Das Wiener Rathaus
ORF.at/Christian Öser
Wien-Wahl

Keine Ruhe vor dem Sturm

Am 11. Oktober wählt Wien. Doch die Vorboten des Wahlkampfs geistern schon längst durch die innenpolitischen Debatten, und auch die Parteien haben sich bereits in Stellung gebracht – auch wenn der richtige Wahlkampf wohl erst im September durchstartet. Dabei hatte praktisch jede Partei die eine oder andere Turbulenz zu überstehen – und im Vergleich zur Wahl 2015 gibt es bei allen neue Gesichter an der Spitze.

Denn auch wenn die Regierungskonstellation mit Rot-Grün gleich geblieben ist, blieb vor allem personell kein Stein auf dem anderen. Langzeitbürgermeister Michael Häupl gab im Mai 2018 an Michael Ludwig ab, der sich innerhalb der SPÖ in einem durchaus harten Kampf durchsetzte. Gut ein Jahr später ging die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou und wurde von Birgit Hebein abgelöst.

Bei der ÖVP übernahm Gernot Blümel unmittelbar nach der Wahlschlappe von 2015 von Manfred Juraczka. Nach dem „Ibiza“-Skandal übernahm Dominik Nepp die Spitze der Wiener FPÖ von Heinz-Christian Strache. Und NEOS war 2015 noch mit Beate Meinl-Reisinger als Spitzenkandidatin angetreten, nach ihrem Wechsel an die Bundesparteispitze ist nun Christoph Wiederkehr in Wien am Zug.

Grafik zeigt Ergebnis der Wiener Gemeinderatswahl 2015
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Gekittete Flügelkämpfe in der SPÖ

Bei der SPÖ war klar, dass Häupl mit seinem Abgang sehr große Fußstapfen hinterlassen würde, die von seinem Nachfolger wohl nicht sofort gefüllt werden könnten. Das Duell zwischen Ludwig, der eher als Kandidat der Wiener Flächenbezirke galt, und SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder, der dem linken Flügel der Partei zugerechnet wurde, war nach außen hin eher amikal, parteiintern aber doch hitzig.

Ludwig setzte sich durch, und es gelang danach, die Flügelkämpfe weitgehend aus der Öffentlichkeit zu halten – wohl auch, weil die Konflikte in der Bundespartei nach der Wahl von Pamela Rendi-Wagner zur Parteichefin im Herbst 2018 vieles überdeckte.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig
APA/Hans Punz
Michael Ludwig, der frühere Wohnbaustadtrat, ist seit Mai 2018 Bürgermeister

Die Frage, wie man sich positioniert, hat man freilich nicht nur im Bund, sondern auch in Wien – als Regierungspartei mit dem Apparat der Stadt Wien im Rücken tut man sich damit aber um einiges leichter, das zu kaschieren. Und Ludwig dürfte es mit der Auswahl seines Regierungsteams geschafft haben, alle Lager zumindest zu befrieden. Ob im Wahlkampf dennoch wieder Streitereien aufbrechen, bleibt abzuwarten. Diesmal dürfte der SPÖ jedenfalls der große Außenfeind fehlen: Bei vergangenen Wien-Wahlen hatte man vor einer starken FPÖ und einer Mehrheit abseits der SPÖ warnen und damit mobilisieren können.

Hacker und Feel-Good-Sommer

Große Fehler hat sich Ludwig bisher jedenfalls nicht geleistet. In der Coronavirus-Krise agierte er eher zurückhaltend und ließ Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) den Vortritt – vor allem, wenn es darum ging, Kritik an der Stadt Wien durch die ÖVP-Regierungsriege pointiert zu parieren.

Das Rathaus setzt im Sommer jedenfalls schon auf Feel-Good-Momente: Die ausgegebenen Gastrogutscheine für alle Haushalte wurden als Stimulus für die Stadtwirtschaft erklärt, sie eignen sich aber natürlich auch als Wahlkampfzuckerl. Und mit dem „Kultursommer“ und dem durch die Stadt tingelnden Donauinselfest-Bus setzt man coronavirusbedingt auf eine Masse an Kleinevents quer über die Stadt verteilt. Wie viele Menschen man damit erreicht, ist freilich unklar.

