Eine Ärztin impft eine Frau
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Coronavirus

Vier verschiedene Wege zum Impfstoff

Weltweit entwickeln Fachleute, Universitäten und Pharmakonzerne derzeit Impfstoffe gegen das Coronavirus. Dabei gibt es vier verschiedene Wege, die gegangen werden. Für die Wiener Immunologin Ursula Wiedermann-Schmidt ist diese Vielfalt ein großer Vorteil, der „vermutlich einen Luxus bieten wird“.

Dass es künftig – offen ist freilich, wann – Coronavirus-Impfstoffe verschiedener Bauart geben wird, werde wohl dazu führen, dass man sich je nach Situation und Zielgruppe den am besten geeigneten Impfstoff auswählen kann – sofern er verfügbar ist. Es könnte sein, dass Ältere eher mit dem einen Impfstoff, Pflegepersonal aber beispielsweise eher mit einem anderen Vakzin immunisiert werden.

Grundsätzlich gibt es laut Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin und des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der Meduni Wien, vier verschiedene Arten von möglichen Vakzinen. Jene zwei Typen, die bei der Suche nach einem Coronavirus-Impfstoff im klinischen Verfahren am weitesten sind, seien RNA-basierte und vektorbasierte Impfstoffkandidaten.

RNA und Vektor

RNA-Impfstoffe lösen eine Immunreaktion durch Ribonukleinsäuren aus. Der Impfstoff enthält selbst keine Antigene, sondern bringt vielmehr die körpereigenen Zellen dazu, diese selbst zu produzieren.

Vektor-Impfstoffe – der Pharmakonzern AstraZeneca etwa arbeitet zusammen mit der Universität Oxford an einem solchen – enthalten dagegen einen Lebendimpfstoff. Als Basis werden entweder harmlose Viren vom Menschen oder von Schimpansen oder „entschärfte“ Masernviren verwendet. In diese werden mit gentechnischen Mitteln wichtige Antigene an die Oberfläche eingebracht.

Klassische Ansätze

Daneben gebe es die klassischen Ansätze. Dabei kommt laut Wiedermann-Schmidt das gesamte SARS-CoV-2-Virus zum Einsatz. Dieses wird vorher inaktiv gemacht, sodass es sich nicht mehr vermehren kann. China sei hier bei der Entwicklung führend. Allerdings gebe es hier teils starke Nebenwirkungen.

Die vierte Gruppe an Impfstoffen seien die Subunit-Vakzine. Hier werden Proteine des Coronavirus genommen und daran gewisse Adjuvantien – eine Art Emulgator, der nötig ist, um eine Immunantwort auszulösen oder zu verstärken – hinzugefügt.

Von den neuen Technologien sind laut Wiedermann-Schmidt bisher nur Vektor-Impfstoffe, etwa bei Ebola und Zika, schon zum Einsatz gekommen. RNA-Impfstoffe wurden dagegen bisher bei Infektionskrankheiten noch nie zugelassen.

Erst Phase III aussagekräftig

Aktuell werden laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr als 20 Vakzinkandidaten in klinischen Studien an Menschen getestet. Bei einigen davon konnte bereits gezeigt werden, dass Probanden nach der Impfung Antikörper gegen SARS-CoV-2 entwickeln. Entscheidend ist aber der Abschluss von Phase-III-Studien. Das sind umfangreiche Tests mit Tausenden Probanden, bei denen auch darauf geachtet wird, dass Risikogruppen ausreichend vorhanden sind. Das Ziel der Phase-III-Studien ist, die Wirksamkeit – sprich die Schutzwirkung – der Vakzine zeigen zu können. Zudem werden bei der Auswahl der Probanden Faktoren wie Alter, Geschlecht und genetische Dispositionen berücksichtigt.

Gefahr der Überschätzung in Phase II

Bisher am weitesten im Forschungsprozess sind Großbritannien und China. Heikel ist, dass laut einer Wiener Studie oft in Phase II eine Überschätzung der Wirksamkeit neuer Präparate erfolgen kann.

Die Universität Oxford in Großbritannien hat zusammen mit dem Pharmakonzern AstraZeneca bereits eine Phase-III-Studie begonnen, die chinesische Firma Sinovac steht kurz davor. Ein Impfstoff gilt als wesentlicher Baustein zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie. Die WHO listet mögliche Kandidaten auf ihrer Website auf. Dabei ist auch der jeweilige Fortschritt aktuell abrufbar.

RNA-Vakzin demnächst in Phase III

Die Probanden der US-Biotech-Firma Moderna, die innerhalb von zwei Monaten zwei Injektionen des Impfstoffs bekamen, entwickelten mehr neutralisierende Antikörper als Personen, bei denen eine Coronavirus-Infektion diagnostiziert worden war, wie es zuletzt hieß. Die beteiligten Forscher stellten die Ergebnisse auch in einer Studie im „New England Journal of Medicine“ vor. Der Hersteller Moderna sprach in einer Mitteilung von einer „robusten Immunreaktion“, die nun den Weg für wesentlich größere Studien zur Wirksamkeit ebne.

Der Impfstoff mRNA-1273 soll ab Ende Juli in einer Phase-III-Studie an rund 30.000 Probanden getestet werden. Die Studie soll bis Oktober 2022 dauern, Ergebnisse kann es aber schon vorher geben.

Noch viele offene Fragen

In den Tests der ersten Phase werden Impfstoffe immer nur an wenigen Freiwilligen getestet, weil es dabei zunächst vor allem um die Prüfung der Verträglichkeit und der geeigneten Dosis geht. Nach ersten positiven Ergebnissen hatte Moderna die erste Phase auf 120 Probanden erweitert, um auch die Sicherheit des Impfstoffs bei älteren Menschen zu testen. Die Ergebnisse der erweiterten Studie liegen allerdings noch nicht vor.

Wegen des kurzen Studienzeitraums war auch noch nicht klar, ob und wie lange die Antikörper die Probanden tatsächlich vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen könnten. Das Blut der Teilnehmer solle daher noch ein Jahr lang regelmäßig auf den Anteil von Antikörpern geprüft werden, hieß es in der Studie. Bei Modernas Präparat handelt es sich um einen RNA-Impfstoff. Bisher gibt es weltweit noch keine zugelassenen Humanimpfstoffe, die dieses Verfahren nutzen.

Auch das Mainzer Biopharmaunternehmen Biontech und der US-Konzern Pfizer arbeiten gemeinsam an einem solchen Impfstoff. Sie erklärten Anfang Juli, dass Probanden bei Tests in den USA nach einer Injektion des experimentellen Impfstoffs BNT 162b1 wirksame Antikörper entwickelt hätten. Auch hier sollen nun größere Tests folgen.

Druck und Hast

Eine im April dieses Jahres publizierte Studie zeigte auf, dass klinische Phase-II-Studien systematisch oft die Wirkung von Therapeutika überschätzen und es dadurch zu enttäuschenden Ergebnissen der darauffolgenden Phase-III-Studien kommen kann. Das sei eine Folge des Zeitdrucks auf den Zulassungsprozess für neue Medikamente, so der Schluss von Experten der MedUni Wien an der Klinischen Abteilung für Rheumatologie (AKH) in einer in „Nature Medicine“ publizierten Literaturstudie. Die Studie erfolgte auf Basis einer systematischen Analyse von Studien auf dem Gebiet der rheumatoiden Arthritis (chronische Polyarthritis) und Psoriasis-Arthritis.