Der Angeklagte Stephan B. vor Prozessbeginn im Verhandlungssaal in Magdeburg
Reuters/Hendrik Schmidt
Synagogenanschlag

Hartes Urteil für Halle-Täter gefordert

Einer der schlimmsten antisemitischen Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte wird seit Dienstag in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) verhandelt. Stephan B. werden unter anderem zweifacher Mord, mehrfacher Mordversuch und Volksverhetzung vorgeworfen.

B. versuchte am jüdischen Feiertag Jom Kippur im vergangenen Oktober, bewaffnet in die Synagoge in Halle einzudringen. Als ihm das nicht gelang, erschoss er den Ermittlungen zufolge auf offener Straße eine Frau, drang in einen Dönerimbiss ein und tötete dort einen Mann. Auf seiner Flucht verletzte er zwei weitere Menschen schwer.

Bereits vor Prozessbeginn wurde deutlich, dass die Nebenkläger sich eine Beleuchtung der Hintergründe erhoffen. Es gehe darum, zu klären, wie sich der Täter so radikalisieren konnte, sagte Juri Goldstein, Anwalt von Besuchern der jüdischen Gemeinde in Halle. Es gehe um die Frage: Wie konnte jemand so viel Hass entwickeln „auf die Menschen, die er gar nicht kennt“. Die größte Herausforderung sei der Prozess selbst, so der Anwalt. „Sie müssen bedenken, es ist eine der größten und schwerwiegendsten antisemitisch motivierten Straftaten, die wir in den vergangenen Jahrzehnten hatten. Das ist Aufgabe genug.“

Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte eine Bestrafung „mit aller Härte des Gesetzes“. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, erklärte, der Prozess führe die große Gefahr von Rechtsterrorismus und Rechtsextremismus vor Augen. „Wir müssen alles dafür tun, dass Jüdinnen und Juden ohne Bedrohung und Angst in unserem Land leben können.“

Verzögerter Prozessauftakt

Um kurz vor 12.00 Uhr wurde Stephan B. in den Gerichtssaal geführt. Der Beginn hatte sich um fast zwei Stunden verzögert, weil die Kontrollen nicht so zügig wie geplant verliefen. Dem 28-Jährigen wird in Magdeburg der Prozess gemacht, weil am dortigen Landgericht die Sicherheitsbedingungen erfüllt werden können und der große Medienandrang besser zu beherrschen ist. Im Verhandlungssaal finden 50 Besucher Platz und fast ebenso viele Medienvertreter.

B. wurde in Hand- und Fußfesseln in den Gerichtssaal geführt. Drei bewaffnete und vermummte Justizbeamte bewachten ihn. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch aus der Haftanstalt „Roter Ochse“ in Halle Ende Mai steht er unter verschärfter Bewachung. Fast zehn Minuten war er damals unbeaufsichtigt beim Freigang im Hof der Anstalt gewesen – „eine Blamage für die Justiz des Landes, international beachtet, von den Opfern fast ungläubig registriert“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“).

Der Angeklagte Stephan B. vor Prozessbeginn im Verhandlungssaal in Magdeburg
AP/Ronny Hartmann
Das Verfahren gegen Stephan B. ist bis Mitte Oktober anberaumt

Der 28-Jährige hatte die Vorwürfe im Vorfeld im Wesentlichen eingeräumt. Im Falle einer Verurteilung droht ihm eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Vor Gericht gab er sich am Dienstag nur bedingt auskunftswillig über seinen Werdegang und die Planung der Tat.

Synagoge ausgekundschaftet

B. sagte vor Gericht, er sei zuvor im Sommer mehrfach an der Synagoge vorbeigelaufen, um möglichst viel darüber in Erfahrung zu bringen. Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin Ursula Mertens, was er mit all seinen Waffen vorgehabt habe, die er dann am 9. Oktober mit seinem Mietwagen zur Synagoge transportiert habe, antwortete der Angeklagte allerdings ausweichend. Er habe ja noch nicht einmal gewusst, „ob es eine besuchte Synagoge ist“.