FPÖ drohen „Ibiza“-Spätfolgen

Die FPÖ, die 2015 noch 30,8 Prozent errungen hatte, muss sich wohl auf einen herben Absturz einstellen – und der hat vor allem einen Grund: „Ibiza“. Mit dem Skandal gingen der Partei mit Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus gleich Spitzenkandidat und Listenzweiter von 2015 verloren. Doch schon vor „Ibiza“ stand die FPÖ vor gar keinem ganz einfachen Problem in Wien: Zugpferd Strache war damals unter Schwarz-Blau Vizekanzler – und man überlegte bereits, ob er damit als Spitzenkandidat auch in die Wien-Wahl 2020 ziehen könnte. Gundenus’ Umfragewerte waren nicht berauschend, Nepp zu unbekannt. Mit Umfragen versuchte die FPÖ herauszufinden, wie man sich am besten aufstelle.

Mit „Ibiza“ waren diese Überlegungen Makulatur, Nepp übernahm – und kämpft weiter mit dem Problem, vergleichsweise unbekannt zu sein. Daran änderte auch der von der FPÖ frühzeitig gestartete – und für freiheitliche Verhältnisse recht handzahme – Plakatwahlkampf noch nicht viel.

FPÖ auch von Strache-Ergebnis abhängig

Für interne Aufregung sorgte im Juni, dass Nepp auch an einer Firma des Ex-FPÖ-Abgeordneten Markus Tschank beteiligt war – neben Gudenus und Strache selbst. Tschank spielt eine Hauptrolle bei FPÖ-nahen Vereinen, zu denen es unklare Geldflüsse gab. Spekulationen, wonach die Freiheitlichen doch noch einen neuen Kandidaten aufstellen könnten, wies Parteichef Norbert Hofer zuletzt in der ZIB2 zurück.

FPÖ Wien Landesparteiobmann Dominik Nepp
APA/Helmut Fohringer
Dominik Nepp muss ein schweres Erbe antreten

Das Ergebnis der FPÖ wird auch davon abhängen, wie viele Wählerinnen und Wähler von „Ibiza“ und anderen Vorwürfen unbeeindruckt sind und Strache mit seinem neuen Projekt Team HC Strache, Allianz für Österreich, die Stange halten. Strache und seine Mitstreiter müssen wie andere Kleinparteien jetzt Unterschriften sammeln, um Wien-weit antreten zu können.

Grüne Flecken auf der weißen Weste

Mit 11,8 Prozent landeten die Grünen 2015 auf Platz drei. Doch seitdem hat sich viel getan: Man hat eine neue Spitzenkandidatin, ist plötzlich Regierungspartei auch im Bund – und hat aber auch die ersten Flecken auf der weißen Weste: Mit Spenden von Immobilienfirmen an einen Verein von Christoph Chorherr ist zumindest erstmals der Eindruck entstanden, auch bei den Grünen könnte es dubiose Geldflüsse für Gegenleistungen geben. Noch ist nichts bewiesen, Chorherr zog die Notbremse und verließ die Partei. Doch dass die Affäre im Wahlkampf wieder aufs Tapet kommt, ist wahrscheinlich.

Emanzipationsversuche als Juniorpartner

Herausstellen wird sich auch noch, ob die unterschiedlichen Regierungspartner, SPÖ in Wien und ÖVP im Bund, eher ein schwieriger Spagat oder ein Startvorteil sind. Parteichefin Hebein versuchte zuletzt, davon zu profitieren und sich als Juniorpartner von der SPÖ in Wien zu emanzipieren. Die geplanten City-Fahrbeschränkungen wurden mit dem ÖVP-Bezirksvorsteher des ersten Bezirks, Markus Figl, ausgedealt, Bürgermeister Ludwig wurde damit eher überrascht. Ob neue Regeln für Autos in der Innenstadt wirklich kommen, steht auf einem anderen Blatt. Die Grünen preschten zudem mit Ideen für eine 35-Stunden-Woche für alle Stadtbediensteten und Gratis-„Öffis“ für alle Wiener vor. Hebein blieb zwar – entgegen manchen Spekulationen – bei Amtsantritt in der Koalition mit der SPÖ, das Klima innerhalb der Stadtregierung dürfte aber schon besser gewesen sein.

Wiens Vizebürgermeisterin Birgit Hebein
APA/Georg Hochmuth
Birgit Hebein wurde von den Wiener Grünen zur Vassilakou-Nachfolgerin gewählt

Wiewohl die Wiener Grünen immer wieder als höchst eigenständig eingeschätzt werden, wird wohl auch die Zufriedenheit mit der Leistung der Bundesgrünen in der Regierung einen Einfluss auf das Wahlergebnis haben.

