktere zudem das Thema Nachhaltigkeit. „Virtuelle Models müssen nicht um die ganze Welt geflogen werden, um ihre Arbeit zu erledigen. Sie müssen auch keine echte Kleidung zu Modenschauen und Shootings tragen“, wurde die österreichische Modefotografin und Mitbegründerin der auf digitale Models spezialisierten Agentur Mutantboard, Julia Falkner, in der „Welt“ zitiert.

Außerdem scheint die Umsetzung einer virtuellen Schau weniger zeitintensiv. „Für ein stehendes Bild brauchen wir drei bis fünf Tage, wenn wir Animationen machen, dann drei bis sechs Wochen“, sagt Zuber. Die Umsetzung einer echten Schau in Paris, Mailand oder New York dauert zumeist nicht weniger als sechs Monate und bedarf des Einsatzes unzähliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie viel eine virtuelle Schau tatsächlich kostet, ist schwer einzuschätzen. Pro Figur ist mit Kosten von einigen tausend bis zu hunderttausend Euro zu rechnen.

Shudu statt Gigi?

Die digitalen Mannequins sind aber keineswegs unumstritten. Die Sorge, sie könnten anstelle echter Models wie Gigi Hadid, Naomi Campbell und Kendall Jenner treten, existiert. „Wer bleibt aufgrund dieser großartigen virtuellen Zukunft auf der Strecke?“, fragte Modejournalistin Veronique Hyland in der „Elle“. „In vielen Fällen lautet die Antwort: Models und das Backstage-Team um sie herum: Friseure, Make-up-Artists und Stylisten.“

„Für mich ist der echte Mensch immer noch über dem digitalen, für mich ist es eine Ergänzung, eine Diversifikation“, sagt der Münchner Agenturchef Zuber hingegen. Auch Arbeitsplätze würden entstehen – wenngleich eine Verschiebung stattfinde, pro Figur seien zwischen sieben und zehn Personen beschäftigt. Fotograf und Shudu-Schöpfer Cameron-James Wilson erwartete in einem Interview von 2018 etwa, dass ein Hybridsystem entstehen werde, bei dem auf dem Aussehen echter Models basierende Avatare zum Einsatz kommen.

„Ein Scherz, der einfach nicht lustig ist“

Der New Yorker Rechtsanwältin Doreen Small zufolge würden Agenturen bereits digitale Kopien echter Models erstellen – allerdings nicht immer mit deren Zustimmung. Sara Ziff, Gründerin der gemeinnützigen Organisation Model Alliance, berichtete in der „Elle“ von Models, die von Agenturen und Unternehmen zu 3-D-Körperscans gedrängt werden und in weiterer Folge auch dazu, ihre Rechte an den Scans abzutreten.

Nicht zuletzt sorgt der psychologische Aspekt – perfekte unechte Models anstatt echter Mannequins mit Makeln – für Kritik. Die Psychologin Renee Englen sagte zur „Washington Post“: „Zu wissen, dass sich Frauen mit Frauen vergleichen, die im wahrsten Sinne des Wortes unmenschlich sind, scheint mir wie ein Scherz, der einfach nicht wirklich lustig ist.“