Der 28-Jährige gestand dagegen die Tötung einer 40-jährigen Passantin. B. erschoss die Frau, nachdem es ihm trotz mehrfacher Versuche nicht gelungen war, in die Synagoge einzudringen. Vor Gericht sprach er von einer „Kurzschlussreaktion“. „Hätte ich das nicht gemacht, hätten mich alle ausgelacht“, sagte er mit Blick auf seine live von ihm ins Internet übertragenen Taten. Die Frau habe ihn „angeschnauzt“, es tue ihm leid, dass er sie getötet habe.

Rassistische Aussagen auch vor Gericht

Seine rassistische Gesinnung stellte der 28-Jährige vor Gericht offen zur Schau, mehrfach sprach er abwertend über Zuwanderer. Die Vorsitzende Richterin drohte ihm zwischendurch mit einem Ausschluss aus der Verhandlung.

Polizeiabsperrung am Tatort in Halle
Reuters/Marvin Gaul
Ursprünglich ging die Polizei von mehreren Tätern aus – das sollte sich nicht bewahrheiten

Die deutsche Bundesanwaltschaft wirft B. vor, „aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens“ geplant zu haben.

Synagogentür hielt „Loser“ stand

In dem insgesamt 36-minütigen Clip von seiner Tat gibt er in schlechtem Englisch extrem antisemitische, ausländerfeindliche und frauenfeindliche Äußerungen von sich und leugnet den Holocaust. Er sagt auch immer wieder, dass er ein „Loser“ sei, etwa als er an der Tür der Synagoge scheiterte. Auch der Angriff auf das Gebäude und die Todesschüsse auf zwei Personen sind zu sehen.

Menschen trauern an der Synagoge in Halle
Reuters/Hannibal Hanschke
Die Frage, wie sich der Täter so radikalisieren konnte, beschäftigt nicht nur die jüdische Gemeinde in Halle

Auch in einem elf Seiten langen „Manifest“, das er vor der Tat veröffentlichte, wimmelt es von antisemitischen Begriffen. B. spricht etwa von einer „zionistisch besetzten Regierung“ – ein klassischer judenfeindlicher Begriff aus der rechtsextremen Szene. Bei den Sicherheitsbehörden war der Angeklagte laut Verfassungsschutz zuvor nicht in Erscheinung getreten.

„In seinem Weltbild ist es halt so, dass er andere verantwortlich macht für seine eigene Misere, und das ist letztendlich der Auslöser für dieses Handeln“, sagte B.s führender Verteidiger Hans-Dieter Weber kurz nach der Tat. Er sehe Kräfte am Werk, die im Verborgenen wirkten, aber sehr einflussreich seien und auf die Politik einwirken könnten, so Weber.

„Revolution“ zugunsten der Nachwelt

Für das Verfahren sind zunächst 18 Verhandlungstermine bis Mitte Oktober vorgesehen. 43 Nebenkläger, darunter Angehörige der Opfer und Mitglieder der jüdischen Gemeinde, werden im Prozess von 21 Anwälten vertreten. Eine der Nebenklägerinnen, Christina Feist, die während des Anschlags in der Synagoge in Halle war, hielt vor Prozessbeginn fest: „Antisemitismus und rechtsradikale Ideologie sind in Deutschland kein neues Phänomen. Antisemitische Übergriffe sind ein trauriger Teil unseres alltäglichen Lebens und sind somit Symptome eines zutiefst in der deutschen Gesellschaft verwurzelten Antisemitismus.“ Und: „Es ist allerhöchste Zeit, dass wir diese schamvolle Wahrheit endlich anerkennen.“

Dazu beitragen könnte vielleicht eine durch Richterin Mertens angestoßene Neuverordnung im Gerichtsverfahren – laut „SZ“ eine „Revolution“: „Der gesamte Prozess wird auf einem Tonträger aufgenommen. Wort für Wort, Antrag für Antrag, Beschluss für Beschluss. Wegen der geschichtlichen Bedeutung des Verfahrens, zum Nachhören für die Nachwelt, die daraus lernen kann.“