ÖVP und Wien – ein schwieriges Verhältnis

Auf den Bundestrend setzt wohl auch die ÖVP, besonders dann, wenn Finanzminister Blümel gleichzeitig Spitzenkandidat ist. Nach 9,2 Prozent vor fünf Jahren kann die Volkspartei auch nur dazugewinnen, vor allem, weil viele ehemalige FPÖ-Wählerinnen und -Wähler nun heimatlos recht einfach abgeholt werden könnten. Dennoch ist Wien für die ÖVP ein hartes Pflaster – und dabei waren in den vergangenen Jahren auch die immer wieder eingestreuten Spitzen gegen die Stadt – von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) abwärts – wahrscheinlich nicht sonderlich hilfreich.

Gemeinderatswahl Wien 2015: Sieger in den Wahlsprengeln

Genau diese Spitzen gab es auch in den vergangenen Wochen und Monaten, vor allem durch Innenminister Karl Nehammer und Integrationsministerin Susanne Raab (beide ÖVP). So wurde in der Coronavirus-Krise immer wieder auf die Zahl der Neuinfektionen in Wien verwiesen, offiziell war vonseiten der ÖVP freilich nicht von Kritik die Rede, sondern von Angeboten zur Unterstützung. Solche „Angebote“ wurden bei Fallhäufungen in ÖVP-regierten Ländern wie Tirol, Salzburg, Oberösterreich und Niederösterreich nicht öffentlich kommuniziert. Dann riefen die Demos in Favoriten und die Angriffe darauf ebenfalls Nehammer und Raab auf den Plan, sie machten es zu einem der dominantesten innenpolitischen Themen der vergangenen Wochen.

Viel Kritik an Blümel

Spekuliert wurde gar bereits, ob doch Nehammer statt Blümel in den Wien-Wahlkampf ziehen könnte, zumal Blümel zuletzt nicht gerade einen Lauf hatte: Es gab Kritik an den Auszahlungen der Coronavirus-Hilfen, die vergessenen Nullen im Budget sorgten für Häme, und auch der Auftritt im „Ibiza“-U-Ausschuss mit sehr vielen Gedächtnislücken wurde eher kritisch kommentiert.

ÖVP Wien Landesparteiobmann Gernot Blümel
APA/Herbert Pfarrhofer
Gernot Blümel, ein Minister als Spitzenkandidat

Das wirkt sich aus: Auf Blümels Facebook-Seite schlägt ihm etwa, vor allem bei gesponserten und damit breit ausgespielten Posts, in den Kommentaren ein überschaubares Maß an Lob entgegen. Dass ein Finanzminister überhaupt noch Zeit für einen Wahlkampf haben soll, empört die Konkurrenz sowieso. Blümel wurde jedenfalls als Spitzenkandidat bestätigt, welche Position er in Zukunft bekleiden will, ließ er noch offen – mehr dazu in wien.ORF.at.

NEOS muss auf Rückenwind aus Bund setzen

Ebenfalls auf den Bundesbonus muss wohl NEOS setzen. Immerhin gelingt es dort Parteichefin Meinl-Reisinger und anderen aus der Partei immer wieder, medial zu punkten. Wien-Chef Christoph Wiederkehr scheint noch immer das Problem zu haben, das ihn bereits 2018 beschäftigte. Damals startete er eine durchaus selbstironisch gemeinte Bekanntheitskampagne mit dem Slogan „Kennt keiner“. Geändert hat das nicht allzu viel. Wiederkehr fiel damals auch mit der Aussage auf, sich einen ÖVP-Bürgermeister mit Unterstützung von FPÖ und NEOS vorstellen zu können. Spannend wird, wie sich NEOS nun inhaltlich und politisch positioniert.

NEOS Wien Klubchef Christoph Wiederkehr
APA/Herbert Neubauer
Der gebürtige Salzburger Christoph Wiederkehr ist seit Dezember 2018 NEOS-Landessprecher

2015 traten wienweit noch eine Liste an, die BZÖ- bzw. Team-Stronach-nahe war, eine Liste, die mit der türkischen AKP in Verbindung gebracht wurde und das linke Bündnis Wien anders, das immerhin etwas mehr als ein Prozent erreichte. Ein ähnliches Bündnis versucht es diesmal mit dem Namen Links – und sammelt wie einige andere Fraktionen derzeit Unterstützungsunterschriften für ein Antreten — mehr dazu in wien.ORF.at.