Wolf
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Kanada

Hunderte Wölfe fälschlicherweise getötet

Diesen Winter sind in Kanada 463 Wölfe getötet worden – im Auftrag der Regierung. Einer Studie zufolge sollte dadurch dem Artenrückgang der Rentiere entgegengewirkt werden. Eine Gruppe an Wissenschaftlern entdeckte nun jedoch einen gravierenden Fehler in den Berechnungen, der nicht zuletzt den Rentieren selbst schaden könnte.

„Das Töten von Wölfen ist oft umstritten, und in diesem Fall war ihr Tod möglicherweise sogar ganz umsonst“, schreibt das Magazin „The Atlantic“ am Dienstag. Denn die Entscheidung, die Wölfe zu töten, beruhe auf einem statistischen Fehler, wie eine diese Woche im Fachjournal „Biodiversity and Conservation“ veröffentlichte Neubewertung der Studie zeigt.

Ursprünglich seien auch nicht die Wölfe das Problem gewesen, sondern die Abholzung der Wälder für Öl- und Gasdepots, die zur zunehmenden Zerstörung des natürlichen Lebensraums der Rentiere führte. Dadurch sei etwa die Population der Unterart der Berg- oder Tiefschnee-Rentiere in Kanada innerhalb von 27 Jahren bereits auf 45 Prozent zurückgegangen, so „The Atlantic“.

Kanadische Karibus
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Wölfe fressen Rentiere. Wer Rentiere schützen möchte, muss also Wölfe töten. Experten warnen vor diesem Trugschluss.

Konflikt zwischen Industrie und Naturschutz

So sei es auch zu einem Konflikt zwischen Befürwortern der Industrie und Naturschützern gekommen. Eine Gruppe von Forschern der University of Alberta habe daraufhin 2019 eine „praktische Lösung“ geboten: Die Tötung von Wölfen – schließlich seien diese die natürlichen Feinde der Rentiere. Für diese habe sich die Regierung der Provinz British Columbia dann auch entschieden – anstelle der Schaffung zusätzlicher Schutzgebiete.

Doch den Autoren der Studie von 2019 seien einige Fehler unterlaufen, wie die Ökologin Viktoria Wagner in ihrer Gegenstudie ein Jahr später zeigt. So seien etwa lediglich zwölf Rentierarten sowie sechs Kontrollarten untersucht worden – eine „überraschend geringe Anzahl“, so „The Atlantic“.

Zwar habe die Studie einige Modelle enthalten, die Lösungen aufzeigten, wie die Rentierpopulation stabilisiert beziehungsweise vergrößert werden könnte, allerdings habe ein „Nullmodell“ gefehlt. Das sei Wagner zufolge der „wohl auffälligste Fehler“.

Gegenstudie: „Keine statistische Grundlage“

Ein Nullmodell repräsentiere das Szenario der Möglichkeit, dass keiner der ermittelten Faktoren, in diesem Fall die Tötung der Wölfe, ausschlaggebend für das Endresultat sei, sagte Wagner. Die Ökologin führte daraufhin gemeinsam mit ihrem Team eine Nullmodellierung durch. Sie gingen also davon aus, dass die Tötung von Wölfen keine Rolle bei der Populationszahl spiele. Dabei kamen sie zum gleichen Ergebnis wie die Studie vor ihnen. „Mit anderen Worten: Die in der Studie von 2019 vorgeschlagene Lösung, die später in Politik überging, entbehrte jeglicher statistischer Grundlage“, so „The Atlantic“.

Wolf als „Sündenbock“

„Wölfe sind seit Langem ein Sündenbock für den Artenrückgang der Rentiere“, so der Mitautor der Gegenstudie Chris Darimont. Es sei „verführerisch zu glauben“, dass wenn man von der Art, die die andere frisst, viele eliminiert, es der ersten Art besser gehe, doch in der Realität verhalte es sich eben anders. So seien Wölfe etwa nur der viertgefährlichste Feind des Tiefschnee-Rentiers. Wolfstötungen, so zeigt sich Darimont überzeugt, würden daher „keine wirkliche Erfolgsbilanz“ beim Schutz der Rentiere aufweisen, sondern dienten lediglich den Interessen der Öl- und Gasindustrie.

Robert Serrouya, Hauptautor der Studie 2019, verteidigte gegenüber „The Atlantic“ allerdings seine Ergebnisse: Während die neuen Erkenntnisse auf statistischen Grundsätzen basierten, seien für seine Studie logische Grundsätze ausschlaggebend. Beide hätten allerdings den Schutz der Rentiere als Ziel, so Serrouya.

Schaden für Rentiere

Doch auch dem widersprechen die Autoren und Autorinnen der Gegenstudie. Die durch die Studie veranlasste politische Entscheidung, auf Wolfstötungen anstelle von Schutzgebieten zu setzen, schade nicht zuletzt den Rentieren selbst. So verweist Darimont etwa auf die Tatsache, dass zwischen 2014 und 2019 bereits 350 Quadratkilometer Lebensraum von Tiefschnee-Rentieren durch Abholzung zerstört wurden.

„Das ist unersetzlich in der Zeitspanne, die wir noch haben, um das Rentier zu retten“, sagte Darimont. Und obwohl die Gegenstudie wohl ein Jahr zu spät komme, hoffen die Forscher, dass sie die zukünftige Politik in Bezug auf den Erhalt der Rentiere beeinflussen werde, so „The Atlantic“.

Thema auch in Österreich

Wolfstötungen wurden auch in Österreich wieder zum Thema. Nachdem die Bezirkshauptmannschaft St. Johann in Salzburg Mitte Juni den Abschuss eines Wolfes im Großarltal genehmigt hat, haben mehrere Naturschutzorganisationen Einsprüche gegen diesen Bescheid eingelegt – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Doch auch in Tirol steht man vor der Frage, wie man mit dem Wolf umgehen soll. Neuerliche Schafsrisse im Bereich Oberes Gericht und Paznauntal lassen die Forderungen der Landwirte nach einer Lösung immer lauter werden. Seitens des Landes ist man um eine Lösung bemüht, die gesetzlichen Möglichkeiten sind aber beschränkt – mehr dazu in tirol.ORF.at.